Seit der Atomkatastrophe in Japan können sich die Anbieter von grünen Tarifen vor Kundenanfragen kaum retten. Ökoenergie ist zunehmend gefragt.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Die Telefone in den Kundenzentralen der deutschen Ökostromanbieter stehen nicht mehr still. Immer mehr Verbraucher wollen grünen Strom beziehen und ihren Versorger wechseln. "Wir schließen jeden Tag 400 Verträge und damit achtmal so viele Verträge ab wie üblicherweise", erzählt die Sprecherin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS Schönau). Viele Kunden begründeten ihren Wechsel explizit mit den Geschehnissen in Japan. "Die Verbraucher sind kurzentschlossen und wollen etwas tun", erklärt die Sprecherin den Kundenansturm. Schon in der Vergangenheit habe es mehr Anfragen gegeben, sobald Störfälle in Atomkraftwerken öffentlich geworden seien. "So viele wie jetzt hatten wir allerdings noch nie", sagt die Sprecherin. 105.000 Stromkunden beliefert das Unternehmen zurzeit - die Neuabschlüsse noch nicht mitgerechnet.

 

Auch der Hamburger Ökoanbieter Lichtblick erlebt einen Boom. "Kaum hatten uns die Bilder von dem Unglück in Japan erreicht, explodierten die Besuche auf unserer Internetseite", erzählt der Pressesprecher des Unternehmens, das vor dem Ansturm bereits mehr als 500.000 Kunden zählte. "Wir verzeichnen auf unserer Homepage 12.000 Zugriffe am Tag, was einer Verfünffachung der Besuche im Vergleich zu der Zeit vor Fukushima entspricht", sagt der Sprecher. Etwa 800 Neuverträge und damit dreimal so viel wie zuvor schließe der Versorger seitdem ab. "Japan hat den abstrakten Begriff ,Restrisiko' plötzlich real werden lassen", sagt der Sprecher. Seiner Ansicht nach war die Katastrophe eine Art Weckruf: "Viele Verbraucher spielen schon lange mit dem Gedanken, zu einem Ökostromanbieter zu wechseln. Jetzt haben sie sich endlich aufgerafft."

Jeder fünfte Tarif ist ein Ökotarif

Ähnliche Erfahrungen schildern die Anbieter Greenpeace Energy, Naturstrom und Entega. Sie alle garantieren ihren Kunden, dass sie ausschließlich grünen Strom verkaufen - im Gegensatz zu Versorgern, die lediglich ein paar Ökotarife unter ihren herkömmlichen Angeboten haben oder ihren konventionellen Strom mit Hilfe von bestimmten Zertifikaten als Grünstrom deklarieren. Wie groß das Interesse an reinen Ökoangeboten ist, lässt sich an der Verbreitung von anerkannten Siegeln ablesen. Laut dem Internetportal Verivox waren Mitte März mehr als die Hälfte der insgesamt 939 Ökostromtarife in Deutschland mit einem Tüv-Nachweis ausgezeichnet, ein Fünftel mit dem Siegel "Grüner Strom". Die umstrittenen Recs-Zertifikate wurden bei 15 Prozent der Tarife als Ökonachweis angeführt.

Dass die Anzahl grüner Angebote nach der Katastrophe in Japan weiter steigen wird, davon ist man bei Verivox überzeugt. Derzeit ist etwa jeder fünfte Tarif in Deutschland ein Ökotarif. "Im März erkundigten sich bei uns fast 78 Prozent der Verbraucher allgemein nach Ökoangeboten, mehr als die Hälfte fragte explizit nach zertifizierten Produkten", sagt der Verivox-Sprecher. So viele Anfragen habe es noch nie gegeben. 2009 lag der Anteil der allgemeinen Ökoanfragen bei 23 Prozent, 2010 waren es 34 Prozent. Momentan wechsle jeder vierte Kunde am Ende tatsächlich über Verivox zu einem Ökotarif.

 Ein bemerkenswerter Wandel

"Das ist schon ein bemerkenswerter Wandel", sagt der Sprecher. Bisher hätten meist der Preis und konventioneller Strom aus Kohle- und Atomkraftwerken im Vordergrund der Anfragen gestanden. Der Preis sei bei den aktuellen Anfragen nicht besonders ausschlaggebend, heißt es bei Lichtblick. Dort müssen Kunden für den grünen "Lichtblick-Strom" 23,64 Cent pro Kilowattstunde und eine Grundgebühr von 107,30 Euro im Jahr zahlen. "Wir sind nicht die billigsten, aber auch nicht die teuersten", sagt der Unternehmenssprecher.

Tatsächlich reihen sich die Ökoangebote inzwischen gut in das gesamte Tarifangebot in Deutschland ein. Teilweise sind sie sogar günstiger als herkömmliche Angebote. Bei EWS Schönau kostet die Kilowattstunde 23,90 Cent, wobei ein Cent davon gezielt in den Bau neuer Anlagen fließt. Hinzu kommt eine Grundgebühr von 82,80 im Jahr. Zum Vergleich: in der Grundversorgung der EnBW kostet die Kilowattstunde 24,73 Cent, die Grundgebühr liegt bei 94,56 Euro im Jahr; der Online-Tarif kostet 23,06 Cent pro Kilowattstunde und 94,80 Euro im Jahr. Bei einem jährlichen Verbrauch von 1500 Kilowattstunden muss ein Verbraucher 466 Euro (EnBW Grundversorgung), 462 (Lichtblick) oder 441 Euro (EnBW Online/EWS Schönau) zahlen.

Die wichtigsten Nachweise für Ökostrom

Grüner-Strom-Label
Das Siegel wird gemeinsam vom BUND, vom Naturschutzbund Deutschland, der europäischen Vereinigung für erneuerbare Energien Eurosolar und dem Bund der Energieverbraucher vergeben. Der Strom darf nur aus Wind-, Sonnen- oder Wasserkraft stammen oder mit Biomasse, Klärgas und Geothermie erzeugt werden. Außerdem muss die Ökoerzeugung ausgebaut werden.

Ok Power
Hinter dem "Ok Power" Label stehen der WWF Deutschland, die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und das Öko-Institut. Das Siegel wird nur vergeben, wenn mindestens ein Drittel des erzeugten Stroms in Ökoanlagen erzeugt wird, die nicht älter als sechs Jahre sind. So soll der Neubau von alternativen Kraftwerken gefördert werden.

TÜV
Das Zertifikat des TÜV Nord garantiert, dass der Strom maximal zur Hälfte in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen erzeugt und mindestens zu Hälfte aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Der Versorger muss den Strom nicht selbst erzeugen sondern lediglich nachweisen, dass die entsprechende Menge in das allgemeine Stromnetz eingespeist wird. Als Nachweis sind Recs-Zertifikate zugelassen. 

Recs
Mit den umstrittenen Recs-Zertifkaten vom Verein Recs Deutschland können Versorger ihren konventionellen Strom als Ökostrom verkaufen, indem sie nur auf dem Papier grünen Strom von anderen Anbietern erwerben.