Wie Schavan selbst über den Fall denkt, über ihre persönlichen und politischen Perspektiven, das werden außer ihr selbst und Merkel nur wenige wissen. Die 84-jährige Mutter zählt wohl dazu, mit der sie regelmäßig telefoniert. Bei all ihrer Klugheit neigt Schavan auch ein bisschen zur Rechthaberei. Das erklärt, wie sie sich jetzt hinter juristischen Positionen verschanzt, obwohl ihr klar sein sollte, dass dies keine Überlebensstrategie für eine Ministerin ist.

 

Ihre Kämpfernatur ist nicht zu unterschätzen, auch wenn ihr das jetzt in den schwersten Stunden und Tagen ihrer politischen Karriere nichts helfen wird. Sie hat sich in einer Partei, die von männerbündlerischen Umgangsformen und Netzwerken bestimmt war, nach oben gearbeitet und behauptet. In Baden-Württemberg hatte Schavan einen formidablen Machtkampf heraufbeschworen, als Günther Oettinger den altgedienten Ministerpräsidenten Erwin Teufel mir nichts, dir nichts aus dem Amt verdrängen und beerben wollte. Sie hätte Regierungschefin werden können, wurde als mögliche Bundespräsidentin gehandelt. Und sie hat 14 Jahre in der obersten Führungsetage der CDU überstanden. Klein beizugeben ist Schavans Sache nicht.

Attitüde der Klassenbesten

Man darf unterstellen, dass sie sich wirklich im Recht fühlt. Schon die ersten kritischen Hinweise im Internet auf die Schwächen ihrer Dissertation hat Schavan als Angriff auf die persönliche Ehre empfunden. „Es geht nicht um einen Titel, es geht um Integrität“, so kommentierte sie das. „Der Vorwurf der Täuschung trifft mich ins Mark.“ Inzwischen geht es um mehr als um Ehre und um Integrität. Es geht um Schavans politische Existenz und um das Fundament ihrer Biografie.

Sie ist tatsächlich nicht der Typ Mensch, den man verdächtigen würde, einen akademischen Titel erschwindelt zu haben. Dazu kommt sie viel zu musterschülerinnenhaft daher. Noch mit 57 hat Schavan die Attitüde der Klassenbesten bewahrt – manche würden sagen: die Allüren einer Streberin. Keiner im Kabinett gilt als penibler. Längst nicht alle genießen einen Ruf, der auch nur halbwegs so solide wäre. Gemessen an den Usancen des politischen Betriebs ist ihr demonstratives Desinteresse an Effekthascherei beinahe geschäftsschädigend. Während bei Karl-Theodor zu Guttenberg niemand verwundert war, als sein Schmu aufgedeckt wurde, widerspricht die Vorstellung, geschummelt zu haben vollkommen dem Bild, das sich von Annette Schavan eingeprägt hat. Ihre Weste schien bisher makellos weiß.

Es folgt eine ruckartige Wende auf den hohen Absätzen. „Und weiter geht‘s“, raunt Schavan ihrer Protokollchefin zu. Der in die Ferne schweifende Blick verrät, dass ihre Gedanken längst woanders sind.

Wie die vorletzten Sätze einer Tragödie

Was Annette Schavan in Johannesburg in die Mikrofone gesprochen hat, klingt wie die vorletzten Sätze einer Tragödie, ein letzter Beweis ihres Behauptungswillens, ein Anflug von Trotz, kein Wort zu ihrer politischen Zukunft. Eigentlich hätte sie prompt zurücktreten müssen. Das sagen insgeheim viele, die sich öffentlich solidarischer äußern. „Ich habe in der CDU noch keinen gefunden, der jetzt sagt, Annette Schavan sei nicht mehr haltbar“, behauptet der Unionsveteran Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Das ist entweder eine Notlüge, oder es zeugt von einer äußerst lückenhaften Wahrnehmung.

Schavan genießt in ihrer Partei Respekt, nicht zuletzt auch wegen ihrer fast schon legendären, jedenfalls inflationär zitierten Nähe zur Kanzlerin Angela Merkel. Die beiden verstehen sich, weil sie ähnlich denken, einen ähnlich unprätentiösen Politikstil pflegen, obwohl sie doch so unterschiedlich sind, was ihre Herkunft und ihre Ausbildung betrifft. Schavans Renommee als Bildungspolitikerin ist unangefochten. Auf diesem Feld findet sich keiner in den Reihen der Union, der ihr das Wasser reichen könnte. „Es gibt wenige, die sie lieben, aber hassen wird sie keiner“, sagt ein Fraktionskollege. Von denen, die so denken, gönnen ihr die meisten zumindest noch eine Schonfrist – aber mehr auch nicht. Es wäre eine doppelte, ja dreifache Schmach gewesen, wenn sie sich erst den Doktortitel absprechen lassen müsste, dann postwendend auf ihr Amt verzichten – und all das während einer Auslandsreise.

Was denkt Schavan? Was hat Merkel vor?

Wie Schavan selbst über den Fall denkt, über ihre persönlichen und politischen Perspektiven, das werden außer ihr selbst und Merkel nur wenige wissen. Die 84-jährige Mutter zählt wohl dazu, mit der sie regelmäßig telefoniert. Bei all ihrer Klugheit neigt Schavan auch ein bisschen zur Rechthaberei. Das erklärt, wie sie sich jetzt hinter juristischen Positionen verschanzt, obwohl ihr klar sein sollte, dass dies keine Überlebensstrategie für eine Ministerin ist.

Ihre Kämpfernatur ist nicht zu unterschätzen, auch wenn ihr das jetzt in den schwersten Stunden und Tagen ihrer politischen Karriere nichts helfen wird. Sie hat sich in einer Partei, die von männerbündlerischen Umgangsformen und Netzwerken bestimmt war, nach oben gearbeitet und behauptet. In Baden-Württemberg hatte Schavan einen formidablen Machtkampf heraufbeschworen, als Günther Oettinger den altgedienten Ministerpräsidenten Erwin Teufel mir nichts, dir nichts aus dem Amt verdrängen und beerben wollte. Sie hätte Regierungschefin werden können, wurde als mögliche Bundespräsidentin gehandelt. Und sie hat 14 Jahre in der obersten Führungsetage der CDU überstanden. Klein beizugeben ist Schavans Sache nicht.

Attitüde der Klassenbesten

Man darf unterstellen, dass sie sich wirklich im Recht fühlt. Schon die ersten kritischen Hinweise im Internet auf die Schwächen ihrer Dissertation hat Schavan als Angriff auf die persönliche Ehre empfunden. „Es geht nicht um einen Titel, es geht um Integrität“, so kommentierte sie das. „Der Vorwurf der Täuschung trifft mich ins Mark.“ Inzwischen geht es um mehr als um Ehre und um Integrität. Es geht um Schavans politische Existenz und um das Fundament ihrer Biografie.

Sie ist tatsächlich nicht der Typ Mensch, den man verdächtigen würde, einen akademischen Titel erschwindelt zu haben. Dazu kommt sie viel zu musterschülerinnenhaft daher. Noch mit 57 hat Schavan die Attitüde der Klassenbesten bewahrt – manche würden sagen: die Allüren einer Streberin. Keiner im Kabinett gilt als penibler. Längst nicht alle genießen einen Ruf, der auch nur halbwegs so solide wäre. Gemessen an den Usancen des politischen Betriebs ist ihr demonstratives Desinteresse an Effekthascherei beinahe geschäftsschädigend. Während bei Karl-Theodor zu Guttenberg niemand verwundert war, als sein Schmu aufgedeckt wurde, widerspricht die Vorstellung, geschummelt zu haben vollkommen dem Bild, das sich von Annette Schavan eingeprägt hat. Ihre Weste schien bisher makellos weiß.

Dennoch dürfte ihre Karriere bald, nachdem der Jet aus Südafrika am Freitagabend wieder in Berlin-Tegel gelandet ist, beendet sein. Merkels Sprecher Steffen Seibert gibt sich an diesem Mittwoch redlich Mühe, nicht den Anschein aufkommen zu lassen, die Entlassungsurkunde sei schon ausgefertigt. Er lässt aber auch nicht den Raum für Zweifel, dass es dazu kommen wird. Zu Beginn der turnusgemäßen Regierungspressekonferenz täuscht Seibert Routine vor. Acht Minuten lang referiert er Beschlüsse des Kabinetts. Er spricht von der „Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen“ und über die neue „Verordnung über die Hinweispflichten des Handels beim Vertrieb bepfandeter Getränkeverpackungen“, als ob es nichts Wichtigeres an diesem Tag gäbe. Schavans akademische Degradierung sei in der Ministerrunde kein Thema gewesen, versichert Seibert. Stattdessen habe man sich auf einen Termin für die Bundestagswahl verständigt. Für Schavans Schicksal ist das durchaus von Belang. In einem Wahljahr kann es sich die Kanzlerin erst recht nicht leisten, eine Entscheidung hinauszuzögern, wie sie jetzt ansteht.

Keine Entscheidung vor Freitagabend

Vor Freitagabend ist mit dieser Entscheidung nicht zu rechnen. Auch unter Merkel werden Minister nicht per SMS entlassen – schon gar nicht, wenn sie zum Kreis der intimen Vertrauten zählen. Die Kanzlerin ist am Donnerstag und Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel gebunden. Schavans offizielles Besuchsprogramm in Kapstadt dauert noch bis Ende der Woche. „Schon aus Respekt vor unseren südafrikanischen Partnern“, so Seibert, werde von der Ministerin nicht erwartet, dass sie ihre Reise abbreche. Der Respekt vor Schavan spielt dabei wohl die größere Rolle. Sie genieße Merkels „volles Vertrauen“ – solche Floskeln haben auch Guttenberg nicht gerettet.

Die Kanzlerin lässt noch ausrichten, dass sie „in gutem Kontakt“ mit Schavan stehe und deren Arbeit als Ministerin außerordentlich schätze. Es klingt wie ein vorzeitiger Nachruf. Ansonsten halten sich Schavans Weggefährten in auffälliger Weise bedeckt. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, der Schavan schon aus den Zeiten als Jungunionist in Neuss kennt, mag sich nicht mehr äußern. Zu Beginn der Woche hatte er noch erklärt, sein Vertrauen in die Ministerin sei unerschüttert. Wolfgang Schäuble, Landsmann und Ministerkollege, verweist auf Schavans karge Botschaft aus Johannesburg.

Kauder schickt einen anderen vor

Fraktionschef Volker Kauder, zu dem sie ansonsten einen kurzen Draht hat, schickt seinen Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer vor. Eine naheliegende Ausrede für eigene Solidaritätsbekundungen findet sich auch: Kauder ist ebenfalls auf Reisen. Wenn es ihm allerdings ein dringendes Anliegen gewesen wäre, so hätte er wohl auch in Kairo, wo er sich bis Freitag aufhält, ein Telefon oder ein Internetcafé gefunden. Schavan muss ohne öffentlich bekundetes Mitgefühl auskommen. Das ist jetzt für koptische Christen reserviert.

Von Schavans Zukunft als Ministerin ist an diesem Mittwoch nicht mehr die Rede. Regierungssprecher Seibert lässt sich kein Wort dazu entlocken. Er bleibt überhaupt sehr einsilbig, weicht heiklen Fragen notorisch aus. Was er mitzuteilen hat, ist jedenfalls nicht als Jobgarantie zu verstehen. In der eigenen Partei heißt es, Schavan möge sich ein „Spießrutenlaufen“ ersparen. Aus solchen Sätzen spricht aber vor allem die Furcht, ein zähes Ringen um das Amt könnte den Wahlkampf belasten. Die Ministerin habe sich auf einen „schwierigen Kampf“ eingelassen, meint einer ihrer Landsleute. Es hört sich ganz so an, als denke er dabei nicht vorrangig daran, wie schwierig diese Tage für sie selbst sind. Er denkt wohl auch an die Schwierigkeit, der eigenen konservativen Klientel zu erklären, wie sich die Vorwürfe gegen Schavan mit bürgerlichen Tugenden vertragen. Man will ihr einen Rückzug ohne Gesichtsverlust ermöglichen. Dazu gehört, dass sie ihre Reise mit Anstand beenden kann.

Es ist viel von Loyalität die Rede. Loyalität sei aber keine Einbahnstraße, sagt ein CDU-Stratege. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU-Vize wie einst auch Schavan, mahnt zur Fairness. Was er darunter versteht, sagt er auch: Man möge der Ministerin jetzt „drei Tage Ruhe“ einräumen. Das lässt sich gar nicht anders deuten denn als eine Art Galgenfrist. Vor diesem Hintergrund mutet es fast ein bisschen trotzig an, was aus Schavans Ministerium verlautet. Solange über die Klage gegen den Titelentzug nicht entschieden sei, dürfe sich die Chefin selbstverständlich weiterhin „Dr. Schavan“ nennen, so wird auf Nachfrage betont. Ein Sprecher fügt hinzu: „Insofern bleibt alles beim Alten.“