Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Ausgerechnet bei Annette Schavan war das anders. Neun Monate schwebte des Verfahren – und die Unschuldsvermutung hielt! Manchen wiegt der Glauben an ihre Integrität noch jetzt stärker als das klare und harsche Urteil über systematische Täuschungen von der zuständigen Universität. Noch nach dem Titelentzug, kamen die Rücktrittsforderungen der Opposition verhalten daher. Wann je hätte man den SPD-Chef Sigmar Gabriel sagen hören, es tue ihm leid um einen gestürzten Spitzenpolitiker von der Konkurrenz? Erst in ihrer Krise erfährt die unter ihrer Unscheinbarkeit Leidende, wie sehr ihre Seriosität, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit Eindruck gemacht haben. Es ist Teil einer Lebensleistung, die bleiben wird, dass gerade die spröden Moralistin bei ihrem Sturz der Skandalisierungsmaschinerie des heutigen Polit- und Medienbetriebs ein Innehalten abzwingen konnte.

 

Man muss es sich ins Gedächtnis zurückrufen: Guttenberg war 13 Tage nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe nicht mehr Minister – die Universität entzog ihm den Doktortitel erst drei Monate später. Bundespräsident Wulff war zwei Monate,, nachdem die Lawine wegen des Privatkredits für sein Haus ins Rollen kam, Geschichte – und die Staatsanwaltschaft hat heute noch nicht entschieden, ob Anklage gegen ihn erhoben wird.

Dabei hat Annette Schavan nicht nur vor 33 Jahren in ihrer Doktorarbeit sondern auch im Umgang mit den Vorwürfen Fehler gemacht. Sie hat der Universität Düsseldorf einen Maulkorb verpasst und angekündigt zu schweigen – und dieses Schweigen trotzdem zwar selten, aber mit prägnanten Stellungnahmen gebrochen. Nie hätte sie sagen dürfen, sie sei es „der Wissenschaft“ schuldig, gegen die Plagiatsvorwürfe zu kämpfen; der Satz verrät, dass ihr berechtigtes akademisches Selbstbewusstsein zur Hybris geronnen war.

Annette Schavan ist ein Pflichtenmensch. Deshalb tritt sie ab. Aber der schwierigste Schritt steht ihr noch bevor. Sie wird ihn gehen, wenn die Kameras abgeschaltet sind und die Karawane weitergezogen ist. Dann wird die Akademikerin noch einmal vor sich selbst treten und sich ihrer Doktorarbeit wegen einem privaten Rigorosum unterziehen. Wenn sie den Tunnbelblick der vergangenen Monate abgelegt hat, wird Annette Schavan anerkennen, dass in Examina nun einmal die Prüfer entscheiden, während dem Prüfling jedwede Deutungshoheit abgeht. Annette Schavan wird daran festhalten, dass sie damals ehrlich eine wissenschaftliche Qualifikation erwerben und nicht täuschen wollte. Aber sie wird sich eingestehen, dass sie nicht präzise genug gearbeitet hat. Ihre intellektuelle Redlichkeit und ihr Hang zur Rechthaberei werden einen Kampf ausfechten. So wie man Annette Schavan in ihrer langen Laufbahn kennengelernt hat, gibt es keinen Zweifel, wer diesen inneren Kampf am Ende entscheiden wird.