Im Konkurrenzkampf um gute Auszubildende gehen die Betriebe in der Region Stuttgart in die Offensive – auf ihre jeweils eigene Art.

Stuttgart - Lehrlingsnot macht erfinderisch: Um Jugendlichen die Ausbildung schmackhaft zu machen, lassen sich Betriebe in der Region Stuttgart einiges einfallen. Wer zum Beispiel eine Ausbildung zum Koch im Hotel- oder Restaurantfach im Le Méridien in Stuttgart macht, darf auch im Hotel übernachten – in der Nacht vor dem Ausbildungsbeginn in Stuttgart und dann einmal im Jahr an den anderen Standorten Frankfurt oder München. Der Arbeitgeber bezahlt die Fahrt, die Übernachtung, die Verpflegung und das Sightseeing in den Städten. Außerdem dürfen zwei von insgesamt 36 Auszubildenden jedes Jahr für 14 Tage in einem anderen Hotel in Deutschland oder Österreich arbeiten. Wer nach der Arbeit noch Lust auf Sport hat, kann zweimal in der Woche für einen Euro pro Stunde an Fitnesskursen teilnehmen. Während der Ausbildung dürfen die Lehrlinge ihre Eltern einmal zu einem Essen einladen und sie hinter die Hotelkulissen führen.

 

Restaurant-Besuch auf Kosten des Chefs

Beim Unternehmen ODV in Stuttgart, das Soft- und Hardware für Handwerksbetriebe anbietet, soll sich Leistung lohnen, auch für Lehrlinge. Das betont der Geschäftsführer Ralph Biegelmaier, der IT-Systemelektroniker und Bürokommunikationskaufleute ausbildet: Sie arbeiten wie andere und bekommen bei entsprechendem Engagement Privilegien wie alle anderen Mitarbeiter – das kann ein Produktivitätsbonus, ein Smartphone oder sogar ein Firmenwagen sein. Hin und wieder schickt Biegelmaier seine Auszubildenden auch in ein Restaurant und lässt sich am nächsten Tag die Rechnung geben. Entscheidend sei, ob die Leistung stimme, sagt der Chef: „Ich schmeiße niemandem etwas hinterher.“ Auf der Suche nach einem geeigneten Azubi hat Biegelmaier sogar schon an einem Speeddating der Industrie- und Handelskammer teilgenommen.

Für Jugendliche, die sich eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer, Industriemechaniker, Mechatroniker, Industriekaufmann oder Fachinformatiker vorstellen können, hat die Firma Geze in Leonberg in diesem Jahr erstmals „Azubi-Tage“ angeboten. Die Interessierten wurden durch den Betrieb geführt, der auf automatische Türsysteme und Lüftungstechnik spezialisiert ist. Anschließend konnten sie den Mitarbeitern Fragen stellen.

Vier Monate in Spanien

Das Unternehmen Kühne und Nagel in Gärtingen bietet jedes Jahr 18 Jugendlichen im Raum Stuttgart und Ulm eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik oder als Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen an. Weil es schwieriger geworden ist, die Stellen zu besetzen, lockt der Betrieb mit einem besonderen Angebot: Wer sich in Berufsschule und Betrieb besonders auszeichnet, kann vier Monate seiner Ausbildung in Spanien verbringen. Jedes Jahr dürfen zwei Lehrlinge aus der Region eine deutsche Berufsschule in Barcelona besuchen und in der spanischen Niederlassung arbeiten. Auch die anderen Auszubildenden haben die Chance auf internationale Berufserfahrungen: Gefördert von der EU können gute Auszubildende sechs Wochen in einer europäischen Dependance arbeiten, zum Beispiel in Schweden, Italien oder der Türkei.

Lehrlinge bei Arnholdt und Sohn in Stuttgart müssen schwere Autos fahren und ordentlich zupacken können, zum Beispiel bei Umzügen und in Lagerhallen. Manchmal müssen Möbel in den sechsten Stock geschleppt werden. Weil das harte körperliche Arbeit ist, findet die Firma kaum Mitarbeiter: weder Fachkräfte noch interessierten Nachwuchs. Ausgebildet werden Berufskraftfahrer, Fachkräfte für Lagerlogistik und Umzugsservice sowie Kaufmänner für Spedition und Logistikdienstleistungen. Die letzten Bewerbungen kamen aber von Jugendlichen, die erste Berufserfahrungen nur in Kindergärten und im Pflegebereich gemacht hatten. Dabei bemüht sich das Unternehmen um kräftige Jungs mit Begeisterung für starke Autos. Die Mitarbeiter bestücken die VIP-Lounges an den Rennstrecken der Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM) mit Sitzmöbeln und Deko – und dürfen dem Rennen zuschauen. In seiner Not hat das Unternehmen schon zwei Lehrlingen, die nicht einmal Auto fahren konnten, den Führerschein bezahlt.