Dank Zeitungsberichten und Facebook haben sich 13.000 Portugiesen in Schwäbisch Hall beworben – jetzt gilt es, den Ansturm Arbeitswilliger zu bewältigen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Schwäbisch Hall - Im prachtvollen Ratssaal von Schwäbisch Hall haben sie auf Rokokogestühl gesessen, die sieben Zeitungsreporter aus Südeuropa. Hinter sich die schweren Wandgemälde in Öl, vor sich den Panoramablick auf die mächtige gotische Kirche St. Michael und den historischen Marktplatz, ein Augenschmaus für wahre Freunde altdeutscher Spitzgiebelarchitektur.

 

Gestaunt haben die schreibenden Gäste aus Griechenland, Spanien und Italien über dieses geputzte Stück Deutschland, das noch aussieht wie zur Zeit der Stauferkaiser, am allermeisten wohl die Reporterin der portugiesischen Wirtschaftszeitung „Diario Economico“. Zurück von der Pressereise nach Hohenlohe schilderte sie in der Ausgabe vom 7. Februar ihre Eindrücke aus einer 36.000-Einwohner-Stadt, in der Milch und Honig zu fließen scheinen. Der im Internet kostenlos zugängliche Artikel geriet in den Fokus der Facebook-Gemeinde, seitdem reißt die E-Mail-Post arbeitswilliger Portugiesen – vom Rechtsanwalt bis zur Reinigungskraft – nicht ab. Rund 13.000 Bewerbungen sind bisher aufgelaufen: in verschiedenen Ämtern des Rathauses, bei der Agentur für Arbeit, bei den großen Unternehmen der Region. Der Chef des städtischen Pressesprechers Robert Gruner fand eine Bewerbungsmappe sogar im Briefkasten seines Privathauses.

Das Reden und Erklären nimmt kein Ende

Gruner, selber aus Sachsen übergesiedelt, kommt seit Tagen aus dem Reden und Erklären nicht heraus – auch nicht aus dem Grinsen. Die Schlange stehenden Journalisten bittet er aus Bequemlichkeitsgründen in den Ratssaal und unterbreitet, wie aus der Idee, mit einer 10.000 Euro teuren Medienkampagne die heimische Wirtschaft zu stützen, der größte PR-Coup der Stadtgeschichte wurde. „Wir stehen sogar in der ,Washington Post‘ deswegen“, sagt Gruner. Japanische, thailändische oder südafrikanische Medien hätten ebenfalls über die Stadt und ihre Sogkraft auf die Portugiesen berichtet.

Tatsächlich hat Schwäbisch Hall außer Fachwerk eine prosperierende Wirtschaft zu bieten. Unternehmen wie die gleichnamige Bausparkasse, der Maschinenbauer Voith Turbo, der Verpackungsspezialist Optima, der Ventilatorenbauer Ziehl-Abegg, das Schraubenimperium Würth oder ebm-Papst, Weltmarktführer beim Bau von Lüftern, sie alle machen Umsätze im Millionen- und Milliardenbereich, beschäftigen Tausende Menschen und expandieren immer weiter. 2500 offene Stellen verzeichnet die Agentur für Arbeit aktuell. Die Arbeitslosenquote liegt bei weniger als drei Prozent.

Der Hauch der großen Politik weht durch die Stadt

Längst streift immer wieder der Hauch der großen Politik die Stadt, so auch am 25. und 26. Januar, als der frühere baden-württembergische FDP-Wirtschaftsminister Walter Döring den „Kongress der Weltmarktführer“ organisierte und den Außenminister und Parteifreund Guido Westerwelle als Redner gewann. Auch darüber staunten die geladenen Journalisten, die dabei sein und Fragen stellen durften. Vorher ging es auf einen Abstecher zur „Schutzmantelmadonna“ von Hans Holbein, die seit ein paar Wochen in der Johanniterkirche der Stadt hängt, angekauft für angeblich 60 Millionen Euro vom Schraubenkönig und Kunstsammler Reinhold Würth. Das muss man erst mal übertreffen.

Die Story von Schwäbisch Hall, die an den Massenzuzug von Gastarbeitern nach Deutschland in den 60er und 70er Jahren erinnert und damit ans deutsche Wirtschaftswunder, könnte hier ihr Bewenden haben. Leider ist aber völlig offen, wie viele der 13.000 Portugiesen, die sich fast alle mehr oder weniger pauschal als Arbeitskraft angeboten haben, überhaupt gebraucht werden können. Immer noch sind die Mitarbeiter Guido Rebstocks, des Leiters der Agentur für Arbeit, mit der Sichtung der Unterlagen beschäftigt. Ausdrücklich betont er den „ernsthaften Hintergrund“ der städtischen Werbeaktion und ihrer ungeplanten Folgen.

Klar ist schon jetzt, dass es keine Zugwaggons voller Portugiesen geben wird, die in naher Zukunft mit schwerem Gepäck am Bahnhof von Schwäbisch Hall aussteigen, und wohl auch keine aus dem Boden gestampften Häusersiedlungen, auch wenn der Oberbürgermeister Herrmann-Josef Pilgrim (SPD) genau dieses Vorhaben gegenüber Nachrichtenagenturen anklingen ließ. Rebstocks Arbeitsagentur sagt zurzeit allen Bewerbern ab, die sich nicht zumindest in englischer Sprache gemeldet haben und siebt vordringlich unter jenen Portugiesen, die arbeitslos sind – insgesamt rund ein Viertel der Arbeitssuchenden. „Wir wollen eigentlich niemanden aus dem portugiesischen Arbeitsmarkt abwerben“, sagt der Behördenchef mit vorsichtigem Blick auf womöglich noch drohendes diplomatisches Ungemach.

Zuzug arbeitssuchender EU-Bürger soll beschränkt werden

Rebstocks Instinkt scheint gut zu funktionieren. Am Freitag wurde bekannt, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung den Zuzug Arbeit suchender EU-Bürger nach Deutschland wegen der stark steigenden Arbeitslosenzahlen in südeuropäischen Ländern erschweren will. Gerade Neuzuwanderer aus Griechenland, Portugal und Spanien, so berichtete die „Frankfurter Rundschau“, sollen künftig keine Hartz-IV-Leistungen mehr bekommen. Das gehe aus einer Geschäftsanweisung des Bundesarbeitsministeriums an die Bundesagentur für Arbeit vom 23. Februar hervor.

In Schwäbisch Hall sind in dieser Woche einige Portugiesen eingetroffen, die sich mit dem Bus nach Hohenlohe durchgeschlagen haben und sich persönlich bei potenziellen Arbeitgebern vorstellen wollen. Ihr Erscheinen macht den Stadtvätern urplötzlich klar, welche Hoffnungen sie erzeugt und welche Verantwortung sie auf sich geladen haben. Allzu leicht könnte sich die Geschichte von der Strahlkraft der laut Rathausjargon „kleinsten Metropole der Welt“ umkehren. Womöglich hieße es dann, der riesige Öffentlichkeitserfolg Schwäbisch Halls fuße auf den zerplatzten Hoffnungen Tausender Portugiesen. Ein Unternehmenssprecher der Bausparkasse Schwäbisch Hall winkt bereits ab: „Wir brauchen nur Vertriebs- und IT-Spezialisten.“ Er fügt hinzu: „Wir haben nicht angeregt, Leute von auswärts anzusprechen.“ Ziehl-Abegg allerdings, versichert der Arbeitsvermittler Rebstock, habe bereits neunzig Bewerber identifiziert, „die sehr interessant sind“. Das freut auch die Stadtverwaltung. Das Rathaus selber kann leider niemanden gebrauchen. Man habe „schon geguckt“, sagt Rathaussprecher Gruner. „Aber es passte keiner so recht.“