Staatschef François Hollande hat sich gründlich getäuscht – und nicht nur er. Das Vorhaben, gleichgeschlechtlichen Paaren ein Recht auf Heirat und Adoption zuzugestehen schien im liberalen Frankreich ein Selbstläufer zu sein. Stattdessen ist um das Thema ein Kulturkampf entbrannt, der mit einer der größten Protestkundgebungen der vergangenen Jahrzehnte am Sonntag einen neuen Höhepunkt erreichen dürfte. Zu Hunderttausenden wollen Franzosen aus allen Landesteilen nach Paris kommen und auf der Straße zu Fall zu bringen, was das Parlament nach dem Willen des Präsidenten am 29. Januar beschließen soll.

 

Als „Ehe für alle“ hatten Hollande und seine Sozialisten die Reform auf die Agenda gesetzt, die Neuerung als „mehr Gleichberechtigung“ und „überfällige Anpassung an ein sich wandelndes Familienbild“ gepriesen. „Demo für alle“, so schallt es ihnen nun entgegen. Wo anfangs lediglich die katholische Kirche gegen die Homo-Ehe mobilgemacht hatte, protestieren inzwischen auch Vertreter jüdischer und muslimischer Gemeinden, Politiker der rechtsbürgerlichen UMP, Bürgermeister unterschiedlicher politischer Couleur oder beherzte Eltern, die sich für „eher unpolitisch“ halten.

„Es gibt nichts Besseres für ein Kind als eine Mama und ein Papa“, prangt es auf Flugblättern der Reformgegner, die an den Pariser Metro-Ausgängen im Vorfeld der Großkundgebung das Gespräch suchen. Sozialisten, Grüne und Kommunisten erinnern ein paar Schritte weiter daran, dass das traditionelle Familienbild längst überholt ist, es immer mehr alleinerziehende Mütter und Väter, immer mehr Patchworkfamilien gibt. Und elf Länder, darunter katholisch geprägte wie Spanien und Portugal, die Homo-Ehe bereits eingeführt haben.

Laut jüngsten Umfragen sind in Frankreich 60 Prozent der Bevölkerung dafür, dass gleichgeschlechtliche Partner nicht nur die – „Pacs“ genannte – Lebenspartnerschaft eingehen, sondern auch heiraten dürfen. Ein Adoptionsrecht für Schwule und Lesben befürworten 46 Prozent. Noch geringer ist der Rückhalt für vorerst vertagte Pläne, lesbischen Paaren auf Kosten der Sozialversicherung die künstliche Befruchtung zu ermöglichen. Unter der Regentschaft des auf Ausgleich und Dialog bedachten Präsidenten hat sich in der französischen Gesellschaft nun ein tiefer Riss aufgetan. Schon wird der Ruf nach einem Referendum laut, den Hollande kaum erhören wird. Der in Beliebtheitsumfragen tief gefallene Staatschef kann sich ausrechnen, dass er es verlieren würde.