Während auf der Krim de facto Russland die Macht übernommen hat, ernennt die neue Kiewer Regierung neue Gouverneure. Die Lage für die ukrainischen Juden bleibt angespannt. Doch die ultrarechten Politiker sind nicht ihre Hauptsorge.

Kiew - Während auf der Krim de facto Russland die Macht übernommen hat, hat die neue Kiewer Regierung neue Gouverneure für mehrere Regionen des Landes ernannt. Sie sollen die Lage beruhigen. Im Gebiet Dnepropetrowsk, eine Hochburg der Maidan-Gegner im Osten der Ukraine, wurde mit Igor Kolomojskij ein ukrainischer Jude und einer der reichsten Geschäftsleute des Landes zum Gouverneur ernannt. Die israelische Zeitung „Haaretz“‟ sieht darin einen demonstrativen Schritt der neuen Regierung, um sich gegen Antisemitismusvorwürfe zu wehren.

 

Pinchas Vyshedsky, Rabbiner im benachbarten Donezk, weist dies jedoch zurück. Die Ernennung habe nichts damit zu tun, dass Kolomojskij Jude sei. „Das gehört zu einer allgemeinen und richtigen Strategie: Die neue Regierung vergibt an solche Menschen Gouverneursposten, die über viel Einfluss verfügen und die für Ruhe sorgen können.‟“

Die ukrainischen Juden beunruhigen momentan die russischen Drohungen, die ungeklärte Machtfrage in manchen Regionen und ökonomische Probleme. „Die Atmosphäre ist angespannt: Wir sind nur 80 Kilometer von der russischen Grenze entfernt“, erklärt Vyshedsky, dessen Gemeinde an die 10 000 Mitglieder zählt. Donezk ist die Hauptstadt des Donbass und Heimatstadt des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. „Zudem ist die Polizei nur wenig präsent, deshalb fühlt man sich ungeschützt“, fügt Vyshedsky hinzu. Allerdings gab es in letzter Zeit keinerlei Angriffe auf die Juden der Stadt. Momentan haben Vyshedskys Gemeindemitglieder allerdings mehr und mehr ökonomische Sorgen: Die Renten werden nicht voll ausgezahlt, der Kurs der Währung fällt.

Zwischenfälle hat es noch keine gegeben

In Iwano-Frankowsk, einer Hochburg der ukrainischen Nationalisten im Westen des Landes, stehen zwar noch hier und dort Barrikaden, allerdings sind sie nicht mehr besetzt. Vor knapp drei Wochen hatten Demonstranten hier noch die örtliche Geheimdienstzentrale geplündert, Waffen erbeutet und sie am Ende niedergebrannt. Polizei war auf den Straßen der Stadt nicht mehr zu sehen. „Unsere Mitglieder, viele von ihnen sind schon älter, stehen noch unter Schock“, erklärt der Rabbiner Moische Lejb Kolesnik. Allerdings gab es auch hier keinerlei antisemitische Übergriffe. Im Stadtparlament haben die Mitglieder der nationalistischen Swoboda-Partei die Mehrheit, Kolesnik kennt viele von ihnen persönlich. „Eine Sache sind ihre Losungen, eine andere die Wirklichkeit“, erklärt er. „Natürlich sitzt der Antisemitismus in ihnen, aber er kommt nicht zum Vorschein“, so Kolesnik. Gefährlicher seien andere radikale Gruppierungen, die über die letzten Wochen maskiert und mit Baseballschlägern in der Hand an den Zufahrten der Stadt willkürlich Autos kontrollierten.

Josef Zissels, Vorsitzender der Vereinigung jüdischer Organisationen und Gemeinden in der Ukraine, sieht das ähnlich. „Der viel zitierte Rechte Sektor ist kein antisemitischer Club, sondern ein Sammelbecken für alle möglichen Subkulturen. Ja, sie können erschrecken, aber nicht nur Juden, sondern jede Minderheit“, erklärt er. Zissels sieht momentan die größte Gefahr für die jüdischen Gemeinden in gezielten Provokationen, hinter denen Vertreter des gestürzten Regimes oder der russische Geheimdienst stehen. „Indem sie Attacken auf jüdische Einrichtungen verüben, versuchen sie nicht nur, die Situation allgemein zu destabilisieren, sondern auch die neue Regierung als faschistisch und antisemitisch zu diskreditieren“, so Zissels. „Wir haben Zusicherungen bekommen, dass der Geheimdienst sich damit beschäftigen wird“, erklärt Zissels.