Unternehmen nutzen ausländische Rechtsformen, um den Aufsichtsrat nicht paritätisch zu besetzen.

München - In deutschen Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten geht ein Drittel aller Aufsichtsratssitze an Arbeitnehmer. Ab 2000 Mitarbeitern muss das Gremium paritätisch besetzt werden. Das legt hier zu Lande das Mitbestimmungsgesetz seit 1976 fest. Es gilt aber nur, wenn Unternehmen eine deutsche Rechtsform haben. Immer öfter geben sich in Deutschland tätige Firmen aber eine ausländische Rechtsform und unterlaufen damit die Mitbestimmung, wie eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung herausgefunden hat. „Scheinauslandsgesellschaften“ nennt sie Studienautor Sebastian Sick.

 

Von dieser Praxis betroffen seien in Deutschland mittlerweile gut 200 000 Arbeitnehmer. Einmal ist es eine plc. nach britischem Recht oder eine N.V. nach niederländischem, ein andermal eine österreichische oder luxemburgische GmbH – in aller Regel mit dem Zusatz & Co KG. Waren es im Jahr 2000 hier zu Lande noch drei größere Unternehmen mit einer solchen Rechtsform, ist ihre Zahl 2014 auf 69 Gesellschaften gestiegen. Die Hälfte der Zunahme entfällt auf die Jahre seit 2011. 51 der 69 Firmen zählen mehr als 2000 Beschäftigte und hätten damit nach deutschem Recht einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat. Aber diese Verpflichtung wird umgangen. Besonders absurd sei, dass sich auch Unternehmen ohne echten Auslandsbezug per Rechtsformwahl der Arbeitnehmermitsprache im Aufsichtsrat entziehen können, kritisierte Sick. Als Beispiel dafür nennt er die Berliner Entsorgungs- und Recyclingfirma Alba Group Plc. & Co KG. Deren Chef sei im Übrigen der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer. 6200 Mitarbeiter beschäftigt Alba nach eigenen Angaben bundesweit. Zumindest den Vorwurf des fehlenden Auslandsbezugs lassen die Berliner nicht auf sich sitzen. Alba sei in 15 Ländern Europas sowie den USA und China aktiv. Damit zähle man zu den global zehn größten Anbietern im Bereich Umwelt- und Recyclingdienste sowie Rohstoffhandel. Die Rechtsform plc. habe man vor dem Hintergrund weiterer Internationalisierung gewählt und weil sie kapitalmarktfähig sei. Betriebliche Mitbestimmung gebe es auf allen Ebenen. „Einen mitbestimmten Aufsichtsrat hatten und haben wir nicht“, räumt Alba allerdings ein. Auch kein anderer befragter Konzern mit ausländischer Rechtsform will diese mit einem Ausbremsen von Mitbestimmungsrechten in Verbindung gebracht wissen. Lediglich der Mannheimer Landmaschinenhersteller John Deere GmbH (Luxemburger Recht) & Co KG mit deutschlandweit knapp 7000 Beschäftigten lässt eine solche Motivation durchblicken. Der Vorbemerkung, wonach ausländische Rechtsformen die deutsche Mitbestimmung im Aufsichtsrat umgehen, „ist nichts hinzuzufügen“, teilen die Mannheimer mit. Viele andere Unternehmen mit ausländischer Rechtsform antworten entweder gar nicht oder ausweichend. Für Air Berlin mit aktuell rund 7400 Beschäftigten in Deutschland sei die britische plc. die geeignetste Rechtsform im internationalen Umfeld, teilte die Fluggesellschaft lapidar mit. Das Mitbestimmungsgesetz sei damit nicht auf Air Berlin anwendbar.

Der nach Anzahl der Mitarbeiter krasseste Fall ist McDonald’s Deutschland Inc. mit hier zu Lande rund 60 000 Beschäftigten. Die Fastfoodkette firmiert in Deutschland als eine Aktiengesellschaft des US-Bundesstaats Delaware, dort sitzt auch der Aufsichtsrat – ohne Beteiligung deutscher Arbeitnehmer. Die Vermeidung von Mitbestimmung sei kein neues Phänomen, stellt Sick schon mit Blick auf McDonald’s klar. Speziell das europäische Recht erweitere aber die Möglichkeiten dazu. Es habe sich eine Lücke in den Gesetzen aufgetan, die europaweit geltende Mindeststandards in der Mitbestimmung nötig machen, so lautet der Appell der Hans-Böckler-Stiftung an die Politik. Andernfalls würden nicht abgedichtete Fluchtwege ein großes und stetig wachsendes Loch ins deutsche Mitbestimmungssystem reißen.