Millionen Menschen arbeiten für Online-Plattformen. Die EU will diese Arbeitnehmer besser gegen Scheinselbstständigkeit schützen, doch nun stockt das Projekt.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Mitarbeiter von Online-Lieferdiensten sind aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Noch vor wenigen Tagen konnten die Beschäftigten sogenannter Plattformfirmen wie Uber und Co. hoffen, in Zukunft mehr Rechte zu bekommen. Doch nun blockieren überraschend mehrere Länder die jüngst von Unterhändlern des Europaparlaments und der EU-Staaten erzielte Einigung. Neben dem Wortführer Frankreich erklärten auch Tschechien, Finnland, Griechenland, Ungarn, Litauen, Lettland und Schweden, sie könnten nicht zustimmen.

 

Fünf Kriterien müssen erfüllt sein

Geplant war, dass die betroffenen Beschäftigten unter bestimmten Bedingungen als voll angestellt gelten. Bislang sind etwa Uber-Fahrer oder Fahrradkuriere auf dem Papier häufig selbstständig und damit unter anderem nicht über ihren Arbeitgeber sozialversichert. Nach den neuen Vorschriften sollten Betroffene rechtlich den gleichen Status wie regulär angestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, sobald zwei von fünf Kriterien erfüllt sind. Dazu gehören das Lohnniveau, festgelegte Regeln für die Arbeitskleidung, elektronische Erfassung durch den Arbeitgeber, eine eingeschränkte Wahlfreiheit bei den Arbeitszeiten und kaum oder keine Möglichkeit, für andere Arbeitgeber zu arbeiten. Es soll auch verboten werden, dass Mitarbeiter auf Grundlage der Ergebnisse eines Computerprogramms entlassen werden. Entsprechende Entscheidungen müssen mit menschlicher Aufsicht getroffen werden.

Die Regelung war auch angestoßen worden, weil die Zahl der Plattformarbeiter seit Jahren rapide ansteigt. Mehr als 30 Millionen Menschen in der EU arbeiten für solche Online-Dienste, bis 2025 könnte ihre Zahl auf mehr als 40 Millionen ansteigen. Rund 5,5 Millionen von ihnen sind nach Einschätzung der EU-Kommission fälschlicherweise selbstständig beschäftigt. Dabei geht es auch um sehr viel Geld. Zwischen 2016 und 2020 verfünffachten sich die Einnahmen in der Plattformwirtschaft annähernd, von schätzungsweise 3 Milliarden Euro auf rund 14 Milliarden Euro.

Empörung über die Blockade

Empört auf die Blockade reagierte Dennis Radtke, CDU-Sozialpolitiker. „Es geht um den Schutz vor Ausbeutung und um Fairness im Wettbewerb“, erklärte der Europaparlamentarier. „Geschäftsmodelle, die nur funktionieren, weil man Menschen via Scheinselbstständigkeit den Zugang zu Mindestlohn und Sozialversicherung verwehrt, braucht kein Mensch.“ Er sieht nun eines „der wichtigsten Projekte der EU in diesem Jahrzehnt“ in Gefahr und richtet auch schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung, die sich in diesem Fall der Stimme enthalten hat.

In dasselbe Horn stößt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall: „Die Bundesregierung hat heute mit ihrer Enthaltung zum Richtlinienentwurf der EU zur Regulierung von Plattformarbeit einen wichtigen Schritt versäumt, um die Arbeitsbedingungen von Millionen Menschen in Europa zu verbessern. Das ist ein großer Fehler.“

Paris geht seinen eignen Weg

Zuletzt hatte vor allem die französische Regierung gegen die geplante Regelung Front gemacht. Arbeitsminister Olivier Dussopt erklärte, die Einigung weiche von der Fassung ab, auf die sich die Minister im Juni verständigt hatten. Paris könne nicht einer Reform zustimmen, „die massive Umgruppierungen“ bei den Arbeitsverhältnissen zulasse - inklusive von Beschäftigten, die gern als Selbstständige arbeiteten. Frankreich vertritt in diesem Fall einen eignen Einsatz. Es befürwortet die Selbstständigkeit, allerdings mit zusätzlichen Arbeitsrechten und einem verstärkten „sozialen Dialog“.

Gaby Bischoff, sozialpolitische Sprecherin der Europa-SPD, vermutet, dass Vertretergruppen großen Druck ausgeübt hätten. „Die europäische Lobby für Plattformarbeit, die unter anderem Free Now, Bolt und Uber vertritt, hatte bereits nach der Trilog-Einigung gefordert, dass die Mitgliedstaaten dem Text nicht zustimmen“, sagte die EU-Parlamentarierin. So sollte „ein wichtiger Sieg gegen die Ausbeutung durch die Plattformen“ verhindert werden. „Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren Rekordumsätze auf dem Rücken der Plattform-Arbeiter erwirtschaftet, die in vielen Fällen als Scheinselbstständige ohne soziale Absicherung für sie arbeiten“, kritisiert Gaby Bischoff.

Großer Druck der Lobby-Gruppen

Auch ihr CDU-Kollege Dennis Radtke hatte im Laufe der Verhandlungen immer wieder die zahlreichen Versuche von Lobbygruppen geklagt, Einfluss auf die Gestaltung der geplanten Richtlinie zu nehmen. Da seien „teilweise gezielt Lügen und Halbwahrheiten gestreut“ worden. So musste Radtke immer wieder versichern, dass etwa selbstständige Handelsvertreter oder hoch qualifizierte Solo-Selbstständige wie Ingenieure von der Regelung nicht betroffen seien und auch in Zukunft nicht in ein Angestelltenverhältnis gezwungen würden.

Die Arbeitsverhältnisse sind allerdings nicht bei allen Plattformanbieter gleich. So betont etwa der Lieferdienst Lieferando, dass seine Kuriere direkt bei dem Unternehmen angestellt seien. Die Firma würde die nun blockierten neuen Regeln als Angleichung der Wettbewerbsbedingungen begrüßen. Die ursprüngliche Übereinkunft vom 13. Dezember muss nun neu mit dem EU-Parlament verhandelt werden.