Schon vor 48 000 Jahren und damit viel früher als angenommen siedelten Menschen im hohen Norden Sibiriens. Forscher entdeckten die Spuren von Waffen am Kadaver eines Mammuts.

Stuttgart - Die Mammutjäger waren offensichtlich Feinschmecker. Darauf deutet jedenfalls der Bruch im Unterkiefer ihrer Beute hin. Er befindet sich genau dort, wo die Knochen brechen, wenn die Zunge des Tieres herausgelöst wird. Da der untersuchte Mammutbulle mit seinen 15 Jahren noch ein junges Tier war, sollte sein Fleisch recht zart gewesen sein – eine echte Delikatesse eben.

 

Viel mehr wissen Wladimir Pitulko von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg und seine Kollegen von dem Festmahl, das vor etwa 48 000 Jahren stattgefunden hat, leider nicht. Dass zu dieser Zeit aber bereits Mammutjäger im hohen Norden Sibiriens lebten, wie die Forscher in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, ist eine wissenschaftliche Sensation. Bisher hatten Forscher nur sehr viel jüngere Spuren menschlicher Aktivitäten in Sibirien gefunden.

Die Überreste sind 2012 zufällig gefunden worden

Gerade einmal 30 000 Jahre alt war der älteste sicher nachgewiesene Fund von Steinzeitjäger-Relikten. Diese Spuren waren auf dem 55. Breitengrad und damit etwa auf der Höhe von Flensburg aufgetaucht. Für nördlichere Siedlungen gab es keinen Nachweis, bis Alexei Tikhonow von der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg im Spätsommer 2012 zu einer Wetterstation im Jenissei-Becken gerufen wurde. Ein Schüler hatte an der Jenissei-Bucht die Überreste eines Woll-Mammuts entdeckt. Diese Küste liegt auf dem 72. Breitengrad und damit weiter im Norden als das Nordkap in Norwegen.

Aus dem Dauerfrostboden legten die Forscher den gut konservierten Kadaver frei. Mit der Kohlenstoff-14-Methode bestimmten sie das Alter des Schienbein-Knochens auf rund 48 000 Jahre. „Das war zwar in der letzten Eiszeit, aber nicht in deren kältester Epoche“, erklärt Michael Hofreiter von der Universität Potsdam. Während die Gletscher auf dem Höhepunkt der Eiszeit in Europa bis in die Region der heutigen Städte Berlin und Hamburg vorgestoßen waren, blieben damals auch im Norden Sibiriens weite Regionen eisfrei. Auf den riesigen Kältesteppen explodierte im Sommer das Leben, wenn die Sonne rund um die Uhr schien. Mammuts und andere Tiere fanden mehr als genug zu fressen.

Die Knochen zeigen Spuren der Waffen

Der junge Bulle war darum gut genährt, eines natürlichen Todes starb das Tier nicht. Das zeigen die tiefen Schrammen an seinem linken Schulterblatt. Für diese Verletzung fanden die russischen Forscher nur eine plausible Erklärung: Rund 150 Zentimeter über dem Boden hatte ein sehr scharfer Gegenstand das Tier mit großer Wucht getroffen. In dieser Höhe befindet sich die Schulter eines erwachsenen Menschen, genau in dieser Höhe schleudert ein Speerwerfer sein Gerät.

Das Mammut hatte noch eine Reihe weiterer Verletzungen, die eigentlich nur von einem Steinzeitjäger stammen können: Auch an der fünften Rippe links und an der zweiten rechts war ein scharfer Gegenstand über die Knochen geschrammt, vermutlich wollte der Schütze die inneren Organe treffen. Den Todesstoß wollten die Steinzeitjäger dem Mammut versetzen, als es schon am Boden lag. Noch heute zielen Elefantenjäger in solch einem Fall auf die Basis der Stoßzähne, um die Arterien dort zu verletzen. An diesen starken inneren Blutungen stirbt das Tier dann rasch. In Sibirien hatte der Speerstoß allerdings sein Ziel knapp verfehlt und stattdessen das Jochbein getroffen, in dem noch heute ein Loch vom kräftigen Stoß des Jägers zeugt.

Von der Spitze des Stoßzahns hobelten die Steinzeitmenschen Späne ab, die sie als Schlachtermesser verwendeten, um ihre Beute zu zerlegen. Steine und anderes Material für Klingen sind schließlich in dieser Region der Welt Mangelware. So entfernten sie auch die Zunge und brachen dabei den Unterkiefer des verendeten Tieres.

Der Norden lockte mit reicher Beute

Der Mammut-Bulle ist aber nicht der einzige Zeuge für Steinzeitjäger im hohen Norden. Ein paar Tausend Kilometer weiter im Osten fanden die Forscher am Fluss Jana, ebenfalls nördlich des Polarkreises, den Oberarmknochen des linken Vorderlaufs eines Wolfes, der genau wie das Mammut vor 48 000 Jahren von einem Pfeil oder Speer getroffen wurde. Offensichtlich lockte also reiche Beute die Steinzeitjäger damals in den hohen Norden. Gut möglich, dass einige von ihnen bereits über die trocken gefallene Beringstraße nach Nordamerika weiterwanderten, spekulieren die russischen Forscher weiter.

Eine Frage aber stellen sie in ihrem Artikel erst gar nicht: „Wer waren eigentlich diese Steinzeitjäger?“ Drei verschiedene Menschenlinien kommen dafür in Frage: Die modernen Menschen, die erst zehntausend Jahre vorher ihre Wiege in Afrika verlassen hatten. Möglicherweise jagten damals aber auch Neandertaler in Sibirien. Oder ihre Schwestergruppe, die Denisovaner, von denen bisher nicht mehr als ihr Erbgut bekannt ist, das im Altai-Gebirge entdeckt und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig analysiert worden ist. Auch Michael Hofreiter von der Universität Potsdam kann die Frage nach der Identität der Mammutjäger nicht beantworten: „Wir wissen es einfach nicht“, erklärt der Evolutionsbiologe.