Die ARD zeigt die sehenswerte Dokumentation „Wer hilft mir beim Sterben?“: Der Filmautor Ulli Wendelmann verzichtet auf Politiker-Statements und Betroffenheitsgesäusel und hält sich stattdessen an die Lebenswirklichkeit.

Stuttgart - Der Berliner Romanist Karl Faltenbacher bestimmte den Zeitpunkt seines Todes selbst. Er litt unter einer Krankheit, bei der die Organe nach und nach versagen: Amyloidose. Kurz vor seinem Tod gab er einem Fernsehteam ein Interview. Er könne sich noch zwei Jahre herumschleppen, sagt Faltenbacher, „aber ich habe von diesem Leben nichts“. Die Palliativmedizin sei ausgereizt, „die kann mir keine Lebenslust verschreiben“. Ein Arzt besorgte ihm das tödliche Medikament – was nicht strafbar ist, solange der Arzt es nicht selbst verabreicht. Eine Mehrheit der Landesärztekammern untersagt ihren Mitgliedern allerdings jede Form von Sterbehilfe.

 

Das Thema Sterbehilfe beschäftigt auch den Bundestag. Vier fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe liegen vor, drei davon wollen das Strafrecht ändern. Im November soll darüber abgestimmt werden. Der Filmautor Ulli Wendelmann verzichtet in seiner sehenswerten ARD-Dokumentation „Wer hilft mir beim Sterben?“ auf Statements von Politikern, mal abgesehen vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, der wegen der Krebserkrankung seiner zweiten Frau im Jahr 2007 als Bundesminister zurückgetreten war und Sterbehilfe ablehnt. Der Film hält sich anhand von verschiedenen, gut ausgewählten Fällen an die Lebenswirklichkeit und greift dabei wichtige Fragen auf, die auch in der politischen Debatte eine Rolle spielen.

Wendelmann befragt vor allem Ärzte, Patienten und deren Angehörige. Die Mischung ist ausgewogen, die Aussagen der Befragten sind prägnant, der begleitende sachliche Kommentar bleibt nicht ohne Empathie, aber ohne übertriebenes Betroffenheitsgesäusel. Zu Beginn setzt Wendelmann zwei Patientengeschichten nebeneinander, die von Karl Faltenbacher und die von Gabriele Auenmüller, Opernsängerin und Chef-Souffleuse an der Dresdner Semper-Oper. Auenmüller hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs und laut Prognose noch vier Monate zu leben. Sie entschied sich gegen Sterbehilfe und erkämpfte sich mit Hilfe der Palliativmedizin vierzehn Monate Lebenszeit, wie Wendelmann formuliert. Zwei Menschen also, die unterschiedliche Wege des Sterbens wählten. Vielleicht ist das bei diesem komplexen Thema schon mal eine Erkenntnis: Dass man Respekt vor jeder Entscheidung haben sollte.

Verunsicherte Ärzte befürchten Konsequenzen

„Wie schlimm muss es sein, wenn du wirklich sterben willst? Wir können uns das nicht vorstellen. Ich auch nicht“, sagt Constance de Vries, Hausärztin und Sterbehelferin. In den Niederlanden dürfen Ärzte auch aktive Sterbehilfe ausüben, eine Voraussetzung ist, dass die Patienten noch über die geistige Fähigkeit zur Krankheitseinsicht verfügen. Sie führe lange Gespräche und könne ein Gefühl dafür entwickeln, ob der Patient seinen Wunsch „konsistent“ wiederhole, so de Vries. Aktive Sterbehilfe sei wie eine Geburt etwas sehr Besonderes, „aber man kann trotzdem etwas Schönes daraus machen“. Die Zahl der Menschen, die in den Niederlanden aktive Sterbehilfe in Anspruch genommen habe, sei „rasant gestiegen“, heißt es im Film. Der Medizinethiker Theo A. Boer sieht das kritisch. Wenn aktive Sterbehilfe zu einem Normalfall werde, könne das eine Gesellschaft nicht verkraften: „Weil es nicht mehr gelingt, einer ganzen Generation von älteren Leuten einen wichtigen Platz zu geben.“

Wendelmann blickt auch in die Schweiz. In seinem letzten Beispiel erzählt er von Jana Gräfe, einer Frau aus Deutschland, die nach einem Autounfall vom Hals abwärts gelähmt war. Ihre Tochter berichtet vom Leiden der Mutter und ihrer Entschlossenheit, die Dienste einer Sterbehilfe-Organisation in Anspruch zu nehmen. Weil aber verunsicherte Ärzte Konsequenzen befürchten, ist das Thema Sterbehilfe häufig tabu. Auch Jana Gräfe hielt ihr Vorhaben geheim; sie musste in die Schweiz reisen, wo sie mittels einer Apparatur die Verabreichung des tödlichen Medikaments mit dem Kopf auslöste. „Man kommt sich vor wie ein Krimineller“, sagt die Tochter. Und: „Warum darf ich das nicht daheim?“