Christiane Hörbiger spielt in dem herausragenden ARD-Drama „Auf der Straße“ eine Witwe, die unverschuldet in die Obdachlosigkeit gerät.

Stuttgart - Christiane Hörbiger hat mit ihrer enormen Ausstrahlung schon immer dafür gesorgt, dass selbst leichte Filme ein gewisses Gewicht bekamen. Seit einigen Jahren aber hilft sie mit ihrem großen Namen, schwere Stoffe zu vermarkten. Demenz („Stiller Abschied“), Toleranz und Integration („Bis ans Ende der Welt“), die Eintönigkeit im Alter („Zurück ins Leben“): lauter Belege dafür, dass die ARD-Tochter Degeto auch schon vor ihrer Reformierung nicht bloß kleine Fluchten aus dem Alltag produziert hat.

 

„Auf der Straße“ fügt sich nahtlos in diese Reihe ein: Thorsten Näter erzählt vom unverschuldeten Abrutschen einer älteren Frau in die Obdachlosigkeit. Florian Baxmeyer, Regisseur einer Vielzahl von Bremer „Tatort“-Beiträgen, hat das Drehbuch mit großer Intensität umgesetzt. Dazu trägt vor allem von Wedigo von Schultzendorff bei, der das Drama in den Innenaufnahmen wie eine Reportage wirken lässt, weil seine Handkamera stets ganz nah an der Hauptfigur ist und die Ereignisse über ihre Schulter hinweg filmt, sodass die Geschichte buchstäblich aus ihrer Perspektive erzählt wird.

Schon die Eröffnung führt direkt ins Thema ein: Auf einen Panoramablick, der Hamburg als nächtlich glitzernde Metropole zeigt, folgen Aufnahmen von Obdachlosen. So nah liegen Reichtum und Armut beieinander, suggerieren die Bilder, und das ist exakt die Geschichte des Films. Die Geschäfte laufen nicht so gut, sind die letzten Worte des Ehemanns von Hanna Berger; dann stirbt er. Die Herzkrankheit hat er ihr ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass sein Weinhandel pleite ist. Um den Schein zu wahren, hat er zu überhöhten Zinsen einen Kredit aufgenommen, und der sorgt dafür, dass die alte Dame von einem Tag auf den anderen alles verliert: Die Möbel werden gepfändet, die Eigentumswohnung wird zwangsversteigert; nun steht sie auf der Straße. Sozialleistungen lehnt sie ab; einerseits aus Stolz, andererseits, weil sie nicht will, dass sich die Behörden das Geld von ihrer Tochter zurückholen wollen – und das ist die Geschichte hinter der Handlung.

Keine Wohnung, keine Arbeit; keine Arbeit, keine Wohnung

Vordergründig geht es auch weiterhin um Hannas sozialen Absturz und den typischen Teufelskreis: keine Wohnung, keine Arbeit; keine Arbeit, keine Wohnung. Ungeschönt zeigt Baxmeyer die Nächte im überfüllten Wohnheim für Obdachlose, wo sich betrunkene Frauen auch schon mal prügeln. Quasi im Handumdrehen wird aus Hanna einer jener Menschen, um die man im Großstadtalltag einen Bogen macht, weil sie zusammenhanglos vor sich hin brabbeln oder im Suff ausfallend werden.

Diese unangenehm glaubwürdig wirkenden und von einer sparsamen, aber ungemein stimmigen Musik (Annette Focks) untermalten Szenen allein hätten schon genügt, um „Auf der Straße“ sehenswert zu machen, doch die große Stärke von Näters Drehbuch liegt in der beiläufigen Integrierung einer zweiten Ebene: Hannas Tochter Elke (Margarita Broich) hat schon vor vielen Jahren den Kontakt zur Mutter abgebrochen. Der Bruch ist derart endgültig, dass sie ihrer Tochter (Amber Marie Bongard) und ihrem Lebensgefährten Lars (Dirk Borchardt) erzählt hat, ihre Eltern seien tot. Auch diese Ebene wird mit einem Bild eingeführt, dass alles sagt: Hanna ruft Elke an, um sie über den Tod des Vaters und den Termin der Beisetzung zu informieren, und hinterlässt die entsprechende Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Elke ist zuhause, sie hört die Botschaft, aber die Kamera zeigt sie nur schemenhaft im Hintergrund.

Damit wäre dieser Teil der Handlung eigentlich schon zu Ende, aber der erfahrene Näter weiß, wie man Spannung schürt: Lars redet Elke ins Gewissen, sie macht sich auf die Suche nach Hanna, von deren Absturz sie keine Ahnung hatte, und holt sie zu sich. Aber das ist längst nicht das Ende der Geschichte, denn da ist ja noch die alte Schuld, die einst zum Zwist zwischen Mutter und Tochter geführt hatte und selbstredend noch heute zwischen ihnen steht.