Gut zehn Jahre nach Beginn der Isaf-Mission wagt sich die ARD an den Krieg. „Auslandseinsatz“ erzählt differenziert von dem Soldatenalltag.

Stuttgart - Der erste Einsatz: Nachtwache. Der erste Feind: Langeweile. Die Soldaten starren ins Dunkel, bis ein Einheimischer mit seinem Esel auf das Außenlager der Bundeswehr zuschlurft und helle Aufregung auslöst. Über Funk wird der Wache das „Anrufverfahren“ empfohlen. Die Soldaten rufen also und schreien, fordern den Mann in englischer Sprache auf weiterzugehen, doch der Mann kramt im grellen Scheinwerferlicht in aller Seelenruhe in den Taschen. Zum Glück für alle Beteiligten passiert: nichts.

 

„Das sitzen wir auf einer Arschbacke ab“, sagt der Stabsunteroffizier Ronnie Klein (Hanno Koffler) ganz cool zu seinem Freund, Oberfeldwebel Daniel Gerber (Max Riemelt). Aber daraus wird nichts. Die beiden Männer, Zeitsoldaten in Afghanistan, sind die Protagonisten des WDR-Fernsehfilms „Auslandseinsatz“. Klein ist der Cowboy, der gerne mit Waffen hantiert und schlechte Witze reißt. Gerber ist der Bürger in Uniform, ernsthaft, selbstkritisch und etwas naiv. Über die Taliban, die Mädchen mit lackierten Nägeln zur Strafe die Finger abschneiden, sagt Klein: „Die sollte man alle umbringen.“ Gerber erwidert: „Man muss was in den Köpfen ändern.“

Es dauerte Jahre, bis der Film realisiert wurde

Seit Anfang 2002 ist die Bundeswehr als Teil der Isaf (International Security Assistance Force) in Afghanistan im Einsatz, voraussichtlich Ende 2014 werden die letzten Truppen abziehen. Im fiktionalen Fernsehen ist das Thema immer mal wieder aufgetaucht, in Krimis wie dem „Polizeiruf 110: Klick gemacht“ oder in Dramen über traumatisierte Soldaten, die sich zu Hause nicht mehr zurechtfinden. Koffler hat so einen Heimkehrer in „Nacht vor Augen“ beeindruckend gespielt. Mit „Auslandseinsatz“ habe er nun „die Chance, gewissermaßen die Vorgeschichte“ zu erzählen, sagt er. Vielleicht braucht es dafür Zeit und Abstand. Aber dass sich das Fernsehen erst nach gut zehn Jahren einen Film über den Afghanistan-Krieg zugetraut hat, der durchgängig vor Ort spielt, muss man nun auch nicht als besondere Tapferkeit auffassen, wie es die PR der ARD suggeriert. Zumal es Jahre dauerte, ehe „Auslandseinsatz“ realisiert wurde.

Gelohnt hat es sich jedenfalls: Die weitgehend in Marokko gedrehte Inszenierung von Regisseur Till Endemann („Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen“) ist von Beginn an packend und zugleich differenziert, bis zum schonungslosen Ende. Kaum eine Szene, in der sich nebenbei nicht Fragen zu Politik und Moral, zum Verhältnis zwischen Kulturen und Religionen eröffnen. Was ist richtig, was ist falsch in Afghanistan? Gewissheit hat hier nur das Scheitern der westlichen Strategie und die Fortsetzung der afghanischen Tragödie.

Die Bundeswehr meint es gut

Der Drehbuch-Autor Holger Karsten Schmidt („Mörder auf Amrum“, „In Sachen Kaminski“) erzählt dies aus der Perspektive der deutschen Soldaten und ihres Alltags aus Staub, Hitze und der Angst vor Anschlägen. Gerber und Klein fahren mit ihrer Einheit ins Dorf Milanh, knüpfen Kontakte, bauen die zerstörte Schule wieder auf – und geraten des Öfteren in den Zwiespalt zwischen Hilfsauftrag und Nicht-Einmischungs-Befehl. Überzeugend auch die differenzierte Darstellung der afghanischen Seite: Der Malik (Vedat Erincin), der Dorfvorsteher, manövriert klug, aber aussichtslos zwischen Besatzern und Taliban, zwischen behutsamer Öffnung und brutalem Traditionsanspruch. Kultureller Grenzgänger ist der aus Afghanistan stammende Bundeswehrsoldat Emar Demil (Omar El-Saeidi). Und neben ihm weiß die freiwillige Helferin Anna Wöhler (Bernadette Heerwagen) am meisten von dem Land.

Die Bundeswehr drückt ihren Soldaten dagegen ein Merkblatt mit den „wichtigsten Begriffen auf Paschtun“ in die Hände. Ihre Soldaten schießen natürlich nur auf die Bösen, „Kollateralschäden“ haben allein die Amerikaner zu verantworten, im Gegensatz zur Realität, in der bei einem von einem Bundeswehr-Offizier angeforderten Luftangriff mehr als 140 Zivilisten starben. Auch der Hauptmann Glowalla (Devid Striesow) ist kein Zerrbild eines Bundeswehr-Spieß’, unterdrückt aber die Nachricht über einen Taliban-Angriff, bei dem ein afghanisches Mädchen getötet wird. „Keine Beunruhigung zu Hause“, befiehlt Glowalla. War sicher gut gemeint.