Über Nacht stehen im schwäbischen Dettingen triste Wohncontainer auf dem Festplatz. Sie sollen neue Heimat für 30 Flüchtlinge sein. Die Wut der Bürger auf die Behörden ist anfangs groß.

Dettingen - Und dann haben wir uns gesagt, die armen Menschen können doch nichts dafür, wie schlecht das hier gelaufen ist, jetzt schimpfen wir nicht weiter “, sagt Uschi Liedtke auf dem Festplatz in Dettingen an der Erms. Hier stand sie auch am 19. Juni, als Dettingens Bürgermeister Michael Hillert und Reutlingens Landrat Thomas Reumann heftig attackiert worden sind. Und hier stehen Container für 30 Asylbewerber. „Die Container kamen quasi über Nacht auf unsere viel frequentierte Festwiese“, berichtet Uschi Liedtke weiter, „da war eine Wut da, wie mit uns Bürgern umgegangen wird. Und zugegeben, es gab auch Ängste.“ So in der Richtung, was kommt da bloß auf alle zu?

 

Der Landrat räumt Fehler ein

Der Gemeinderat war vor Monaten vom Landratsamt informiert worden, dass 30 Menschen aus fernen Ländern nach Dettingen kommen sollten. Dann war es still um das Thema geworden. Bis sich für alle völlig überraschend die kühl wirkenden Container hier breit machten. In unmittelbarer Nähe von Freibad, Kindergärten, Tennisplätzen – und den Altglascontainern. Bürgermeister wie Landrat räumten damals Fehler beim Vorgehen ein. Claudius Müller, zuständiger Dezernent im Landratsamt tut es jetzt auch. Man sei überrascht gewesen vom Tempo des Bauunternehmens in der Hülbenstraße 105. Die Adresse gab es bisher gar nicht. Von vorbereitenden Arbeiten für mobile Bausysteme sei die Rede gewesen. „Ans Ausmessen haben wir da gedacht, dabei standen schon die Bagger da“, erinnert sich Müller. Alles war fertig, bevor die im Landratsamt bereits vorbereitete Erklärung die Bevölkerung erreicht hatte.

Auch Wochen nach dem Aufstellen der Container vermuten die Bürger Absicht hinter dem Tun der Behörden. Ein Dettinger Rentner, der mit seinen drei Hunden unterwegs ist, ärgert sich: „Die wollten uns übertölpeln, alles sollte stehen, bevor es Proteste geben konnte.“ Darauf angesprochen, heißt es im Landratsamt: „Da überschätzt der Mann unsere Fähigkeiten.“

Der Ruf der Fremdenfeindlichkeit streift den Ort

Der Widerstand regte sich. Dettingen wurde vom Ruf der Fremdenfeindlichkeit gestreift, verborgen hinter der Standortkritik. So sah es von außen aus. „In Dettingen ist das Kind in den Brunnen gefallen, die Bevölkerung war auf die Ankunft der Asylbewerber überhaupt nicht vorbereitet“, kommentiert Daniel Lede Abal, integrationspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag. Es wieder aus dem Brunnen zu holen „war nicht einfach, aber es gelingt“.

Das passt zu einer weiteren Aussage des argwöhnischen Rentners: „Ach Gott, irgendwo müssen die Menschen ja leben.“ Toleranz walten zu lassen reicht gut drei Dutzend Dettingern nicht aus. Sie wollen etwas tun. Sie wollen helfen. Sie gründeten einen Unterstützerkreis. „Quer durch die Bevölkerung machen Leute mit“, führt Dieter Schweizer aus, „wir wollen uns aber nicht vor einen Karren spannen lassen.“ Er denkt dabei an Kirchen und Parteien. Das Motto der Gruppe: „Die Leute sollen sich wohlfühlen, es sind Dettinger Gäste.“ Die Gäste ohne jede Orts- und jede Sprachkenntnis erhalten Stadtführungen im VW Bus. Wo kann man einkaufen, wo ist die Apotheke? Ein Deutschkurs wird für die Menschen aus Tschetschenien, Syrien, Iran, Kamerun und Nigeria organisiert. Sie sollen doch wenigstens sagen können: „Ich möchte bitte ein Brot kaufen.“

Die Panik im fremden Land

Keine Namen, keine Altersangabe, keine Fotos – unter diesen Voraussetzungen sind Gespräche mit den Asylbewerbern von den Behörden gestattet. Die Dettinger Steinmetzin Birgit Keinath übernimmt die Rolle der Dolmetscherin für Russisch, sie lebte vor zwei Jahrzehnten 18 Monate in Russland. „Jetzt kommt die Sprache wieder hoch“, sagt sie lachend. Ebenso hilfsbereit und Übersetzer für alles Arabische ist Architekt Adel Makram. „Ich kam vor 22 Jahren aus Ägypten nach Dettingen“, sagt er fröhlich.

„Am Anfang hatte ich Panik in dem fremden Land“, meint eine Tschetschenin, und schaukelt ein Baby auf dem Arm. „Aber jetzt kann ich gut schlafen, es ist sehr ruhig hier.“ Vor drei Monaten hat die Familie ihr Land verlassen. „Ein normales Leben ist in Tschetschenien nicht mehr möglich“, sagt ihr Mann. In den beiden Kriegen habe man gewusst, wer der Angreifer ist, heute kommen Attacken von allen Seiten. Er zeigt auf Schusswunden im linken Arm, eine Fingerkuppe fehlt. „Alles von 2012, aus der Friedenszeit“, sagt er leise, „in Deutschland kann man ruhig leben, hier wird sogar gelächelt.“ Der kleine Junge bekommt nicht viel mit, die mittlere Tochter hat Spaß, die ältere, eine Teenagerin, verzieht sich meistens in die Unterkunft.

Diesen Menschen gemein ist Höflichkeit, Interesse, auch der offene Blick. Zwei Familien stammen aus Syrien. „Wir verfolgen die politische Lage im Fernsehen“, sagt ein Mann, „und natürlich leben zu Hause viele Freunde und Verwandte“. Wie der Tagesablauf hier ist? „Eine Stunde Deutsch, viel spazieren gehen.“ Arbeiten wollen die Männer, „um das Geld geht es uns nicht“. Lässt es sich in der Unterkunft leben? „Bitte sehr, kommen Sie doch herein!“

Im Inneren des Containers

In einem langen, breiten Flur öffnen sich Türen. 14 Quadratmeter hat jeder der 15 Wohncontainer, eine Familie erhält deren zwei mit Verbindungstür. Tisch, Metallgestelle mit Matratzen, blaue Plastikstühle, Fernseher, Kühlschrank, die Wände sind kahl. Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsduschen getrennt nach Geschlechtern. Einen Gemeinschaftsraum für die Wäsche gibt es auch.

Aus Nigeria stammt eine hochschwangere Frau. 2007 floh sie nach Libyen. In diesem März kam sie in Italien an. „Mit dem Boot.“ Sie meint eines dieser Schiffe, die ohne Havarie Lampedusa erreicht haben. „Ich habe Angst vor dem Winter“, beginnt eine junge Iranerin das kurze Gespräch. Dettingen habe eine sehr schöne Landschaft, aber der Ort sei eher nichts für junge Leute. Stuttgart sei da anders, wurde ihr gesagt. Sie will Deutsch lernen, ihr Englisch verbessern, ein Fitness-Studio besuchen. Und sie klagt über eine miese Internetverbindung.

Eine Notlösung für maximal drei Jahre

Die Container sind für Claudius Müller vom Landratsamt eine „Notlösung“ für maximal drei Jahre. Sie sei unumgänglich, weil „die Zahlen der Asylbewerber durch die Decke gehen“. Satt 35 im Jahr 2008 muss der Kreis Reutlingen nun 385 Asylbewerber unterbringen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer im Land liegt bei neun Monaten, mitunter vergehen bis zu einer Entscheidung vier Jahre. Die Verbleibquote, dazu gehören auch Menschen, die trotz eines ablehnenden Bescheids nicht zurückgeschickt werden, liegt bei 60 Prozent.

Im Kreis Reutlingen werden Gebäude eigens errichtet wie etwa in Münsingen, es werden Wohnungen gekauft oder angemietet – doch die Marktlage ist schwierig. Idealerweise bildeten sich drei Monate vor der Ankunft von Asylbewerbern Unterstützerkreise, sagt Müller, „die Integrationskraft einer Gemeinde darf nicht überfordert werden“. Strukturen braucht es, damit die Menschen aufgefangen werden. Viele sind traumatisiert, können nachts nicht schlafen und haben am Tag nichts zu tun. Gerne werden Leute aus verschiedenen Ländern unter einem Dach untergebracht. „Mitglieder einer Nation schotten sich gern völlig ab“, lautet eine Erkenntnis.

Die Vorbereitungsphase fiel in Dettingen weg. Doch Uschi Liedtke erinnert an jene Dettinger, die vor 150 Jahren nach Amerika ausgewandert sind: „Jetzt kommen eben Menschen zu uns.“ Dieter Schweizer ist stolz auf sein Schwäbisch und auf sein Dettingen. Mit strahlenden Augen lässt er wissen: „Die Leute im Ort sollen nicht sagen, das sind die Asylanten. Sie sollen sagen, das sind unsere Asylanten.“