Als Zeuge vor einem U-Ausschuss könnte der Chef der baden-württembergischen Atomaufsicht in Hessen Erhellendes zum Atomausstieg berichten. Doch er darf dort nicht aussagen: Bundesumweltministerin Hendricks verweigert ihr Plazet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein bemerkenswertes Interview, das Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kürzlich der taz gab. Mehrfach erkundigte sich der Fragesteller, ob ihr nicht an der Aufklärung der Vorgänge rund um die Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis gelegen sei. Mehrfach antwortete Hendricks, dazu wolle sie schon beitragen, aber wichtiger sei es ihr, die unberechtigten Schadenersatzforderungen der Energiekonzerne wegen des Atomausstiegs nach Fukushima abzuwehren. „Meine Hauptverantwortung als Ministerin ist es, Schaden vom Staat und damit vom Steuerzahler abzuwenden.“ Das trotzige Bekenntnis wurde besonders im schwarz-grün regierten Hessen mit Verwunderung aufgenommen.

 

Dort herrscht parteiübergreifend ohnehin Kopfschütteln über die Sozialdemokratin, weil sie einem einstigen Mitarbeiter ihrer Atomaufsicht die Erlaubnis zur Aussage vor dem U-Ausschuss verweigert. „Äußerst bedauerlich“ nannte das die Landtags-CDU, die Grünen ermahnten die Ministerin, „die parlamentarische Aufklärung nicht zu hintertreiben“. Die FDP sprach von „Blockadehaltung“ und appellierte an die SPD, sie solle die Genossin „zur Vernunft bringen“. Selbst aus den Reihen der Sozialdemokraten erntete Hendricks Unverständnis; womöglich müsse man ihr die Aussagegenehmigung juristisch abringen, überlegte ein SPD-Abgeordneter.

Umweltministerin Hendricks stellt sich stur

Drei einstige Vertreter des Bundesumweltministeriums wollte der Ausschuss eigentlich am vorigen Freitag hören: den ehemaligen Staatssekretär, den ehemaligen Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit und den ehemaligen Chef der für die Bundesaufsicht zuständigen Arbeitsgruppe. Am Ende kam kein einziger Zeuge, teils, weil Hendricks’ Haus sich weigerte, die Anschriften herauszugeben, teils, weil es keine Aussageerlaubnis erteilte.

Schweigen musste so ein heute in Baden-Württemberg tätiger Spitzenbeamter, der zusehends zu einer Schlüsselfigur im Millionenpoker um den Atomausstieg wird: der Jurist Gerrit Niehaus, seit Ende 2011 Chef der Atomaufsicht im Umweltministerium von Franz Untersteller (Grüne), damals Leiter der besagten Arbeitsgruppe Bundesaufsicht im Röttgen-Ressort.

Die Akten zeigten, dass Niehaus viel zur Aufklärung beitragen könnte, heißt es in Wiesbaden. Doch Hendricks stellt sich stur: Aussagen lasse man nur die Zeugen, die 2011 „für das politische Handeln des Ministeriums verantwortlich waren“, also den damaligen Minister Norbert Röttgen (CDU), den Staatssekretär und den Abteilungschef. „Untergeordnete Mitarbeiter“ bekämen generell keine Erlaubnis, weil die Entscheidungen auf der politischen Ebene gefallen seien. Dass sich die Hausspitze über Warnungen der Fachebene hinweggesetzt und so die heutigen Schadenersatzklagen befördert habe, nannte die SPD-Frau einen Verdacht, der „durch nichts begründet“ sei.

Ein fragwürdiger „Gefahrenverdacht“

Das ist zumindest eine kühne Interpretation dessen, was in den hektischen Wochen nach Fukushima im Bundesumweltministerium ablief. Damals wurde intensiv überlegt, wie sich das von Bundeskanzlerin Angela Merkel eilends verkündete dreimonatige „Moratorium“ rechtlich umsetzen ließe. Gewählt wurde schließlich ein Weg, der Juristen schon seinerzeit als ziemlich fragwürdig galt: eine aufsichtliche Anordnung nach dem Atomgesetz, die mit „Gefahrenverdacht“ begründet wurde; dabei hatte sich durch Fukushima an der Sicherheit der betroffenen Altmeiler eigentlich nichts geändert. Ausgesprochen wurde die Anordnung von den zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder. Der Bund erteilte keine Weisung – man war sich ja einig –, gab aber Formulierungshilfe. Die Klagen von Eon, RWE und EnBW auf insgesamt 880 Millionen Euro Schadenersatz richten sich daher gegen beide Ebenen.

Die Rebellion der Atomaufseher

Schon damals hatte Niehaus, der sich auf Anfrage nicht äußern wollte, intern vor möglichen Haftungsrisiken gewarnt. Der Bund könne womöglich auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die Länder das täten, was Berlin wolle. Umso wichtiger sei es, den behaupteten Gefahrenverdacht fachlich abzusichern. Doch ausgerechnet der als exzellenter Fachmann geschätzte Beamte und seine Mitarbeiter blieben dabei weitgehend ausgeschlossen: Nur von der Reaktorsicherheitskommission ließ Minister Röttgen und der als atomfreundlich geltende Abteilungschef Gerald Hennenhöfer die Kernkraftwerke überprüfen, die eigenen, womöglich kritischeren Experten durften nicht daran mitwirken. Auf der Arbeitsebene herrschte darüber helle Empörung, per Protestbrief wandten sich Niehaus & Co. sogar an Minister Röttgen – ein bemerkenswerter Vorgang, über den die StZ bereits im April 2011 berichtete. Nun befindet sich das nie öffentlich gewordene Schreiben offenbar in den Unterlagen des Biblis-Ausschusses. Was Wunder, dass die Abgeordneten den Verfasser gerne dazu befragen würden.

Bouffiers Brief – bestenfalls naiv

Wurde die Warnung der Fachebene damals fahrlässig ignoriert oder gar bewusst? Sollte den Energiekonzernen, entgegen dem öffentlich suggerierten harten Vorgehen, gar der Weg zu Schadenersatzklagen bereitet werden? Dann hätte es im Hintergrund ein fraglos skandalöses Gekungel gegeben. Nahrung erhielt dieser Verdacht durch das kürzlich bekannt gewordene Schreiben, mit dem der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann beim hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier im Sommer 2011 einen Bescheid bestellte, dass Biblis auch nach dem Moratorium nicht wieder angefahren werden dürfe; dabei berief er sich auf eine Absprache mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU). Bouffiers Antwort, seine Atomaufsicht würde im Schulterschluss mit dem Bund dagegen vorgehen, dient allen drei Konzernen heute als Munition für ihre Millionenklagen. Der Hessen-Premier relativiert das Dokument zwar als „politisches“ Schreiben ohne rechtliche Relevanz; „ehrenrührig“ und falsch, empörte er sich, sei die Unterstellung, er hätte zum Nachteil seines Landes gehandelt. Doch nicht nur die FDP weist das als „Unsinn“ und „reine Schutzbehauptung“ zurück. Bestenfalls, sagen Insider, habe Volker Bouffier damals völlig naiv agiert – oder eben doch im Sinne der Konzerne.

Ex-Kanzleramtschef Pofalla als Zeuge

Nach der geplatzten Anhörung von Niehaus setzt der Biblis-Ausschuss nun darauf, dass Umweltministerin Hendricks doch noch einlenkt. Ihre Sorge, seine Aussage könne die Prozesschancen des Bundes schmälern, gilt Kennern der Materie als unbegründet. Über Anträge nach dem Umweltinformationsgesetz haben sich Eon und RWE ohnehin alle einschlägigen Unterlagen von der Bundesregierung beschafft, als Munition für ihre Klagen; die internen Abläufe liegen für sie so klar zu Tage. Für die Öffentlichkeit könnten sie bei den nächsten Zeugenterminen in Wiesbaden transparenter werden: Im Februar und März sollen Ex-Kanzleramtsminister Pofalla, Ex-RWE-Chef Großmann und Ex-Umweltminister Röttgen gehört werden.