Wie lange kann sich Rupert Stadler noch an der Audi-Spitze halten? Zwar wurde sein Vertrag bis 2022 verlängert – allerdings nur unter der Bedingung, dass die Konzernführung eine personelle Neuaufstellung vorbereitet. Stadler ist damit praktisch nur noch ein Vorstandschef auf Abruf.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Audi-Vorstandschef Rupert Stadler hat am Mittwoch bei einem Kongress der Vereinten Nationen in Genf für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz geworben. Dabei forderte er einen Diskurs, der die „enormen Potenziale des pilotierten und autonomen Fahrens“ unter ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet. Audi hatte dazu vor zwei Jahren mit Wissenschaft und Wirtschaft das Netzwerk „Beyond“ aufgebaut.

 

Dass Stadler an der Zukunft des Autos in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender noch sehr lange mitwirken wird, erscheint jedoch immer fraglicher. Zwar wurde sein Vertrag nach zehn Jahren im Amt gerade erst bis zum Jahr 2022 verlängert, doch soll er nicht so lange bleiben. Nach Informationen dieser Zeitung hat der Aufsichtsrat die Verlängerung an die Zusage von Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller geknüpft, dass die gesamte Führungssituation innerhalb der nächsten sechs Monate überprüft wird. „Zunächst muss mal der Konzern wissen, wo er personell hin will“, sagt ein mit den Vorgängen vertrauter Insider. So müsse in diesem halben Jahr eine Strategie auf den Tisch kommen, wie die Führungsriege speziell bei Audi, aber auch bei VW aufgestellt werden kann.

Müller bereitet eigene Nachfolge vor

Folglich hat der 54-jährige Stadler nun die finanzielle Absicherung eines Fünf-Jahres-Vertrags, der vielleicht auch einen neuen Job im Konzern bringt, dennoch wird nach Nachfolgekandidaten Ausschau gehalten. Im Konzern bietet sich bisher keiner an, so wird auch außerhalb gesucht. Die Suche scheint sich schwierig zu gestalten, sonst wäre die Vertragsverlängerung unnötig oder zumindest ein bestimmter Zeitraum für die Ablösung ins Auge gefasst worden.

Bei der Neuaufstellung geht es letztlich auch um den früheren Porsche-Chef Müller, der an diesem Freitag den 64. Geburtstag feiert. Sein Vertrag läuft bis Mitte 2020. Jüngst hatte er angekündigt, den Nachfolgeprozess selbst einleiten zu wollen. „VW hat ein Führungsproblem und wahrscheinlich andere auch“, sagt der Insider.

Nicht nur Stadler auf der Abschussliste

Vor allem jedoch Stadler und andere Audi-Vorstandsmitglieder wie Hubert Waltl (Produktion) und Axel Strotbek (Finanzen) stehen im Fokus. „Mindestens drei oder vier“ vom Management „müssten gehen“, heißt es. Ihnen werden diverse Fehler angekreidet – insbesondere die Aufarbeitung des Dieselskandals, in den Audi immer tiefer hineingerät. Weltweit 2,1 Millionen Fahrzeuge sind davon tangiert. Aber auch das momentan 20-prozentige Absatzminus am größten Markt China, wo sich die VW-Tochter einen heftigen Konflikt mit den Vertragshändlern geleistet hat, beschädigt die lange Zeit so glänzende Bilanz des Managements. Für Unmut sorgt weiterhin, dass die Führungskräfte den Angaben zufolge Vereinbarungen mit der Arbeitnehmerseite nicht eingehalten haben.

Das beredte Schweigen der Arbeitnehmerseite

All dies könnte die Beschäftigten direkt treffen, so die Furcht, weshalb auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mittlerweile mehrheitlich auf Distanz zu Stadler gehen. Der offene Bruch ist bisher wohl nur deswegen nicht erfolgt, weil der Betriebsrat befürchtet, Kostendrücker wie den nahezu verhassten VW-Markenvorstand Herbert Diess als Stadler-Nachfolger aufs Auge gedrückt zu bekommen. Die IG Metall in Neckarsulm mag sich zu all dem nicht äußern – ein beredtes Schweigen. Es hängt nicht nur mit der üblichen Arbeitsteilung von Gewerkschaft und Betriebsrat zusammen. Auch will jetzt niemand noch Partei für Stadler ergreifen. Audi-Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch immerhin hält die Kommunikationsstrategie des Unternehmens für nicht zufriedenstellend.

Selbst ohne neue IG-Metall-Einlassungen verkürzt jede weitere Hiobsbotschaft den Verbleib von Stadler im Amt. Dazu gehört die Reiberei mit Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Dieser hatte vorige Woche eine „unzulässige Abgas-Software“ in den Oberklasse-Modellen Audi A8 und A7 mit V6- und V8-Dieselmotoren festgestellt, wonach bei 24 000 Autos der Ausstoß an gesundheitsschädlichen Stickoxiden (NOx ) höher ist, als es die Abgasnorm Euro 5 erlaubt. Nach Audi-Darstellung liegt ein Fehler in der Getriebesoftware zugrunde, keine gezielte Manipulation. Audi will selbst für Aufklärung gesorgt haben: Man habe bisher sechs Millionen Getriebe durchgearbeitet und bei 24 000 Autos in Europa „Auffälligkeiten gefunden“, sagte Stadler. Demnach wurden diese Erkenntnisse Ende Mai dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) übermittelt. Bereits am 1. Juni trat Dobrindt damit vor die Medien – nachdem er VW-Chef Müller vorab informiert hatte.

Unverständnis für Reiberei mit Dobrindt

Dass Stadler den CSU-Politiker dennoch anging und ihm Wahlkampf-Manöver unterstellte („Dass Herr Dobrindt allein vorprescht, hat mich persönlich sehr enttäuscht“), wurde im Konzern mit großem Unverständnis beobachtet. Stadler sei „etwas übers Ziel hinausgeschossen“, sagte ein VW-Sprecher – gewiss auf Anraten von ganz oben. Derart öffentlich angezählt zu werden, ist so ungewöhnlich wie symptomatisch. Vom „Verlust an Realitätssinn“ und „Ignoranz“ ist im Umfeld des Aufsichtsrates die Rede, weil Stadler ausgerechnet Dobrindt angegriffen hat, der wegen eines angeblich liebedienerischen Kurses gegenüber der Automobilindustrie seit Längerem in der Kritik steht.

Bekannt wurden seither auch Abweichungen der Kohlendioxidwerte bei 2000 A8-Fahrzeugen mit Zwölfzylinder-Motor. Derweil hat der von der US-Justiz eingesetzte „Compliance-Monitor“, Larry Thompson, sein Amt in Wolfsburg angetreten und gleich angekündigt, auch Audi unter die Lupe zu nehmen. Der frühere US-Staatssekretär soll sicherstellen, dass sich Betrügereien wie bei „Diesel-Gate“ nicht wiederholen und dass sich der Konzern an seine Zusagen gegenüber den US-Behörden hält. Sein Job ist vorerst auf drei Jahre angelegt. Dafür hat der Aufpasser ein 20-köpfiges Team zur Verfügung, das noch auf 60 Mitarbeiter erweitert werden könnte.