Ein Besuch in Todtnauberg im Schwarzwald, wo der Philosoph Martin Heidegger auf der Sturmhöhe lebte, sich als Geheimnis inszenierte, den Antisemitismus pflegte und zum Vorbild des Antimodernismus wurde.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Todtnau - In der Nacht hat es über dem Feldberg geschneit. Man sieht jetzt jeden Schritt oberhalb von Todtnauberg auf dem Martin-Heidegger-Rundweg, also auch, dass schon Menschen zur Hütte hinabgestiegen sind. Vor dem Elektrozaun steht ein Schild, das sprachlich und inhaltlich unmissverständlich ist: „Privatbesitz“. Die Hütte gehört den Erben der Familie Heidegger. Der Philosoph hatte zwei Söhne, eine Pflegetochter, vierzehn Enkel und mehr als zwanzig Urenkel. Aber es ist, den vielen Trittspuren ringsum zum Trotz, keiner von ihnen da. Die Läden zu, die Tür geschlossen.

 

Von August 1922 an zieht Heidegger, geboren 1889, gestorben 1976, immer wieder für ein paar Tage oder Wochen in der Todtnauberger Hütte ein, um neben der Universität und dem Haus in Freiburg „einen stillen Ort zum Arbeiten und Denken zu haben“. Seine Frau Elfride kauft das Grundstück und handelt mit dem Land Baden 1931 noch aus, dass Strom gelegt wird. Dort oben ist Heidegger in seinem antizivilisatorischen Element. Als er in den zwanziger Jahren an seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ arbeitet, klingen die Briefe an den damaligen Freund Karl Jaspers wie eine Reihe von Alphornrufen: „Freue mich sehr auf die starke Luft der Berge.“ – „Nach der Gesellschaft der Professoren habe ich kein Verlangen. Die Bauern sind viel angenehmer und sogar interessanter.“ – „Es ist schon tiefe Nacht – der Sturm fegt über die Höhe, in der Hütte knarren die Balken, das Leben liegt rein, einfach und groß vor der Seele . . . Zuweilen begreife ich nicht mehr, daß man da unten so merkwürdige Rollen spielen kann.“

Heidegger ist, wie seit 1933 (Parteieintritt: 1. Mai), seiner Freiburger Rektoratszeit („Wir wollen der Bewegung und ihrer Richtkraft Möglichkeiten der Weltgestaltung und der Entfaltung vorbauen . . .“) und spätestens seiner Zwangsemeritierung nach dem Krieg bekannt, Nationalsozialist gewesen. Auch war er, wie mit dem Erscheinen der „Schwarzen Hefte“ – privaten Aufzeichnungen – vor zwei Jahren offenkundig wurde, Antisemit. Ob dieser Antisemitismus die „Seynsgeschichte“, wie er immer schrieb, seines Werkes im Kern beeinflusste, darüber streitet die philosophische Zunft immer noch heftig. Dass er dem Nationalsozialismus – fälschlicherweise, wie er bereits 1938 dunkel ahnte – zugetraut hatte, er stehe „für die Möglichkeit eines Übergangs in einen anderen Anfang“, nämlich, pauschal gesagt, eine generell technikferne Welt mit antimodernistischen Zügen, steht außer Frage.

Die Liebesverbindung zu seiner Schülerin Hannah Arendt

Die technische Welt mit ihrem immanenten Hang zur Verstädterung und dem enormen Zug zur Unterhaltungsindustrie blieb für Heidegger, der nach dem Krieg bald und oft wieder als Orakel befragt wurde, stets die Gegenwelt: das „Gestell“. Trotz alledem galt der Philosoph, wie sein Schüler, der Jude Karl Löwith, einmal gesagt hat, lange Zeit als „der kleine dunkle Mann, der zu zaubern verstand“. Die Formel gilt von den Zeiten der Liebesverbindung zu seiner Schülerin Hannah Arendt an bis hin zum Austausch mit dem Dichter Paul Celan in den sechziger Jahren.

Celan hat die Schwarzwälder Hütte in seinem Gedicht „Todtnauberg“ verewigt: „Arnika, Augentrost, der / Trunk aus dem Brunnen mit dem / Sternwürfel drauf, // in der / Hütte, // die in das Buch geschriebene Zeile von / einer Hoffnung, heute, / auf eines Denkenden / kommendes / Wort / im Herzen . . .“ Man durfte das (auch) als symbolisch ausgestreckte Hand betrachten: Komm, lass uns reden. Celan war nobel. Heidegger war es nicht.

Arendt und Celan galten lange als positive Paten, wenn man sich mit Heidegger und seinem Werk beschäftigte, denn sie hatten – zumindest Arendt hatte dies ganz offensichtlich – Denken gelernt von ihm: Wo Heidegger allerdings, verkürzt gesagt, die Welt ausschließen wollte („jeder ist der Andere und keiner er selbst“), mochte Arendt sie, in „De Vita Activa“, aufschließen: Die Welt müsse, ganz im Gegenteil, „dauernd von Menschen besprochen werden“.

Darüber kamen Hannah Arendt und Martin Heidegger, nach Jahrzehnten des Schweigens, wieder vor der Hütte zusammen, über deren Innenleben man nur weiß, dass es ähnlich spartanisch gewesen sein muss (und ist), wie das Holzhaus von außen ausschaut. Ein Bild gibt es: Es zeigt ein weißes, kastenförmiges Grundig-Radio, das Heidegger aufs Regal gesetzt hatte, um in der Kubakrise im Oktober 1962 auf dem Laufenden zu bleiben. Hintergründig schmunzelt neben dem Empfangsgerät ein Holzhase als Dekorationsstück vor sich hin.

Ein Resthauch von leiser Magie

Draußen sieht man in die Weite der Schwarzwälder Welt, wie auf einem anderen ikonografischen Foto: Es entstand, als der Publizist Rudolf Augstein 1966 in der Hütte zu Gast war, um für den „Spiegel“ ein (für damalige „Spiegel“-Verhältnisse geradezu devotes) Gespräch zu führen, das freilich erst nach Martin Heideggers Tod erscheinen durfte, zehn Jahre später. Die Berge, der Blick, die tatsächliche und inszenierte Einsamkeit und ostentative Weltabgewandtheit: Es blieb ein Resthauch von, sagen wir, leiser Magie um Martin Heidegger.

Damit hat es, folgt man – und man kann eigentlich kaum anders – einem Aufsatz der Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums, in der „Zeit“, nun aber auch sein Bewenden. Es ist nämlich noch einmal eine Portion Briefe ediert worden, die Martin Heidegger zwischen 1930 und 1949 an seinen jüngeren Bruder Fritz adressierte (Herder Verlag).

Die Korrespondenz setzt damit ein, dass Martin Heidegger hemmungslos „Mein Kampf“ als Buch preist, auch wenn er die autobiografischen Kapitel als „schwach“ beurteilt. Bei der neuen nationalsozialistischen Volksbewegung, setzt er ins Detail gehend hinzu, komme es dabei nicht darauf an, ob sie „in den Augen einiger verängstigter ,Gebildeter‘ Niveau hat oder nicht“. Halbheit jedenfalls als Haltung sei Verrat, und Heidegger ist, kein Zweifel, dabei – mit einem eigens gebastelten Nationalsozialismus.

Wann immer sich seine verquollene und verkitschte Sprache stellen müsste, entzieht sie sich – in typisch Heidegger’schen Floskeln: Angesichts der flächendeckend einsetzenden Bombardierung des „Vaterlandes“ spricht der Philosoph davon, dass das „stille Licht des Seyns“ noch von der „Verdunklung“ zehre (3. September 1943). Er ist da im Übrigen in Todtnauberg, auf der Hütte, und wenn man jetzt im Nachmittagsdämmerlicht dahinter steht, dann wird einem ziemlich kalt, und gar nicht mal, weil es schneit und schneit.

Monströse Abfälligkeiten

Es sind, im oben erwähntem Aufsatz, nicht die monströsen Abfälligkeiten über „Juden und Weiber“, die Susan Neiman in der Neuveröffentlichung besonders beschäftigen, sondern vor allem Heideggers Beschreibung der Neuzeit als „unbedingtes Unwesen“. Dies sei, sagt Neiman, ein Angriff auf die Moderne, der bis heute fortwirke und auf einmal wieder Konjunktur habe: Linke wie Rechte kritisierten den Universalismus, den eigentlichen Kern der Aufklärung, der angeblich nur das Alibi für den Eurozentrismus liefere.

Dabei komme, entgegnet Neiman solcher Kritik, der Univeralismus „nicht aus dem Wunsch, alle Unterschiede zwischen Menschen oder Völkern zu beseitigen, sondern entstamme der Forderung, dass jeder das gleiche Recht und die gleiche Pflicht zum Selbstdenken haben soll“. Sie ist da sehr nahe bei Hannah Arendt und sehr weit weg von Heidegger, den sie mittlerweile zu denen zählt, die, mit Friedrich Nietzsche gesprochen, „ihr Gewässer trüben, damit es tiefer erscheine“.

Hier aber, hinter der Hütte, wo der Sternwürfel, den Celan gesehen hatte, noch den Brunnen schmückt, als sei die Zeit auf der Stelle getreten, standen sie fast alle – in Wirklichkeit oder metaphorisch gewendet: die Poststrukturalisten Michel Foucault (der Heidegger den „wesentlichen Philosophen“ nannte), Jacques Derrida und Richard Rorty. Jürgen Habermas hingegen, ein Gegner der Mystifikation, empfahl schon 1953 „mit Heidegger gegen Heidegger“ zu denken.

Ein Hexerhaus

In Freiburg, wo Heidegger wirkte, auch als er keine Lehrerlaubnis mehr hatte, hat jüngst eine Historikerkommission der Stadt in einem ausführlichen Gutachten geraten, den Namen Heidegger als Namensgeber eines Pfades am Stadtrand, unweit seines Wohnhauses, zu tilgen. Davon ist in Todtnauberg kein Gedanke. Auf ein paar Tafeln entlang des Rundwegs bescheinigen sich die Menschen vor Ort, ihn zwar nicht gelesen, aber doch irgendwie verstanden zu haben, wie er sie – und ihr „einfaches Denken“. Die Tafeln rezitieren Heideggers Raunen, selbst in Gedichtform: „Wälder lagern / Bäche stürzen/ Felsen dauern / Regen rinnt /Fluren warten / Brunnen quellen / Winde wohnen / Segen rinnt.“

Günter Figal, der sich über Martin Heidegger in Tübingen habilitiert hat und seit 2011 in Freiburg jenen Lehrstuhl für Philosophie innehat, der früher von Edmund Husserl und Martin Heidegger besetzt war, ist im vergangenen Jahr als Vorsitzender der Heidegger-Gesellschaft zurückgetreten. Er könne, sagte Figal damals, die Gesellschaft und damit die Person „nicht weiter repräsentieren“. In Günter Figals großer Heidegger-Studie „Phänomenologie der Freiheit“ von 1988 steht, wer den Versuch, Heideggers Denken „in seiner Einheitlichkeit zu verstehen“, für „undurchführbar“ halte, könne den „philosophischen Anspruch Heideggers nur noch als eine Selbsttäuschung betrachten“.

Das Befremdliche ist: Man kann diesem Ort oberhalb von Todtnauberg jetzt den Rücken zudrehen – und wird ihn doch nicht los. Martin Heideggers Hütte ist ein Hexerhaus.