Der VfB Stuttgart fühlt sich gut aufgestellt, der Trainer arbeitet energiegeladen und die Fans sind hoffnungsvoll. Insgesamt herrscht in Stuttgart vor dem Heimspiel am Samstag gegen Manchester City eine Aufbruchstimmung.

Stuttgart - Wenn der VfB Stuttgart an diesem Samstag (17 Uhr) auf Manchester City trifft, geht es eigentlich um nichts oder zumindest um keine Punkte und höchstens um die Ehre. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Partie im Europapokal wie einst beim legendären 2:1-Sieg am 1. Oktober 2003 gegen den City-Lokalrivalen Manchester United, sondern nur um das letzte Testspiel vor dem Auftakt der Bundesliga.

 

Trotzdem wird das Stadion gut gefüllt sein. So wurden jetzt bereits im Vorverkauf 30.000 Karten abgesetzt. Die große Nachfrage ist aber nur ein weiterer Hinweis auf den neuen Geist, der ganz offensichtlich im Umfeld des Clubs entstanden ist und der sich auf verschiedene Weise bemerkbar macht. „Die Begeisterung ist überall spürbar“, sagt der Präsident Bernd Wahler.

Der VfB ist also wieder in. Das ist das Fazit der jüngsten Entwicklung – und das belegen beispielsweise die 4000 Anhänger, die am 29. Juni zum Trainingsauftakt nach der Sommerpause auf das Vereinsgelände geströmt sind, um dort sich und die Mannschaft zu feiern. It’s Partytime. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das neue Trikot mit dem durchgehenden roten Brustring präsentiert. Mehr als 7000 dieser Leibchen sind inzwischen alleine im VfB-Fanshop schon verkauft (der Absatz im Handel kommt noch hinzu) – und damit zwischen 30 und 40 Prozent mehr als im Vorjahr zu diesem Zeitpunkt, eine stolze Steigerungsrate.

Dazu passt auch, dass der Club in den vergangenen Wochen ohne besondere Aktionen zu fahren rund 1000 neue Mitglieder gewinnen konnte, wodurch die Gesamtzahl auf knapp 45.000 angewachsen ist. Auch der Absatz der Vip-Logen und Businessseats in der Arena ist mindestens auf dem Niveau von 2014, leicht darüber liegt weiter der Dauerkartenverkauf mit fast 29.000 Tickets. Das sind rund 1000 mehr als im August 2014. Die 30.000er-Grenze dürfte in diesem Monat sogar überschritten werden – eine Dimension, die der VfB noch nie erreicht hat. Und die Servicehotline auf der Geschäftsstelle steht nicht still. Die Angestellten müssen Überstunden machen, um den Ansturm zu bewältigen und die Bestellungen der Kundschaft abzuarbeiten. „Wir merken deutlich, dass die Zuversicht und das Vertrauen bei den Leuten zurückkommen“, sagt der VfB-Marketingvorstand Jochen Röttgermann. Aber was steckt dahinter? Was sind die Gründe für diese Aufbruchstimmung?

Das Saisonfinale 2014/2015

Wer die Atmosphäre im Mai beim letzten Heimspiel gegen den Hamburger SV miterlebt hat, spürte sofort, dass da etwas Besonderes entstehen könnte – ein spezieller Zusammenhalt, den es zuvor nicht gab. Der Abstiegskampf hat auf allen Ebenen zu einem Schulterschluss mit dem VfB geführt – in der Stadt, in der Region und nach dem Motto: Wir kämpfen gemeinsam für den Klassenverbleib. Nach dem Schlusspfiff gegen den HSV hätte man meinen können, dass der Verein gerade Meister geworden ist. Dabei hatte er sich nur die Chance erhalten, mit einem Sieg beim Finale in Paderborn den Sturz in die zweite Liga zu verhindern – was dann ja auch gelungen ist. Drei Siege nacheinander feierte der VfB am Ende – eine Serie, die das Team lange nicht mehr geschafft hatte. Dadurch entstand eine Euphorie, obwohl die Gegner aus Mainz, Hamburg und Paderborn nicht gerade gehobenen Bundesliga-Ansprüchen genügten. Aber unter dem Strich zählte das nicht, sondern nur, dass sich der VfB auf den allerletzten Drücker noch gerettet hatte. Diese Glücksmomente hatten zur Folge, dass sich plötzlich wieder viele Menschen mit dem Club identifizierten, mit dem sie zuvor schon fast gebrochen und abgeschlossen hatten. Das ist der Stand von heute.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit

Zwei Tage nach dem Saisonfinale ging der VfB an die Öffentlichkeit – mit einem denkwürdigen Auftritt des Managers Robin Dutt, den es so im Geschäft Profifußball noch nicht oft gegeben hat, wenn überhaupt. Schonungslos rechnete Dutt mit den alten Zeiten ab – und ohne explizit den Namen zu nennen, vor allem mit seinem Vorgänger Fredi Bobic. Wohl überlegt waren diese Attacken, da sie nach StZ-Informationen schon vor der Partie in Paderborn vom gesamten VfB-Führungszirkel besprochen und beschlossen wurden. Dutt redete Tacheles. Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht im Vergleich zur Krisenbewältigung ein Jahr zuvor, als der Verein zwar angekündigt hatte, jeden Stein umdrehen zu wollen, ohne dass das danach auch passiert wäre. Jetzt folgten Konsequenzen auch personeller Art, indem das Management neu strukturiert und ausgerichtet wurde. In der Szene und bei vielen anderen Vereinen sorgte Dutts verbaler Rundumschlag zwar für Verwunderung und löste hauptsächlich negative Reaktionen aus, aber bei den meisten Stuttgarter Fans bewirkten die offenen Worte das Gegenteil. Zu lange hatten sie das Gefühl, dass die Probleme beim VfB vertuscht werden sollten. Jetzt lagen sie erstmals auf dem Tisch.

Die neue Vereinsführung

Im August 2014 bestand der Vorstand noch aus Bernd Wahler, Ulrich Ruf und Fredi Bobic – und damit aus Personen, die nach Ansicht der Anhänger den Niedergang in den vergangenen Jahren maßgeblich zu verantworten hatten. Im August 2015 besteht das Gremium aus Bernd Wahler, Robin Dutt, Stefan Heim und Jochen Röttgermann. Neue Leute – ein Neuanfang. „Irgendwann mussten wir ja die Entscheidung treffen, zurück auf Start zu gehen“, sagt Wahler. Die Fans haben lange darauf gewartet, dass beim VfB eine andere Unternehmenskultur einzieht, aus der dann auch eine intensivere Kommunikation mit der Basis resultieren könnte. Nun ist zumindest die Hoffnung da, dass sich dieser Wunsch erfüllt. Das ist das nach vorne gerichtete Zeichen des VfB an seine Fans, die angesichts der alten Denkweisen und überholten Verhaltensmuster in ihrem Club schon regelrecht frustriert waren. Wichtig war es zudem für Dutt, Heim und Röttgermann, dass ihre Berufung in den Vorstand nicht mit dem zweiten Abstieg aus der Bundesliga nach 1975 in Verbindung gebracht wird. So haben die Anhänger inzwischen ein stimmigeres Gesamtbild vom VfB als noch vor wenigen Monaten. Der Eindruck ist da – es verändert sich etwas.

Der neue Trainer

Alexander Zorniger geht in die Knie. Das macht der neue Trainer des VfB gern, wenn er die Spieler bei den Übungseinheiten beobachtet. Er lehnt sich dann mit dem Ellbogen auf ein Bein und stützt das Kinn mit der Hand ab. Wie ein Denker sieht er dann aus. Gelegentlich klettert Zorniger aber auch auf ein Gerüst, um sich das Trainingsspiel von oben anzuschauen. Diese Perspektivwechsel helfen dem 47-jährigen Fußballlehrer dabei, das Geschehen im Blick zu behalten und den Spielern neue Sichtweisen auf den Fußball zu vermitteln. Das ist es, was Alexander Zorniger will. Einen eigenen Spielstil mit den Stuttgartern entwickeln.

Energiegeladen geht der Coach dabei vor – so wie das Spiel des VfB in Zukunft sein soll. Er spricht auch viel. Fließend schwäbisch sozusagen. Und Kommunikation auf und außerhalb des Platzes fordert Zorniger ebenfalls ein. Dabei redet der Bundesliganovize nicht nur Klartext mit seinen Gegenübern, sondern ihm eilt aus seiner Zeit in Leipzig, Großaspach und Schwäbisch Gmünd der Ruf voraus, keine Konflikte zu scheuen und in puncto Fußball auch keine Kompromisse einzugehen. Dazu erzählt Zorniger eine Geschichte. In dieser Woche habe ihn ein Bekannter gefragt, ob bei ihm jetzt wirklich alles so extrem sein müsse, sagt er. Er habe mit Ja geantwortet. Anders gehe es nicht. Schließlich habe der VfB schon lange gegen keine Spitzenmannschaft mehr gewonnen. „Aber das muss unser Anspruch sein, dass wir wieder für jeden Gegner eine Bedrohung sind.“

Solche Sätze führen dazu, dass man auf dem Wasen schnell gemerkt hat, dass Zorniger zwar noch keine Erstligaerfahrung hat, dafür aber eine sehr klare Vorstellung, wie die Kugel rollen soll: schnell und vorzugsweise durch die Mitte. Und diese sich anbahnende kleine Fußballrevolution macht neugierig. Auf den Typen, der sie proklamiert, auf die Mannschaft, die er formt, und den Fußball, den er spielen lassen will. „Ich freue mich, dass das so viele Fans annehmen“, sagt Zorniger, „langweilig sollte es auf jeden Fall nicht werden. Das wäre eine Enttäuschung.“

Die gute Vorbereitung

Als es am 29. Juni mit dem ersten Training losging, da hat einfach alles gepasst. Das sonnige Wetter, die prächtige Kulisse, die schicken Trikots. Die Stimmung im und um das VfB-Team herum war entsprechend gelöst und im Rückblick wird diesem Moment schon jetzt Bedeutung beigemessen. Denn die alten und vom Abstiegskampf gezeichneten Spieler merkten schnell, dass sich die Fans nicht von ihnen abgewandt hatten. Dass ihnen weitaus weniger Skepsis entgegen schlug als im Jahr davor. Und die neuverpflichteten Spieler erhielten einen ersten Eindruck davon, wie schön es in Stuttgart sein kann und wie groß auch der Rückhalt sein kann.

Dieses Hochgefühl hat die Mannschaft auch ein Stück weit durch die nächsten Tagen und Wochen der Vorbereitung getragen – mit schweren Beinen zwar, aber auch mit der Überzeugung, dass etwas Neues entstehen kann. Mit weniger Grüppchen im Kader und mehr Zusammenhalt. Von Anfang an diesmal. Das wäre dann auch ein weiterer Unterschied zum Sommer 2014, als ebenfalls Aufbruchstimmung aufkam, allerdings ausschließlich personenbezogen. Der Hoffnungsträger hieß Armin Veh – und war nach wenigen Monaten als Trainer wieder weg.

Die alte Sehnsucht

Die Fanseele wird schon lange strapaziert. In der Vorsaison hat es 30 Spiele gedauert, bis der VfB in Schwung kam. Im Jahr davor entgingen die Stuttgarter ebenfalls nur knapp dem Abstieg – und noch mal ein Jahr zuvor war der Fußball auch nicht besonders begeisternd. „Es ist erstaunlich, was für eine hohe Nachfrage wir haben, wenn man die sportliche Entwicklung des Vereins betrachtet“, sagt Oliver Schaal, der Vertreter der Ultragruppierung Commando Cannstatt im Fanausschuss des VfB.

Es gab keine Probleme, die Dauerkarten in den Fanclubs abzusetzen. Auch die Tickets für die Auswärtsspiele sind zwei Wochen vor dem Bundesligastart begehrt. Dennoch glaubt Schaal, dass sich der VfB und seine Anhängerschaft in einem Spannungsfeld bewegt: hier die Sehnsucht nach alten Glanzzeiten, dort die Angst vor neuen Enttäuschungen. „Laufen die ersten Spiele gut, kann eine Euphorie ausbrechen“, sagt Schaal, „andererseits kann auch schnell wieder der Sommerblues um sich greifen.“

Doch auch Bernd Wahler kann – trotz oder gerade wegen der frisch aufkeimenden Aufbruchstimmung – nach zwei Jahren als Krisenpräsident nicht anders, als seine ambivalenten Gefühle zu formulieren: „Die Begeisterung rund um den VfB ist natürlich toll. Aber sie birgt das Risiko, dass die Erwartungshaltung sehr hoch ist.“ Die Hoffnung, nicht nur ein Testspiel gegen ManCity zu bestreiten, sondern bald schon wieder ein Pflichtspiel gegen ManUnited, treibt aber auch den Clubchef an.