Im beschaulichen Freiburger Lorretobad fliegen die Fetzen: Immer mehr strenggläubige Musliminnen beanspruchen die Hoheit über der Wasseroberfläche für sich. Das führt zu Konflikten mit altgedienten Besucherinnen. Ein echter Kulturkampf.

Freiburg - Vor der Strafe Allahs hilft nur Abtauchen. Mit einem tiefen Atemzug drückt sich die Schwimmerin unter Wasser, sekundenlang, bis ihr die Luft ausgeht. Sie wünscht sich, unsichtbar zu sein für die Blicke des fremden Mannes am Beckenrand. „Das darf nicht sein, er ist immer noch da“, sagt Djamila, die ihren richtigen Namen nicht nennen will. „Ich muss raus, sofort.“ Schnell vorwärts zu kommen ist schwierig für die 41-Jährige. Sie hat sich das Schwimmen mühsam beigebracht, in dem Dorf im Libanon, wo sie herkommt, haben sie andere Sorgen als Schwimmunterricht.

 

Kein Fremder hat sie je gesehen ohne Kopftuch. Keiner darf ihre pink gefärbten Haare bewundern, erstaunt sein über das Tattoo auf ihrer Brust. Nur ihr Ehemann hat das Privileg, ihre Söhne, ihr Onkel können sie im Privaten betrachten. Aber niemals ein angehender Bademeister. Djamila stemmt sich an der Leiter aus dem Becken, das Wasser tropft von ihrem Bikini. So nackt und hilflos hat sie sich schon lange nicht mehr gefühlt, ihr Freiraum im einzigen Damenfreibad Deutschlands ist ihr genommen. Neuerdings sind männliche Aufseher im Freiburger Lorettobad erlaubt, so steht es in großer Schrift an der Holztür am Eingang. „Wir sind alles andere als ausländerfeindlich“, sagt Oliver Heintz, der Freiburger Bäderchef, „aber wir mussten handeln.“

Was bedeutet Muslimen das Kopftuch? Warum tragen sie es? Und was denken muslimische Männer zu dem Thema? Das haben wir Menschen in Stuttgart gefragt. Sehen Sie die Antworten im Video:

Streit und Grill-Gelage

Es ist ein politisch wenig korrekter Versuch, wieder Ruhe in das Paradies für Frauen zu bringen, eine Ruhe, die von Streitigkeiten unter Musliminnen, Polizeieinsätzen und Regelbrüchen gestört wurde. Selbst Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon wagte sich vergangenen September im Anzug in die Oben-ohne-Zone, um sich vor Ort erklären zu lassen, was gar nicht geht und alle Stammgäste ärgert: Baden in Jeans oder anderer Straßenkleidung, ausgedehnte Grillgelage auf der Wiese oder eben handfeste Streite unter den Besucherinnen.

An ihrem Handtuch angekommen, zündet sich Djamila eine Zigarette an, sie versteckt sie hinter den Liegen ihrer Freundinnen. „Seit 20 Jahren komme ich hierher“, sagt sie, sechs Kinder habe sie großgezogen, in Sprachkursen Deutsch gelernt, mit viel Ausdauer versucht, sich ein wenig fit zu halten in dem kleinen Becken. Bei all ihren Kilos keine einfach Sache. „Ich will die Sonne genießen, ganz ohne Kopftuch“, sagt Djamila und kann es nicht fassen, dass der Ärger aus der vergangenen Saison solch drastische Folgen hat.

Busladungsweise seien die Musliminnen aus Frankreich angekommen, erinnern sich die Freundinnen. Sie hätten ihre teils tobenden Kinder mitgebracht. Manche halb verschleiert, manche ganz, erpicht darauf die Hüllen fallen zu lassen und ihre Freiheit zu leben. „Verständlich, dass sie die Zeit hier genießen“, sagt Hiba. Die dreifache Mutter mit den Glitzerfingernägeln und dem knappen Bikini trägt zwar selbst kein Kopftuch, würde sich aber niemals so freizügig wie sie es im Damenbad gewohnt ist, vor Männern zeigen. Leider hätten die Neuen gestresst, sagt Hiba und erzählt, wie die drei begehrten Warmduschen immer wieder ewig blockiert waren. „Da lotste die eine die andere rein“, erinnert sich die Libanesin, „das hat Zoff gegeben.“ Er mündete in einer ersten Ohrfeige, angeblich habe eine genervte Französin eine Libanesin geschlagen. Was danach kam, ist aktenkundig, eine Prügelei, ein Gezerfe, gegenseitige Anzeigen.

Die Kinder tobten und schrien

„Schade, dass jetzt alle büßen müssen“, sagt Hiba und hat einiges auszusetzen an der überarbeiteten Badeordnung. Schlimm genug mit den Männer, die Aufsicht machen, aber künftig dürfe auch ihr sechsjähriger Sohn nicht mehr mit. Galt bisher die Regel, dass Kinder bis sechs erlaubt sind, wurde das Alter auf drei beschränkt. Zu wild hatten die Kinder gespielt und geschrien, zu wenig hatten die Musliminnen ihren Nachwuchs im Griff.

Mit strengeren Regeln soll die männerlose Welt vom Zickenkrieg befreit werden. Im Lollo, wie die Stammdamen ihr Bad liebevoll nennen, soll wieder Frieden unter den Frauen einkehren. Ist das Bad doch ein einziges Idyll: Die Liegewiese ist umrahmt von historischen Kabinen mit Blumenkästen, in denen seit Jahr und Tag Geranien gepflanzt werden. Schattenspender ist ein Walnussbaum, unter dessen Ästen sich die Familien ausbreiten. Und am Rande des gerade mal 23 Meter langen Beckens tratschen die Barbusigen und legen sich nach der Abkühlung mit spitzen Nippeln zum Aufwärmen in die Sonne. Kein Gegrapsche, keine sexuellen Belästigungen, ohne Männer ist das Nacktsein so viel entspannter.

Stammgäste wollen ihre Ruhe

Einem Jurastudenten ging die Emanzipation zu weit, er wollte unbedingt hinein in das nicht einmal fußballfeldgroße Busenparadies und klagte 1980 gegen das Herrenverbot. Erfolglos. Schließlich grenzt an den Damentrakt ein Familienbad an. Vor 175 Jahren erbaut, das älteste in Deutschland und anfangs nur den Männern vorbehalten. Der Extratrakt für die Frauen kam gegen den Widerstand der katholischen Kirche, die eine Verlotterung der Sitten befürchtete, erst gut vier Jahrzehnte später dazu.

Froh über die geänderte Badeordnung ist Helga Jeske-Knoell, hellblau lackierte Fußnägel und den Badenanzug zum Sonnen bis zum Bauchnabel heruntergerollt. „Wenn die Musliminnen sich an die Regeln halten, ist alles kein Problem“, sagt die 79-Jährige, die auf einer Bank neben dem Becken sitzt und sich eincremt. „Aber Toleranz darf nicht einseitig sein.“ Die frühere Rechtsanwältin lässt sommers keinen Lollo-Tag aus, die halbe Stunde im Wasser täglich hält sie fit. Das Schwimmbad ist ihr zweites Wohnzimmer, sie grüßt ihre Cousine, tauscht mit einer anderen Dauerbesucherin Radiotipps aus.

Die Musliminnen waren kaum belehrbar

Als vergangenen Sommer die Schwarzverhüllten in großen Gruppen kamen, da sei die Stille dahin gewesen, bedauert die Freiburgerin. „Im Grunde ist es ein Integrationserfolg, dass sie da sind“, urteilt Jeske-Knoell und würde sich wünschen, dass die Musliminnen im Bad nicht nur den Tschador ablegen, sondern auch ihre Aggressionen. Die Studentinnen, die gelegentlich im Bad Aufsicht führten, seien vom Ansturm überfordert und die fremdsprachigen Besucherinnen wenig belehrbar gewesen. Dass jetzt Männer ab und an nach dem Rechten schauen, findet die Seniorin gut, seither habe es keine Auseinandersetzungen mehr gegeben.

Gelernt haben die Freiburger von Basel. Dort haben strenggläubige Musliminnen aus dem Elsass im Frauenbad Eglisee einige Sommer lang Ärger provoziert. Sie wurden in Kleinbussen von ihren Männern vor dem Eingang abgesetzt und erwarteten ein Bad nach muslimischen Regeln – männerfrei und keine halb nackten Frauen. Ihr Unmut ging so weit, dass sie einen Bademeister angriffen. Das Sportamt musste reagieren. Die Behörde engagierte eine Mediatorin zur Vermittlung und schaltete die Muslim-Kommission ein. Trotz Hausverboten und mehr Sicherheitspersonal entspannte sich die Lage erst mit der Badeordnung, die vergangene Saison eingeführt wurde. Straßenkleidung ist verboten, Mütter dürfen nur noch Säuglinge mitbringen, die Kinderplanschbecken wurden zu Sonnendecks. Polizeieinsätze sind nicht mehr nötig.

Ihrem Mann darf Djamila nichts erzählen

Für Djamila ist es höchste Zeit zu gehen. „Warum können wir Frauen nicht unter uns bleiben“, fragt sie frustriert und begrüßt eine Online-Petition gegen männliche Bademeister im Lollo. Sie zieht sich Schicht für Schicht an. Erst das T-Shirt, eine dünne Weste, dann der schwarze Schleier, mit Nadeln festgesteckt. Sie sammelt die Zigarettenkippen aus dem Gras, ruft ihren Mann auf dem Handy an, damit er sie abholt. „Ich hoffe, die Stadt Freiburg findet eine Lösung“, sagt sie, „sonst kann ich nicht mehr kommen.“ Zu groß sei das Risiko, unverschleiert gesehen zu werden. Ihrem Mann will sie von dem Vorfall im Becken nichts erzählen. Aber der göttlichen Strafe werde sie nicht entgehen, glaubt Djamila. Allah habe genau gesehen, was passiert ist.