In Libyen protestierten Tausende gegen den Angriff auf die US-Botschaft. Danach wurden die Stützpunkte der Islamisten gestürmt.

Bengasi - Libyen hat die Nase voll, das Volk will den Spuk beenden. Und wieder macht Bengasi den Anfang. Letztes Jahr war die Stadt Hochburg des Aufstands gegen Muammar al-Gaddafi, nun ist sie Vorreiter im Kampf gegen die bewaffneten Milizen. Tausende empörter Bürger stürmten in der Nacht zu Samstag zusammen mit Polizei und Militär das Hauptquartier der radikalen Ansar-al-Sharia-Brigaden und vertrieben die Kämpfer. Auf dem Gelände setzten sie Gebäude und Fahrzeuge in Brand, mindestens elf Menschen starben und mehr als 60 wurden verwundet.

 

Doch seitdem fühlt sich die Bevölkerung in der Offensive. „Das für unsere Freiheit vergossene Blut darf nicht umsonst gewesen sein“, skandierten die Demonstranten auf ihrer Kundgebung „Rettet Bengasi“ und riefen „Schluss mit Al-Kaida“ und „Nein zu Terroristen“. Die libysche Übergangsregierung macht Ansar al-Sharia verantwortlich für den Raketenangriff auf das US-Konsulat, bei dem der amerikanische Botschafter Chris Stevens sowie drei seiner Mitarbeiter starben – die Salafisten bestreiten dies.

Das Beispiel aus Bengasi macht Schule

Bereits am Wochenende machte das Beispiel in anderen Landesteilen Schule. Sonntag früh gaben die fünf Milizen in der Stadt Derna im Osten auf, die als Hochburg der Islamisten gilt. Sie würden sich auflösen und abrücken, erklärten ihre Kommandeure. „Wir schießen nicht auf unsere eigenen Brüder“, sagte einer der Kämpfer, nachdem es zunächst eine kurze Rangelei zwischen den Bewaffneten und Demonstranten gegeben hatte. Die Bewohner von Deraa bleiben misstrauisch. Für die nächsten zehn Tage haben sie Bürgerwachen organisiert, die aufpassen sollen, dass die Kämpfer nicht zurückkehren.

In Tripolis durchkämmten Soldaten die westlichen Nobelvororte von Sirraj und räumten Straßensperren ab, nachdem die Regierung den Milizen der Hauptstadt ein Ultimatum von 48 Stunden gesetzt hatte, „alle Kasernen, staatlichen Liegenschaften sowie Besitztümer von früheren Gaddafi-Anhängern und Gaddafi-Familienmitgliedern“ zu räumen. Wenn nötig, werde man auch Gewalt einsetzen, ließ die Armeeführung verkünden. Andere Militäreinheiten besetzten im Handstreich die Hauptkaserne der Milizen, nahmen Kämpfer fest und konfiszierten ihre Waffen.

Präsident löst alle Milizen auf

„Wir lösen alle Milizen und bewaffneten Gruppen auf, die sich nicht der Autorität der Regierung unterwerfen“, erklärte der neue Präsident Mohammed al-Magarief. „Das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit ist ab sofort verboten, das Errichten von Straßensperren illegal.“ Alle staatlichen Einrichtungen hätten Befehl, diese Vorgaben umzusetzen. „Wir werden unseren Kampf gewinnen“, gab sich Magarief zuversichtlich.

Den Ärger der Bevölkerung zusätzlich angefacht hatten in den letzten Wochen zahlreiche Zerstörungen von Moscheen und Sufi-Heiligtümern durch die selbst ernannten Gotteskrieger. Als ein Kommando von Ansar al-Sharia kürzlich auch über das populäre Heiligtum von Rajma, 50 Kilometer südöstlich von Bengasi, herfallen wollte, lagen örtliche Stammeskrieger bereits auf der Lauer. Drei Angreifer wurden erschossen, den übrigen, die sie festnehmen konnten, ihre Bärte abgeschnitten. „Wir sind dieses Chaos satt“, sagte einer der Demonstranten in Bengasi. Wenn die Regierung nicht endlich durchgreife, werde man nächsten Freitag wieder demonstrieren. „Dann gibt es eine zweite Revolution – und der Ausgangspunkt wird wieder Bengasi sein“, sekundierte Rechtsanwalt Ibrahim al-Aribi. „Wir wollen Stabilität und die Herrschaft des Rechts, so dass wir mit dem Aufbau des Staates beginnen können.“