Während in Rottweil ein 244 Meter hoher Turm entsteht, um Aufzüge zu testen, probiert Thyssen-Krupp einen Magnetschwebe-Aufzug aus, der keine Seile braucht. Mit dieser Technik sollen noch höhere Häuser möglich werden.

Stuttgart - Während der Rohbau des Testturms in Rottweil fertiggestellt wird, hat der Aufzugsbauer Thyssen-Krupp Details seiner seillosen Aufzüge präsentiert. Im 244 Meter hohen Testturm sind drei von zwölf Aufzugsschächten für das Multi genannte System reserviert. Multi arbeitet wie ein Paternoster: In einem Schacht bewegen sich mehrere Aufzugskabinen gleichzeitig in eine Richtung. Sie können individuell gesteuert werden und zwischen den Schächten wechseln. Die Technik ist von der Magnetschwebebahn Transrapid abgeschaut: Ohne Seile bewegen sich die Kabinen mit der Kraft von Elektromagneten im Schacht.

 

„Dadurch erhöht sich die Transportkapazität pro Schacht um 50 Prozent“, erklärt Andreas Schierenbeck, der Chef von Thyssen-Krupp Aufzüge. Zugleich sinkt die Zahl der benötigten Aufzugsschächte in einem Hochhaus. Die Nutzfläche steigt um die Hälfte. Im nordspanischen Gijon, wo Thyssen-Krupp neben Stuttgart-Neuhausen ein Entwicklungszentrum betreibt, hat das Team von Schierenbeck nun erstmals einen funktionierenden Prototypen dieser Technik vorgestellt. Das Modell ist um den Faktor drei verkleinert. Die Kabinen sind Kühlschrank-groß. Drei davon bewegen sich schwebend durch drei Schächte.

Herzstück ist ein „Rucksack“ an der hinteren Kabinenwand. Darin befindet sich ein Teil der Magnetschwebeeinheit: zwei Führungselemente mit Permanentmagneten sowie eine mechanische Bremse. Im Schacht befinden sich zwei Antriebsschienen. Der Linearmotor steckt also fest verankert im Schacht – ähnlich zum Transrapid, wo die Elektromagneten in der Fahrbahn den Zug bewegen. Durch Sensoren wird die Position des Fahrstuhls erfasst und stabil gehalten. Der Luftspalt zwischen Antriebsschienen und Führungselementen der Kabine ist nur zwei Millimeter breit. „Wir haben dafür ein sehr akkurates Führungssystem entwickelt“, sagt Thyssen-Krupp-Forscher Markus Jetter. Ein weiteres Schlüsselbauteil ist der Exchanger. Der dreht den Rücksack der Kabine beispielsweise um 90 Grad und bugsiert die Kabine so auf horizontale Streckenabschnitte.

Hochhäuser verbinden zur vertikalen Stadt

Die Technik eröffnet Architekten neue Möglichkeiten – etwa bei der Gebäudehöhe. Das Eigengewicht der Stahlseile limitiert die Länge eines Aufzugs auf vielleicht 800 Meter. Mit dem Magnetschwebeaufzug ist die Länge des Schachts jedoch prinzipiell unbegrenzt. Damit sind auch Gebäudehöhen jenseits der 1000 Meter in Reichweite. Ferner passt das Magnetschwebekonzept zum Trend im Hochhausbau, Gebäudeensemble auch in luftiger Höhe zu verbinden. „Wir brauchen für die Gebäude eine Vielzahl an Verknüpfungen“, sagt Dario Trabucco, Gebäudeforscher von der Universität in Venedig.

Das hat zwei Gründe: Die Architekten wollen Ensembles von Hochhäusern zu vertikalen Städten verbinden – nicht nur auf Erdgeschossebene. Außerdem lassen sich eng verwobene Gebäude besser evakuieren, wenn’s brennt. „Hochhäuser brauchen nicht mehr als Solitär allein stehen“, erklärt Trabucco. Durch eine Vielzahl von Verbindungswegen entstehen Chancen für eine bessere urbane Lebensqualität.

Dem schließt sich Karl-Otto Schöllkopf von Thyssen-Krupp an. Bis 2050 wird der Anteil der Weltbevölkerung in Städten von 50 auf 70 Prozent steigen. Also brauche man mehr Hochhäuser, sagt Schöllkopf. „Es gibt einen Trend zu Gebäuden über 300 Metern.“ Und die Architekten wollen die Angebote des täglichen Lebens integrieren: Geschäfte, Hotels, Restaurants, Arztpraxen, Fitnessstudios und Wohnungen. „Quasi alles“, sagt Schöllkopf.