In Brüssel werben mehrere Staats- und Regierungschefs für den Ausbau der Atomenergie. Doch die Probleme sind gewaltig.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Überraschung ist den Umweltaktivisten gelungen. Plötzlich seilten sich junge Leute von Greenpeace am Donnerstag vom Dach des Expo-Gebäudes in Brüssel ab und brachten den Beginn des ersten internationalen Atomenergie-Gipfels durcheinander. „Nukleare Märchen“ stand auf einem großen Transparent, das einer der Aktivisten den eintreffenden Staats- und Regierungschefs entgegenhielt. Andere Demonstranten versuchten zudem, den Zugang zum Gipfel mit Fahrrädern und Autos zu blockieren. Nach Angaben der Veranstalter wurde die Annahme einer gemeinsamen Erklärung zur globalen Bedeutung der Nuklearenergie wegen des Protests am Konferenzzentrum unweit des Atomiums in Brüssel verschoben.

 

Deutschland fehlt auf dem Atomgipfel

Ziel des von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) organisierten „Atomgipfels“ war es, für Kernkraft zu werben. Das Treffen fand kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel statt, weshalb viele Staats- und Regierungschefs Europas die Gelegenheit nutzten, um ihre positive Haltung gegenüber der Atomenergie zu demonstrieren. Anwesend waren auch Vertreter aus China und den USA. Bundeskanzler Olaf Scholz nahm nicht daran teil.

Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plädierte dafür, den Ausbau der Kernenergie vehement voranzutreiben. „Unsere Priorität muss sein, aus Kohle und dann aus Gas auszusteigen und auf Atomkraft und erneuerbare Energien umzustellen“, sagte der Staatschef. Er war es auch, der jüngst ein Atomkraft-Bündnis ins Leben gerufen hatte, das inzwischen 14 EU-Staaten zählt.

Mahnende Worte von der EU-Kommissionschefin

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen warnte in ihrer Rede bei dem Treffen allerdings vor allzu großer Euphorie und riet zu einer realistischen Herangehensweise. Kritik übte sie an der Atomindustrie. „Viel zu oft war der Bau neuer Kernkraftwerke mit erheblichen Mehrkosten und Verzögerungen verbunden“ rügte die Deutsche. Und sie riet, dass vor den Diskussionen über Neubauten zuerst auch über Laufzeitverlängerungen bestehender Anlagen gesprochen werden müsse, „vorausgesetzt natürlich, ihr Betrieb ist sicher“. Das sei eine der „billigsten Möglichkeiten, um verlässlich saubere Energie in großem Maßstab zu produzieren“.

Neben Frankreich, das rund 65 Prozent seines Stroms aus Kernkraft bezieht, setzten vor allem osteuropäische Länder wie Tschechien, die Slowakei und Rumänien auf Atomenergie. Paris will in den kommenden Jahren sechs Anlagen bauen, in Schweden sind zwei neue Reaktoren bereits fest eingeplant. Die beiden Länder haben eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, nach der sie beim Bau der Kraftwerke zusammenarbeiten wollen. Paris will damit auch die französische Industrie stärken, die Bauteile für die Reaktoren herstellt.

Atomkraft wird in der EU gefördert

Frankreich war es auch, das sich dafür eingesetzt hat, dass Atomkraft nach europäischem Recht zu den Technologien zählt, mit denen die EU ihre Klimaziele für 2050 erreichen will. Ein neues Gesetz soll zudem EU-Mittel für die Förderung nachhaltiger Technologien freimachen – auch hier steht Atomkraft auf der Liste. Eine bereits ausverhandelte Reform des europäischen Strommarkts erlaubt den Mitgliedstaaten zudem, alte Atomkraftwerke weiter zu fördern.