Am Anfang habe sie gedacht, ihr Job sei legal, sagt Alicja Dawid. Erst nach und nach sei ihr aufgefallen, dass etwas nicht stimme: „Ich habe bemerkt, dass ich eine Betrügerin geworden bin.“ In ihren Arbeitsverträgen wurde die Arbeitszeit mit 40 Stunden pro Woche angegeben. Faktisch habe sie in ständiger Rufbereitschaft gelebt. „Ich dachte, das ist normal, das ist meine Verantwortung“, sagt die polnische Betreuerin. Nur wenige Frauen haben den Mut wie sie, über ihre Arbeit als Betreuerin auf dem grauen Pflegemarkt zu berichten. Familien halten lieber still, als die Finanzkontrolle im Haus zu haben. Zudem stellen einige Agenturen die beschäftigten Frauen und die Familien mit einer Schweigeklausel ruhig. Wer Vertragsdetails ausplaudert oder aus dem Vermittlungsmodell aussteigen will – etwa, indem er selbstständig als Betreuer arbeiten will –, dem droht eine Vertragsstrafe von bis zu 20 000 Euro. Als Abschreckung wird der Gerichtsstand mit Warschau angegeben – ein juristisch zumindest fragwürdiges Vorgehen.

 

Selbst die polnische Arbeitgeberkammer hat inzwischen offiziell festgestellt, dass mit dem Zauberwort „Entsendung“ noch nicht alle rechtlichen Hürden überwunden sind. Laut einer Studie des Instituts für grenzüberschreitende Beschäftigung in Warschau umgeht ein Großteil der polnischen Unternehmen, die Mitarbeiter ins Ausland entsenden, bewusst oder unbewusst die Regeln der EU. Nur bei rund 150 der 1800 Betriebe laufe alles rechtlich einwandfrei, heißt es in der Studie.

Dennoch hat die Billigkonkurrenz den legalen Vermittlungsmarkt fast verdrängt. Die Diakonie in Stuttgart etwa stellt die Vermittlung von Hilfskräften im Projekt Fair-Care ein. „Wir wollten zeigen, dass es auch legale Wege gibt“, sagt Maria Simo von der Diakonie. Aber die Nachfrage sei inzwischen gleich null.

„Die Konkurrenz arbeitet illegal, aber niemand will es wissen“, sagt Werner Huptas. Sein Kernproblem: er vermittelte nach einem legalen Modell, das mit den Dumpingpreisen der Konkurrenz nicht mithalten kann. Rund 2200 Euro muss den Familien ihre Pflegekraft schon wert sein. Dafür werden die Frauen dann direkt bei den Familien angestellt, Sozialbeiträge und Lohnsteuer werden regulär abgeführt – und: die Frauen sind bei schweren Unfällen oder Krankheiten regulär versichert.

Für die Frauen selbst bleiben unterm Strich 1000 bis 1200 Euro – plus Kindergeld aus der deutschen Staatskasse, wie Huptas betont. Zudem ist eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche vereinbart. Auch Bereitschaftszeit gilt als Arbeitszeit. Wer mehr Betreuung brauche oder womöglich medizinische Versorgung wie Spritzen oder Kathederwechseln verlange, könne sich diese von Sozialstationen dazukaufen. „Andernfalls muss man eben über ein Pflegeheim nachdenken“, sagt Werner Huptas.

Das Interesse der Behörden sei bislang eher bescheiden. „Ich zweifle langsam am deutschen Rechtsstaat.“ Es würden Sozialkassen betrogen, Tarife und gesetzliche Standards ausgehöhlt. Sein Fazit: „Die Behörden dulden die Schattenwirtschaft, weil sie keine einfachen Alternativen sehen.“

Mit „Schattenwirtschaft“ meint er Unternehmen wie etwa die Agentur Promedica Plus. Der Tochterbetrieb des polnischen Unternehmens Promedica 24 – nach eigenen Angaben europäischer Marktführer bei der Vermittlung von Betreuungskräften – hat ein deutschlandweites Netz mit vielen örtlichen Franchisepartnern aufgebaut. So wurden nach eigenen Angaben schon rund 17 000 Arbeitskräfte nach Deutschland vermittelt. Promedica Plus wirbt im Internet mit „24-Stunden-Betreuung zu Hause, ab 45 Euro pro Tag“ – also rund 1300 Euro monatlich. Die Dienstleistungen von Promedica Plus würden „in Übereinstimmung mit geltendem Recht“ erbracht, beteuert der Geschäftsführer Przemysław Magnuszewski auf Anfrage unserer Zeitung. Sein Unternehmen biete den Mitarbeiterinnen „Verdienstmöglichkeiten, die in der Regel weit über denen in ihrer Heimat liegen“.

Doch Zweifel an dem Geschäftsmodell scheinen angebracht. „Bei jedem Angebot einer ‚entsendeten‘ Rund-um-die-Uhr-Pflegekraft zum Preis von 1600 oder 1800 Euro pro Monat kann es nicht mit rechten Dingen zugehen“, teilt der Bundesverband Europäischer Betreuungs- und Pflegekräfte auf seiner Homepage mit.

Bei den billige Angeboten ist Vorsicht geboten

Die Basis des Promedica-Modells heißt „Arbeitnehmerentsendung“ – und ist nach Ansicht der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf dem Pflege- und Betreuungssektor höchst fragwürdig. Pflegekräfte, die auf diesem Wege in deutsche Haushalte kommen, seien nie an Anweisungen ihrer deutschen Kunden gebunden. „Das Weisungsrecht bleibt in solchen Fällen beim polnischen Unternehmen“, sagt Klaus Salzsieder, Pressesprecher der Bundesfinanzdirektion West, „genau darin liegt das rechtliche Problem.“ In der Praxis träten die betreuten Senioren und deren Familien durchaus als Arbeitgeber auf – ohne dass sie dafür aber Steuern und Abgaben in Deutschland entrichten.

Problem Nummer zwei am Modell der Promedica-Gruppe und etlicher anderer Anbieter: sie darf nur Arbeitnehmer ins EU-Ausland entsenden, wenn ihr Kerngeschäft und ihr Stammpersonal – laut EU-Richtlinie mindestens 25 Prozent – in Polen sind. Das Unternehmen teilt auf Anfrage mit, dass es „mehr als 200 Mitarbeiter“ in Polen beschäftige – vermittelt habe es zurzeit aber mehr als 3000 Hilfskräfte. Solche Modelle sieht der Zollsprecher Salzsieder kritisch. Es sei nicht im Sinne der Richtlinie, „wenn Unternehmen gegründet werden, nur um Mitarbeiter ins Ausland zu entsenden und Sozialabgaben zu sparen“.

Doch in der Praxis sind die Kontrolleure oft zahnlose Tiger. Die Unverletzlichkeit der Wohnung verhindert das, was dem Zoll bei Großbaustellen oft die größten Schlagzeilen bringt: Kontrollen ohne Anlass oder Verdacht, bei denen Kommissar Zufall eine wichtige Rolle spielt, kommen bei privaten Betreuungsmodellen nicht infrage. „Wir brauchen stets einen richterlichen Beschluss“, sagt Salzsieder, „das ist eigentlich auch gut so.“ Aber es erschwere die Verfolgung von Übeltätern erheblich.

Der legale Markt ist beinahe zusammengebrochen

Seit die Europäische Union im Mai 2011 die volle berufliche Freizügigkeit von acht osteuropäischen Staaten auch über Grenzen hinweg erleichtert hat, herrscht Goldgräberstimmung auf dem Pflegemarkt. Geworben wird mit Dumpingpreisen. Schon ab 1300 Euro pro Monat ist dort das Rundum-sorglos-Paket zu haben. Es kann aber auch doppelt so teuer werden. Nach Einschätzung von Insidern gibt es Agenturen, die Mitarbeiter zu potenziellen Kunden nach Hause schicken, um einen Eindruck von den finanziellen Verhältnissen zu erhalten. Daran würden die Preise angepasst.

Wenn von 2014 an auch für Bulgarien und Rumänien die Hürden fallen, befürchten viele einen neuen Schub für die Branche. Allerdings, sagt der ehemalige Vermittler Werner Huptas, würden schon heute zahlreiche Pflegerinnen aus den Ländern, sogar aus dem Baltikum, illegal nach Deutschland vermittelt. „Man fragt sich, wie die das machen.“

Die EU-Kommission sieht die Mitgliedstaaten in der Pflicht, Verstöße gegen nationales Recht selbst zu ahnden. Zurzeit arbeite Brüssel daran, auf diesem Feld mehr Transparenz herzustellen. Europaweite Kontrollstandards gebe es jedoch nicht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilt mit, dass die Kontrollen von Mindestlohn, Arbeitsstandards und Sozialversicherungspflicht Behörden wie dem Zoll oder den Berufsgenossenschaften obliege. Erschwert werde die Sache allerdings durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Die Entsendebescheinigung für die Arbeitskräfte müsse nicht ständig mitgeführt werden und könne im Zweifel nachgereicht werden.

Billigkonkurrenz verdrängt den legalen Vermittlungsmarkt

Am Anfang habe sie gedacht, ihr Job sei legal, sagt Alicja Dawid. Erst nach und nach sei ihr aufgefallen, dass etwas nicht stimme: „Ich habe bemerkt, dass ich eine Betrügerin geworden bin.“ In ihren Arbeitsverträgen wurde die Arbeitszeit mit 40 Stunden pro Woche angegeben. Faktisch habe sie in ständiger Rufbereitschaft gelebt. „Ich dachte, das ist normal, das ist meine Verantwortung“, sagt die polnische Betreuerin. Nur wenige Frauen haben den Mut wie sie, über ihre Arbeit als Betreuerin auf dem grauen Pflegemarkt zu berichten. Familien halten lieber still, als die Finanzkontrolle im Haus zu haben. Zudem stellen einige Agenturen die beschäftigten Frauen und die Familien mit einer Schweigeklausel ruhig. Wer Vertragsdetails ausplaudert oder aus dem Vermittlungsmodell aussteigen will – etwa, indem er selbstständig als Betreuer arbeiten will –, dem droht eine Vertragsstrafe von bis zu 20 000 Euro. Als Abschreckung wird der Gerichtsstand mit Warschau angegeben – ein juristisch zumindest fragwürdiges Vorgehen.

Selbst die polnische Arbeitgeberkammer hat inzwischen offiziell festgestellt, dass mit dem Zauberwort „Entsendung“ noch nicht alle rechtlichen Hürden überwunden sind. Laut einer Studie des Instituts für grenzüberschreitende Beschäftigung in Warschau umgeht ein Großteil der polnischen Unternehmen, die Mitarbeiter ins Ausland entsenden, bewusst oder unbewusst die Regeln der EU. Nur bei rund 150 der 1800 Betriebe laufe alles rechtlich einwandfrei, heißt es in der Studie.

Dennoch hat die Billigkonkurrenz den legalen Vermittlungsmarkt fast verdrängt. Die Diakonie in Stuttgart etwa stellt die Vermittlung von Hilfskräften im Projekt Fair-Care ein. „Wir wollten zeigen, dass es auch legale Wege gibt“, sagt Maria Simo von der Diakonie. Aber die Nachfrage sei inzwischen gleich null.

„Die Konkurrenz arbeitet illegal, aber niemand will es wissen“, sagt Werner Huptas. Sein Kernproblem: er vermittelte nach einem legalen Modell, das mit den Dumpingpreisen der Konkurrenz nicht mithalten kann. Rund 2200 Euro muss den Familien ihre Pflegekraft schon wert sein. Dafür werden die Frauen dann direkt bei den Familien angestellt, Sozialbeiträge und Lohnsteuer werden regulär abgeführt – und: die Frauen sind bei schweren Unfällen oder Krankheiten regulär versichert.

Für die Frauen selbst bleiben unterm Strich 1000 bis 1200 Euro – plus Kindergeld aus der deutschen Staatskasse, wie Huptas betont. Zudem ist eine Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche vereinbart. Auch Bereitschaftszeit gilt als Arbeitszeit. Wer mehr Betreuung brauche oder womöglich medizinische Versorgung wie Spritzen oder Kathederwechseln verlange, könne sich diese von Sozialstationen dazukaufen. „Andernfalls muss man eben über ein Pflegeheim nachdenken“, sagt Werner Huptas.

Pflegeheime sind billiger

Doch viele Familien hängen dem schönen Traum nach: die pflegebedürftige Mutter, der demenzkranke Vater soll in der gewohnten Umgebung bleiben dürfen und ständig betreut werden, bezahlbar und möglichst legal. Offenbar sind viele gewillt, in Sachen Legalität die meisten Abstriche zu machen, erklärt Maria Simo. Die Rumänin berät seit drei Jahren Frauen aus Osteuropa beim Verein für internationale Jugendarbeit, einem Projekt der Diakonie.

Günstig, schnell, rund um die Uhr – das seien für betroffene Familien oft die wichtigsten Punkte, sagt die Rumänin. Berater, die seriös arbeiten, könnten und wollten da nicht mithalten. Inzwischen habe sie gehört, dass die Modelle, über die die Helferinnen vermittelt werden, subtilere Formen angenommen hätten. Frauen kämen als Scheinselbstständige mit einem Gewerbeschein nach Deutschland. Selbst Hausärzte würden inzwischen Pflegekräfte an Patienten vermitteln – ihr Vertrauensverhältnis nutzend . „Ich habe so viele schlimme Geschichten gehört, dass ich einen Krimi schreiben könnte“, sagt Maria Simo. Abhängigkeit, Gewalt, sexuelle Übergriffe, „da gibt es ganz erschreckende Sachen“.