Wie es überhaupt von Rätseln noch wie von Fossilienteilen wimmelt. Verblüfft sind die Forscher auch über die Tatsache, dass bisher fast ausschließlich Hominiden und keine Tierknochen gefunden wurden. Lediglich die Überreste einer zeitgenössischen Eule waren auf dem Höhlenboden auszumachen. Völlig offen sind schließlich auch die elementarsten aller Fragen: die nach dem Alter der Knochen und der genealogischen Zuordnung der Wesen, denen sie einst innewohnten. „Wir wissen es momentan einfach noch nicht“, sagt Peter Schmid. Ausschließen will der Schweizer, dass es sich um Exemplare der zwei bis über vier Millionen Jahre alten Gattung Australopithecus handele. Eher seien die Knochen der seit etwa zwei Millionen Jahre die afrikanische Savanne bevölkernden Gattung der Homo zuzuordnen. Auf den ersten Blick falle eine Ähnlichkeit zu dem bereits ganz aufrecht gehenden Homo erectus auf. Es könne sich aber auch um eine neue, bisher nicht bekannte Art des Homo handeln, sagt Schmid: „Das wird sich alles noch herausstellen.“

 

Spätestens da wird klar, warum es sich bei der Rising-Star-Expedition tatsächlich um eine „offene“ und ganz neue Art paläoanthropologischer Ausgrabung handelt. Wenn ein Paläoanthropologe bisher das Glück hatte, auf einen äußerst seltenen frühmenschlichen Knochen zu stoßen, hielt er den Mund, ließ die Grabungsstätte absperren und beschäftigte sich in den kommenden Monaten oder Jahren in völliger Abgeschiedenheit mit der Bergung und Bestimmung seines Fundes. Bestes Beispiel dieser Praxis ist der Paläoanthropologe Ron Clarke, der 1997 in der benachbarten Sterkfontein-Höhle ein einzigartig gut erhaltenes Australopithecus-Skelett fand. Clarke ließ die Fundstelle absperren und ist seit jetzt 16 Jahren damit beschäftigt, „sein“ Fossil Millimeter um Millimeter aus dem Fels zu meißeln. Sehen darf die Sensation so gut wie keiner, viel mehr als sein Spitzname Little Food und sein vages Alter zwischen 2,2 und vier Millionen Jahren ist selbst der Fachwelt nicht bekannt. Im Streit um diese Praxis setzte Lee Berger bereits vor Jahren Clarke als Angestellten der Johannesburger Witwatersrand-Universität vor die Tür, der seine Arbeit nun im Dienst der Frankfurter Universität fortsetzt – einer der leidenschaftlichen persönlichen Zwiste, an denen die Paläoanthropologen-Szene reicher als jede andere Disziplin ist. Als Grund dafür wird gewöhnlich der Umstand angegeben, dass das öffentliche Interesse an diesem Sektor der Wissenschaft so groß ist, die Fundstücke aber so selten sind. „Unsere Disziplin“, sagt der US-Anthropologe Hawks, „war bisher immer ein Haifischbecken“.

Hier wird nichts eifersüchtig abgeschottet

Lee Berger und Co. wollen aus dem Haifischbecken nun ein Zierfischaquarium machen. Statt die Hunderte von Knochen aus der Rising-Star-Höhle eifersüchtig abzuschotten und selbst zu bestimmen, lädt das Team Berger für das kommende Jahr zum internationalen Symposion ein, auf dem sich die gesamte Fachwelt auf die Fossilien stürzen kann. Schon jetzt konnte jeder Interessierte dem Verlauf der Ausgrabung im Internet folgen. „Wir sind dabei, die bisherige wissenschaftliche Praxis auf den Kopf zu stellen“, sagt Peter Schmid. Transparenz ist angesagt.