Flüchtlinge sind häufig Ziel von Angriffen – nicht nur in Tröglitz wurde versucht, eine Unterkunft für Asylbewerber in Brand zu setzen. In der Polizeistatistik spiegelt sich die alltägliche Aggression.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Glas splittert, Scheiben klirren: In der Nacht zum 22. Oktober 2014 geht in Neundorf, einem Vorort der sächsischen Kreisstadt Plauen, ein Fenster zu Bruch. Es gehört zu einer Wohnung, in der just am Tag zuvor vier Asylbewerber eingezogen sind, Tunesier und Libyer. Von draußen rufen Unbekannte. „Wir bringen euch um.“ Es bleibt zum Glück bei Scherben und Drohungen.

 

Der Zwischenfall ist einer von 150, die in der Bundestagsdrucksache 18/3802 aufgelistet sind. Auf den 15 Seiten dieses Papiers spiegelt sich eine hässliche Seite Deutschlands: die beinahe alltägliche Aggression gegen Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr gab es 150 Attacken gegen Asylbewerberunterkünfte und deren Bewohner. Meist handelt es sich dabei um Sachbeschädigung: Fenster werden eingeworfen, Türen eingetreten, Wände mit Hakenkreuzen und Hassparolen beschmiert.

Manche der Angreifer scheuen auch vor körperlicher Gewalt nicht zurück. Drei Beispiele, wie sie immer wieder vorkommen: Am 8. April werden pakistanische Asylbewerber im bayerischen Großostheim auf dem Heimweg von einem Bierfest überfallen, mit Baseballschlägern und Luftdruckwaffen attackiert. Am 15. April entgeht eine Frau aus Libyen in Hoyerswerda nur knapp einem gefährlichen Angriff. Sie kommt vom Einkaufen, als auf dem Gehweg ein Auto auf sie zurast. Am 20. August verschafft sich eine Horde von Halbstarken in Schönebeck an der Elbe Zugang zu einem Flüchtlingsheim. Einer hat ein Messer dabei. Es kommt zu Rangeleien. Ein Asylbewerber wird leicht verletzt.

Neue Zahlen der Bundesregierung

Auch der spektakuläre Brandanschlag auf ein Heim in Tröglitz kurz vor Ostern ist keineswegs ein Einzelfall. Vor knapp einem Jahr haben zwei junge Männer eine Notunterkunft im Berliner Stadtteil Köpenick angezündet. Sie werden von einer Videokamera gefilmt, als sie den Hitlergruß zeigen, nachdem sie Feuer gelegt haben. Zu Beginn des vergangenen Jahres lodern die Flammen in Germering nahe München: der Dachstuhl einer Flüchtlingsunterkunft brennt nieder, es entstehen 200 000 Euro Sachschaden. In dem Gebäude sind zehn Menschen untergebracht, die sich aber rechtzeitig in Sicherheit bringen können. An Silvester explodiert ein Sprengsatz auf dem Gelände eines Asylheims in der sächsischen Kreisstadt Brand-Erbisdorf. Kellerfenster gehen zu Bruch. Der Staatsschutz ermittelt. Tage zuvor hatte es dort einen ähnlichen Zwischenfall gegeben.

Die rechtsextreme Gewalt nimmt zu. Das belegen die bisher unveröffentlichten Zahlen aus den Antwortschreiben der Bundesregierung auf Anfragen der Linksfraktion, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen. Demnach registrierte die Polizei in den ersten beiden Monaten dieses Jahres bundesweit 98 Angriffe von Neonazis. 61 dieser Gewalttaten werden der „Hasskriminalität“ zugeordnet. Darunter verstehen die Juristen politisch motivierte Delikte, sofern „die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung, ihres äußeren Erscheinungsbilds oder ihres gesellschaftlichen Status richtet“.

Die Zahl rechtsextremistischer Taten bleibt hoch

Insgesamt wurden im Januar und Februar 1728 politisch motivierte Straftaten von Rechtsextremisten registriert. Dabei wurden 67 Menschen verletzt. Von den 829 Tatverdächtigen wurden 20 vorläufig festgenommen, gegen einen einzigen Haftbefehl erlassen. Die Zahl der Delikte mit rechtsextremistischem Hintergrund bewegt sich seit Jahren auf gleichbleibend hohem Niveau. 2010 waren es laut Verfassungsschutz 15 905 einschlägiger Fälle, im Jahr darauf 16 142, danach 17 134 und 2013 insgesamt 16 557. Aktuellere Zahlen liegen bisher nicht vor. 2011 gab es 755 Gewalttaten, 2013 waren es 801.

Auch andere Quellen lassen darauf schließen, dass fremdenfeindlich motivierte Übegriffe zum deutschen Alltag zählen. Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, unterstützt von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und namhaften Politikern, veröffentlicht eine „Chronik antisemitischer, rechtsextremer und homophober Vorgänge“. Die Einträge lesen sich wie ein Tagebuch der Fremdenfeindlichkeit. Für 2014 wurden 784 einschlägiger Attacken festgehalten, zwischen 29 und 95 in jedem Monat. Das Sammelwerk erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die meisten der dort registrierten Übergriffe haben sich in der Hauptstadt ereignet: insgesamt 140. Weitere Schwerpunkte sind Bayern (112 Fälle), Nordrhein-Westfalen und die Bundesländer im Osten. Für Baden-Württemberg wurden 47 Attacken aufgelistet. Eine Statistik von Pro Asyl und der Amadeu-Antonio-Stiftung für 2014 spricht von 35 Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime und 256 fremdenfeindlichen Kundgebungen.