Gelungene Film- und Fotoarbeiten, enttäuschende Malerei: die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen beleuchtet in der Schau „In other Worlds“ die aktuelle Kunstszene Finnlands.

Bietigheim-Bissingen - Der lange nordische Winter und viele Saunabäder haben sie offenbar abgehärtet. Rücklings lässt sich die junge Frau in einen eisblauen Zaubersee plumpsen, der mit Bergen und Gletschern zugleich auch sehr hochalpin anmutet. In den Inszenierungen der finnischen Fotografin Susanna Majuri vermischen sich die Attribute von Unterwasserwelt und festem Land zu einem surrealen Zwischenreich. Darin wohnen tauchende Nixen und puppenstarre Prinzessinnen, Füchse und Schwäne. Kitschige Kulisse dieser Wassermärchen sind mit Landschaftsmotiven bedruckte Stoffe, die Majuri in einem Schwimmbad versenkte. Ironisch hebelt die aus Helsinki stammende Künstlerin so das Klischeebild ihres Heimatlandes als Wald- und Seenparadies aus. Ein Ansatz, mit dem die 1978 Geborene nicht allein ist. Verfremdete Natur und umgedrehte Perspektiven bilden ein Leitthema der Ausstellung „In other worlds“, die in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen Finnlands aktuelle Kunstszene beleuchtet.

 

Unter den acht Positionen fällt besonders Ilkka Halso mit seiner faszinierend düsteren Antiromantik auf. Ganze Wälder, dazu Sommerhäuschen, Seen und moosbewachsene Felsen, versetzt der Fotokünstler mit Computerhilfe in nächtliche Industriehallen, gegen die ein Amazon-Warenlager die Größe einer Besenkammer hat. Eine unendlich lange Straße führt durch die Innenraum-Wildnis, während auf turmhohen Regalen junge Bäumchen heranwachsen. Technisch glänzt all das mit einer Tiefenschärfe, die fast zwangsläufig an Andreas Gurskys Bilder von Billigsupermärkten erinnert. Doch in welchem Garten-Center könnte man eine ganze Taiga kaufen?

Entwirft Halso hier die Zukunftsvision einer menschlichen Kolonie auf einem fremden Planeten? Oder illustriert er den apokalyptischen Albtraum von einer Erde, die durch atomare Strahlung lebensfeindlich geworden ist und sich ein künstliches Draußen im Drinnen schafft? Als artifizielles Arkadien erweist sich auch jenes Eiland aus Felsen und Tannen, mit dem Halso auf Arnold Böcklins „Toteninsel“ anspielt, den elegischen Symbolismus aber dadurch aufbricht, dass auf dem Wasser gelbe Quietscheentchen treiben.

Verknitterte Textilgebilde als Gedächtnishain

Vollends ins Groteske verlagert sich die Botanik in Kaarina Kaikkonens Wandinstallation. Aus alten Herrenhemden formt die Künstlerin eine minimalistische Reihe von Röhren, die man auch als Baumstämme interpretieren könnte. Schließlich trägt das skurrile Ensemble den Titel „Als Birke betrachte ich die Welt gelassen“. So wird aus den verknitterten Textilgebilden ein bizarrer Gedächtnishain, durchspukt von den Geistern der abwesenden Hemdenträger. Demgegenüber findet Ari Saarto in der Natur die verdrängten Randbezirke der menschlichen Gesellschaft. Mit seinem Werkzyklus „In situ“ dokumentiert der Fotograf die Behausungen von Obdachlosen aus der Umgebung von Helsinki: wackelige Hütten aus Paletten, Kartonnagen und Dämmplatten. Ihr Gegenstück finden diese Bilder in Aufnahmen von Sartos Japanreise. Anders als finnische Wohnungslose, die sich ihre Notquartiere meist in Park und Wald errichten, campieren Tokyos Landstreicher mitten in der Stadt. Dabei erwecken die überraschend ordentlichen Schlaflager mit ihren leuchtend blauen Planen bisweilen den Eindruck, es handle sich um einen geschlossenen Marktstand.

Nach diesen bedrückend ernsten Arbeiten sorgt der Videofilmer Tuomas Aleksander Laitinen wieder für bessere Laune und spielt der Disziplinargesellschaft einen symbolischen Streich – mit einer Kissenschlacht im Schlafsaal eines britischen Mädcheninternats. Voller anarchischer Lebenslust hauen sich da hüpfende Teenager das Bettzeug um die Ohren. Die Zeitlupe des Schwarz-Weiß-Films verlangsamt den Spaßkampf im Schneetreiben der weißen Federn zu einer zart empfundenen Choreografie. Aus diesem Bildertraum reißt den Betrachter aber die lächerlich strenge Stimme, die die Benimmregeln des Hauses vorliest, wieder heraus.

Farbkreise und Amöbenformen

Während Finnlands Film- und Fotokunst in Bietigheim beeindrucken, enttäuscht die Malerei der Nordeuropäer. Anna Tuoris Schlammfarbenbilder bieten nichts Neues, wenn sie gestische Pinselschleifen mit kleinen kopflosen Reitern oder Frauenbeinen bevölkern. Auch Robert Lucander überzeugt mit dem Stiefelpaar auf Schachbrettboden ebenso wenig wie in der konzeptuellen Bildserie über „Gescheiterte“ beziehungsweise „Gelungene Löcher“. Erstere kommen als Farbkreise daher, Letztere auch schon mal in jener Amöbenform, mit der Lucanders Landsmann Alvar Aalto Designgeschichte schrieb.

Auf einen noch berühmteren Finnen, den preisgekrönten Regisseur Aki Kaurismäki, bezieht sich dagegen Lauri Astala mit der Melancholie seines filmischen Kammerspiels „On disappearance“. In einem aus der Zeit geratenen Interieur tritt ein Mann auf und rezitiert emotionslos Texte über Einsamkeit. Doch so einsam ist der Unbekannte gar nicht: Im Wandspiegel hinter ihm erscheint dank Tricktechnik niemand Geringerer als der Betrachter der Videoinstallation.