„Kunst aus dem Knast“ lautet der Titel einer Ausstellung in der Stadtteilbibliothek. Zu sehen sind Bilder von Häftlingen der JVA Stammheim.

Stammheim - In Sachen „Kunst aus dem Knast“ ist die Stadtteilbibliothek Wiederholungstäterin, und vor Jahresfrist hatte die Büchertankstelle mit Wettbewerbsfotos gezeigt, wie stark die Perspektive auf die gleich um die Ecke gelegene Justizvollzugsanstalt variieren kann. Dass die Betonzitadelle ein bundesrepublikanischer „Erinnerungsort“ ist, mit dem der Stadtteil in der Außensicht gerne verwechselt wird, das spielte auch eine Rolle bei dem, was nun „aus Stammheim“ präsentiert wird: Die 50 Bilder, von aktuellen Häftlingen gemalt, entstanden in der einstigen Zelle des RAF-Terroristen Andreas Baader, wo in einer Wand noch die Aussparung für eine versteckte Pistole zu sehen ist, wie Angela Hermann anmerkte, unter deren Anleitung Häftlinge einmal die Woche malen können. Teils jedenfalls, denn den Akteuren in einer Gruppe von bis zu zwölf Leuten ist das Baader-Behältnis doch „zu eng und zu düster“, wie Hermann gleich hinzufügte: „Deshalb rücken wir Tische und Stühle raus auf den helleren Gang.“

 

Der Ungeduldige lernt Geduld

Mehr als nur eine pittoreske Nebensächlichkeit, denn die Eröffnungssituation einer jeden Doppelstunde in der siebten Etage des Sicherheitsriegels ist kennzeichnend für den Ausgang der in der Bücherei präsentierten Arbeiten – und ein Zeichen für das, was kreatives Schaffen bewirken kann: Die Unruhe des Beginns, die Schwierigkeit, überhaupt Interesse fürs Malen zu wecken. „Die meisten Häftlinge, die zu mir kommen, sind primär nicht am Malen interessiert. Sie kommen, um sich unterhalten zu können und damit sie zwei Stunden aus der Zelle raus dürfen“, erzählt die Malerin bei der Vernissage und ergänzt: „Aber ist der Anfang geschafft, kann ich oft Erstaunliches beobachten“. Worauf sie eine ganze Typologie der „Verwandlungen“ auflistet: der Angeber wird bescheidener, der Nervöse ruhig. Der Ungeduldige lernt Geduld, der Unsichere erlebt überraschende Ermutigung. Und selbst dem Zyniker ist ein Lächeln abzugewinnen, wenn sein von ihm selbst missachtetes Bild auf einer grauen Wand plötzlich Wirkung entfaltet.

Entscheidend ist also, dass die zwei Stunden Ergebnisse zeitigen. Und so sind die ausgestellten Bilder nicht die Frucht frei flutender Selbstverwirklichung, sondern eines sehr strukturierten Vorgehens: Vorgabe der Motive, die Malschritte im Zeitraffer erklärt. Das erklärt das Motivspektrum mit Jahreszeiten, Landschaften, Stillleben, Sonnenuntergänge, Meeresbuchten.

Kein Bild gleicht dem anderen

Bei aller Ähnlichkeit ist aber auch die Unterschiedlichkeit, das Individuelle der Ausführung offensichtlich, sodass kein Bild wirklich dem anderen gleicht. Man nehme nur einmal die Sonnenuntergänge nach identischem Motiv gemalt. Oder die Sonnenblumen: über gelbem Grund gewischtes Türkis – und dann akkurat ausgearbeitete Details, rot-gelb-orangene Modulationen der Farbe auf dem Bildträger inklusive. Oder eine Bucht mit Booten vor bunten Häusern, wo die Farbe nicht simpel aufgetragen, sondern offensichtlich mehrschichtig verarbeitet wurde, mit entsprechendem Effekt. Und wie souverän und frei die „ungenaue“ Konturierung der Bootskörper! So ließen sich bei jedem einzelnen Bild Details benennen, die ganz individuell sind, die malerischen Wert zeigen und in denen aufscheint, dass hier Menschen in vertrackten Situationen kreativ wurden und so momentweise in besonderer Manier zu sich selbst gekommen sind. Davon kündet auch die farbkräftige und farbenfrohe Manier dieser Bilder. Fast ein wenig verstörend, jedenfalls ambivalent wirkt, wie die allermeisten Bilder der Freude, der Schönheit, dem Hellen zugewandt sind. Wie eine Gegenwelt, wie gemalte Hoffnung, Kontaktaufnahme zu einer anderen, möglichen Wirklichkeit: Kunst aus dem Knast, die über denselben hinausweist.