Im Bezirksrathaus in Stuttgart Weilimdorf sind rund 50 Arbeiten von Karyn von Wedel zu sehen. Mit buntem Farbgewimmel entfalten sie eine quasi psychedelische Wirkung, gerade so, als ob die Wahrnehmung ins Wanken gerät.

Weilimdorf - Eine auf den ersten Blick irritierende Vielfalt an buntem Farbengewimmel bietet die Ausstellung mit Arbeiten von Karyn von Wedel auf dem Hauptflur des Bezirksrathauses, wobei die züngelnden Kleinstflächen beim ersten Durchgehen eine quasi psychedelische Wirkung haben. Es ist, als ob der Wahrnehmung ein wenig der Boden unter den Füßen weggezogen werde. Eine Beunruhigung, die sich nur über die Einzelbetrachtung der Blätter bändigen lässt. Dabei zeigt sich in der schwer sortierbaren Kleinteiligkeit ein Streben, aus unendlich scheinenden Partikeln ein Bildganzes zu schaffen. Und mehr und mehr erweist sich so die scheinbar minimalistische Destruktion einer Großform als ein quasi organisches Wachstum, in dem das zellulare Geschehen sich zu einer auch formal geschlossenen Gestalt entwickelt. Ein Prozess, der sich am ehesten erschließt, wenn man als Betrachter den Nahblick mit der Abstandsbetrachtung pendeln lässt.

 

Durch das einheitliche Hochformat unterstützt, zeigen die Blätter durchgängig eine Aufwärtsbewegung: Wie sprießendes Leben, das unaufhaltbar nach oben drängt. Ein Fluss, der mit mäandernden Farbströmen unterwegs verschiedene Richtungen weist und je nach Farbschwerpunkt auch unterschiedliche energetische Wirkung suggeriert. Von kühl-beruhigenden Blau- und Grüntönen bist zu vulkanisch flammendem Gelb-Rot-Orange. Mehr und mehr fasziniert so der Rhythmus, der den Bildern innewohnt, akzentuiert durch mal eher gerundete, mal ganz spitz zulaufende Kleinstflächen sowie deren variable Größe.

Abstrakt gefasste Seelenlandschaften geben Halt

Dem Nahblick beschert die Betrachtung eine Fülle an Reizen. Etwa über die Leuchtkraft der polychromen Künstlerfarbstifte, mit dem die Blätter gezeichnet und gemalt sind. Oder über die enthaltene Ölkreide der Stifte, die der Oberfläche spezifische Texturen gibt. Je nachdem, ob dicht und deckend oder weniger kräftig aufgetragen wurde. Denn im letzten Fall macht die spezifische Pigmentierung der Polychromos das durchscheinende Papierweiß zum integralen Bestandteil der Bildfläche.

In der Gesamtbetrachtung der zwei Dutzend Blätter verstärkt zudem der variable Umgang mit den Bildrändern mit seinen Ausbuchtungen den Eindruck des Organischen: abstrakt gefasste Seelenlandschaften, die der verwirrenden Atomisierung disparater Farb-Emotionen mit spürbarer Energie in ein Ganzes zu fassen und so Halt zu geben versucht.

Entschieden düsterer wirken daneben die ebenfalls rund zwei Dutzend Arbeiten in Schwarz-Weiß, mit dem Grafitstift gezeichnet. Ameisenhaft zerklüftete Gebirgslandschaften, die im Abstand eine kristalline Kälte spiegeln. In der Nahbetrachtung wiederum scheint dann aber eine Art Meditation in Grau zu obwalten. Mal in changierenden Übergängen, mal kontraststärker und in akzentuierender Konturierung. Eine ganz eigene visuelle Spannung entsteht durch die Kombination der Kleinstflächen mit monochromen, tendenziell grafisch gehaltenen Großflächen. Streng und präzise kalkuliert ist hier die Bildkomposition. Und von skulpturaler Wuchtigkeit, wenn die Bildfläche räumlich aufgebrochen wird. Es scheinen Blätter zu sein, die wie aus Stein gehauene Monumente wirken. Mahnmale der Trauer? Das Schwankende der Wahrnehmung scheint hier einen ganz anderen Grund als in den bunten Blättern zu haben. Und die Wirkung ist durchaus fesselnd.