Das Ebersbacher Stadtmuseum beleuchtet das Jahr 1945 aus der Perspektive von Zeitzeugen. Dabei kommen auch viele dunkle Facetten der letzten Kriegswochen im Landkreis zur Sprache.

Ebersbach - Ich werde nie diese Explosion von Süße auf der Zunge vergessen, als ich darauf biss. Mein erster Kaugummi.“ So beschreibt Anita Witt in ihrem Buch „Passing – Growing up in Hitler’s Germany“ den ersten Genuss eines chewing gums, den sie von einem US-Soldaten bekommen hatte. Die knapp 16-Jährige lebte in Ebersbach, als amerikanische Soldaten im April 1945 dort einmarschierten. Diese zwei kurzen, lebensdrallen Sätze lassen erahnen, welche Anziehungskraft die US-Armee auf das junge Mädchen jüdischer Herkunft gemacht haben muss. Zwei Jahre später wanderte sie in die USA aus. Doch 1945 war nicht nur von Aufbruchstimmung geprägt, wie die Ausstellung „Alle wollen überleben im Jahr 1945“ im Ebersbacher Stadtmuseum Alte Post zeigt. Der Schrecken des Krieges saß den Menschen noch im Nacken. Andere aber fürchteten aufgrund ihrer NS-Verstrickung den Frieden.

 

Am Aichelberg in Gefangenschaft geraten

Eine Fülle von Material hat der Leiter des Stadtmuseums, Uwe Geiger, für diese Ausstellung zusammengetragen. Volksempfänger und Soldatenstiefel sind genauso zu sehen, wie zahlreiche schriftliche Dokumente oder aber die Reproduktion eines Zettels, den der Roßwäldener Eugen Keyl in Ebersbach aus dem Lastwagen warf, um seiner Familie mitzuteilen, dass er in Gefangenschaft geraten war. Er war in Aichelberg beim Volkssturm dabei und wurde dort gefasst. Die meisten Gegenstände und Dokumente stammen aus dem Fundus des Museums und des Stadtarchivs, andere sind private Leihgaben. Anhand von Einzelschicksalen beleuchtet die Ausstellung den NS-Terror in den letzten Kriegswochen, der junge Burschen noch zu den Waffen rief, als der Krieg längst verloren war.

„Braune Vergangenheit“ im Heizkessel entsorgt

Es gibt aber auch Zeugnisse rührender Menschlichkeit. So bestand die ukrainische Zwangsarbeiterin Sascha Kopil, die im Haushalt der Familie Kauffmann untergekommen war, angesichts der vorrückenden US-Streitkräfte darauf, Lebensmittel und Wertgegenstände zu vergraben. „Soldaten, ob Freund oder Feind, Soldaten immer Hunger haben“, lautete ihr kluger Rat.

Auch auf die Täter richtet die Ausstellung einen Blick. So hat Uwe Geiger in dem Museumsfundus sogenannte Persilscheine gefunden, die Täter reinwuschen. Aus Schilderungen von Zeitzeugen weiß man, dass viele NS-Mitglieder rasch alle Utensilien verbrannten, die sie als Nationalsozialisten verraten hätten. So hält Margarethe Kauffmann viele Jahre nach Kriegsende fest, dass im April 1945 am Heizkessel der Firma Kauffmann reger Betrieb herrschte, da dort „viele der zuvor so tapferen SS- und SA-Leute“ ihre braune Vergangenheit verbrannten. Sie nannte das „vorsorgliche Entnazifizierung.“

Was geschah in Mauthausen?

Doch die Amerikaner ließen sich nicht täuschen. Viele NS-Funktionäre wurden gefasst. Am 1. und 3. Juli verhafteten sie drei SS-Männer und einen ehemaligen Führer der Hitlerjugend. Einer von ihnen, ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers in Mauthausen, erhängte sich in der Arrestzelle des Rathauses. Wie groß seine Beteiligung an der Mordmaschinerie der Nazis war, hofft Geiger noch herauszufinden. Er wartet noch auf eine Antwort aus Mauthausen.

Besonders berührend ist die Geschichte Karl Reicks, dessen Vater in Polen als Verwalter eines landwirtschaftlichen Bezirks eingesetzt worden war. Als die Sowjetarmee vorrückte, flüchtete der 13-Jährige zuletzt alleine nach Roßwälden zu seinen Großeltern. Der Zug von Berlin nach Stuttgart lag ständig unter Beschuss, doch schließlich erreichte er nach einer langen Odyssee Ebersbach. Zu Fuß kam er schließlich in Roßwälden an – einen Tag, bevor der Ort von den Amerikanern bombardiert wurde. Seine Erinnerungen an die Flucht, die in Auszügen in der Ausstellung nachgelesen werden können, hat er für seine Enkel niedergeschrieben.

Späterer Landrat in Lebensgefahr

Durch die umsichtige Politik des damaligen Bürgermeisters Gustav Seebich und seinen guten Kontakte zu den Amerikanern überstand Ebersbach die letzten Kriegswochen. Seebich hatte sich gewehrt, die Stadt um jeden Preis zu verteidigen, wie es die NS-Oberen wollten. Wie erst im Jahr 1985 bekannt wurde, geriet er deshalb selbst in größte Lebensgefahr. Ein Ebersbacher Werwolfaktivist wollte ihn und seine Familie ermorden.