Vielerorts in Baden-Württemberg werden Auszubildende aus Südeuropa angeworben. Seit einem Jahr gibt es für sie und andere eine zentrale Servicestelle: Das Center for European Trainees (CET) berät Zuwanderer und deutsche Betriebe mit Fachkräftebedarf.

Esslingen - Wenn im Büro von Jessica Flemming das Telefon klingelt, ist am anderen Ende der Leitung oft ein junger Mann oder eine junge Frau italienischer oder spanischer Herkunft. Die erste Frage lautet fast immer: „Wo finde ich einen Job in Deutschland?“ Flemmings Antwort fällt etwas ausführlicher aus: „Wir vermitteln keine Jobs. Wir können dich über die duale Ausbildung als Einstiegsmöglichkeit in den deutschen Arbeitsmarkt informieren und dir bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz helfen.“

 
Jessica Flemming ist die Projektleiterin des CET. Foto: Rudel

Die Anrufer werden dann über vielerlei Dinge beraten: vom Sprachkurs über Bewerbungsverfahren und Praktika bis zum Ablauf einer Berufsausbildung. Doch oft wüssten die Interessenten schon ziemlich genau, was sie wollen: „Sie haben zum Beispiel eine Ausbildung zum Elektroniker gemacht und möchten hier eigentlich als Facharbeiter einsteigen, können das aber nicht tun, weil ihnen der praktische Teil der Ausbildung fehlt und ihr Abschluss daher nicht anerkannt wird“, erklärt Flemming, die das Centers for European Trainees, kurz CET, in Esslingen leitet.

Die Servicestelle wurde vor einem Jahr von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft, einer Tochterorganisation der Arbeitgeberverbände im Land, ins Leben gerufen. Flemming und ihre Kolleginnen Valentina Nucera und Lisa Nottmeyer unterstützen die jungen Einwanderer, die teils auf eigene Faust, teils über Anwerbeprojekte nach Baden-Württemberg gekommen sind, auch ganz praktisch dabei, eine Stelle zu finden und diese auch zu behalten. Im Gegenzug helfen sie den Betrieben, freie Ausbildungsplätze zu besetzen.

Unternehmer haben immer noch große Vorbehalte

Zunächst einmal musste die Beratungsstelle landesweit bekannt gemacht werden: „Wir haben wahrscheinlich jede regionale Bildungsmesse und Informationsveranstaltung in Baden-Württemberg besucht, um mit Ausbildungsbetrieben ins Gespräch zu kommen“, sagt die Projektmanagerin. Mittlerweile berät das CET etwa 120 Unternehmen, vom Kosmetiksalon über den Elektriker bis zur Straßenbaufirma. In den Gesprächen sei es zunächst einmal um eine gewisse Sensibilisierung für das Thema gegangen: „Es gibt noch große Vorbehalte bei manchen Unternehmen, vor allem wegen der Sprache“, so Flemming. Das kulturelle Verständnis wachse, wenn ein Unternehmer selbst Wurzeln in Südeuropa hat oder italienisch- und spanisch-stämmige Mitarbeiter Mentorenrollen übernehmen.

Wozu die Beratung im Idealfall führen kann, erläutert Valentina Nucera am Beispiel einer Juristin aus Italien, die eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten in einer Fellbacher Kanzlei beginnen möchte. „Sie hat in ihrer Heimat studiert und fünf Jahre lang vergeblich nach einem Job gesucht“, sagt die CET-Mitarbeiterin. Nun bekommt die junge Frau vielleicht zum ersten Mal die Gelegenheit, in ihrem Fachgebiet zu arbeiten; wenn auch zunächst als Auszubildende. Während eines fünftägigen Praktikums arbeitet sie sich gerade in die Feinheiten des deutschen Rechtssystems ein. Auch der Arbeitgeber könnte vom kulturellen Hintergrund der potenziellen neuen Mitarbeiterin profitieren, denn er hat viele italienische Klienten.

Dass ihr italienischer Studienabschluss ihr nicht direkt in eine Festanstellung verhilft, nimmt die junge Frau in Kauf. Mit ihrer hohen Qualifikation ist sie kein Einzelfall: „Die jungen Zuwanderer sehen in der dualen Ausbildung eine Chance, in den deutschen Arbeitsmarkt einzusteigen und die Sprache während dieser Zeit besser zu lernen“, sagt Nucera. Die Ausbildung kann in solchen Fällen verkürzt werden.

Ob tatsächlich eine langfristige Zusammenarbeit entsteht, lässt sich vorher nie genau sagen. Viele aus Südeuropa angeworbene Auszubildende brechen ihre Lehre vorzeitig ab – nicht anders als deutsche Lehrlinge. Schuld daran sind nicht immer schlechte Noten in der Berufsschule. In drei Lehrjahren kann viel passieren: Mancher kommt nicht mit dem neuen Umfeld oder dem Arbeitgeber zurecht, andere finden doch noch einen Job oder einen Studienplatz in ihrer Heimat und wiederum andere werden vorzeitig von ihrer Familie zurückgerufen, zum Beispiel weil ein naher Verwandter erkrankt oder gestorben ist. „Eine dreijährige Ausbildung ist eben etwas anderes als ein halbjähriger Erasmus-Studienaufenthalt“, sagt Flemming.

CET kooperiert mit landesweiten Welcome-Centern

Genau in diesem Punkt fordert Stefan Küpper ein Umdenken: „Wir müssen dazu kommen, dass es nichts Besonderes mehr ist, eine Ausbildung oder wenigstens einen Teil davon in einem europäischen Nachbarland zu absolvieren. Genauso wie es schon längst Normalität ist, im Ausland zu studieren“, sagt der Geschäftsführer der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände. Das CET diene dabei als gemeinsame Plattform für den Wissenstransfer. „Es ist gut, dass wir diese Vielzahl an Einzelprojekten haben. Dem wohnt aber immer die Gefahr inne, dass man nichts voneinander weiß und Fehler mehr als einmal gemacht werden“, so Küpper. Das CET bündelt die Erfahrungen der Initiativen von Städten, Unternehmen und anderen Institutionen und kooperiert dabei auch mit den Welcome-Centern, die landesweit zur Beratung von Zuwanderern geschaffen werden.

Noch ist es Küpper zufolge zu früh, die überall im Land angestoßenen Projekte zu bilanzieren. „Wir hatten natürlich diese Negativbeispiele, wo am Ende so gut wie keiner mehr übrig geblieben ist“, räumt der Arbeitgebervertreter ein. Auf der anderen Seite gebe auch diejenigen Projekte, bei denen das Durchhaltevermögen der Azubis höher sei. Die derzeit größten Anwerbe-Initiativen von Bosch und Edeka Südwest umfassen zwischen 45 und 60 Azubis. Landesweit laufen 23 Projekte. In Regionen wie Aalen oder Ravensburg wurden rund 30 Jugendliche angeworben, die vor allem in Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben vor Ort untergekommen sind.

Förderung gibt es durch das Programm Mobi-Pro-EU

Die meisten Projekte werden über das Programm Mobi-Pro-EU der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziell unterstützt. Es soll die berufliche Mobilität von jungen EU-Bürgern auf dem europäischen Arbeitsmarkt fördern. In den Jahren 2013 und 2014 haben knapp 280 junge Menschen in Baden-Württemberg Förderungen aus diesem Programm erhalten. Für das kommende Ausbildungsjahr haben die Projektträger bereits jetzt mehr als 500 Teilnehmer angemeldet. Mehr als die Hälfte stammt aus Spanien, danach folgen Ungarn und Bulgarien. „Die Bewerber aus Osteuropa haben oft schon bessere Deutschkenntnisse“, sagt eine Sprecherin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der BA. Auch wenn die Zahlen steigen, nähren sie doch nicht gerade die Hoffnung, dass das Fachkräfteproblem allein durch den Zuzug junger Europäer zu lösen ist. Zumal viele der jungen Männer und Frauen mit dem deutschen Facharbeiterbrief in ihre Heimat zurückkehren werden. Daher müssten auch die anderen Gruppen stärker in den Ausbildungsmarkt integriert werden, sagt Küpper, zum Beispiel Flüchtlinge oder junge Menschen mit Migrationshintergrund, die schon lange hier leben oder hier geboren sind.

Das Gleiche gelte für diejenigen Jugendlichen, unabhängig von ihrer Nationalität, die keinen Schulabschluss haben oder trotz diesem noch sprachliche oder anderweitige Defizite ausweisen. Die Initiative dafür müsse stärker als bisher von den Unternehmen ausgehen, fordert Küpper: „Das ist für viele Betriebe vielleicht die letzte Chance, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.“