Eine Wollhändlerin aus Backnang hat eine Abmahnung bekommen, weil sie ihre Knäuel zu genau bezeichnet.

Backnang - Renate Grunert-Paul ist außer sich. Die Inhaberin der Wollstube Wollin in Backnang hat von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in Stuttgart eine Abmahnung erhalten. Der Grund: in ihrem Online-Shop hat sie Merino-Wolle angeboten. Das ist an sich nichts Ehrenrühriges, gäbe es nicht eine europäische Norm, die diese Bezeichnung im Handel verbietet. „Ich darf sie nur als Wolle auszeichnen“, sagt Grunert-Paul. Andernfalls würden pro Verstoß 3000 Euro fällig. „Betroffen ist die ganze Woll- und Textilindustrie.“

 

Beanstandet wurde die Materialkennzeichnung „70 % Merino fein, 30 % Baby- Alpaka“, was gegen das Textilkennzeichnungsgesetz verstoße. Dieses lasse nur die Angaben zu, die in dessen Verzeichnis für die Bezeichnung von Textilfasern festgelegt sind. Und in diesem fehlt unter anderem die Bezeichnung Merino. Das Absurde an der Abmahnung sei, dass dadurch ein echtes Qualitätsmerkmal nicht genannt werden dürfe. „Als Wolle kann man alles mögliche bezeichnen. Merino-Wolle ist aber nun mal eine ganz spezielle, hochwertige Wolle“, sagt Renate Grunert-Paul.

„Es ist, als ob man nur noch von Käse sprechen dürfte, nicht mehr von Emmentaler oder Edamer“, sagt Bernd Pottschull, der bundesweit mit Garnen handelt. Die ganze Branche sei deswegen seit einer Woche in Aufruhr. „Wir haben Widerspruch bei der Industrie- und Handelskammer eingelegt. Wenn wir Qualität produzieren, wollen wir diese auch benennen dürfen“, sagt Clemens Zitron, einer der führenden Wollehersteller in Wickede bei Dortmund.

Die Betroffenen hoffen auf die Initiative Handarbeit

„Es liegen mittlerweile 35 Abmahnungen in ganz Deutschland vor“, erzählt Renate Grunert-Paul, bei der das Telefon nicht mehr still steht. Denn betroffen sind nicht nur Online-Shops. „Wenn jemand es darauf anlegt, muss er nur die Banderolen der Wollknäuel lesen“, sagt Monika Carey, die handgefärbte, hochwertige Wolle über die Wollstube Wollin vertreibt. Durch die Abmahnungen seien ganze Existenzen bedroht. Die Fristen, die darin gesetzt sind, seien viel zu kurz, als dass die Betroffenen angemessen reagieren könnten. Renate Grunert-Paul hat bis morgen Zeit, Tausende Artikel umzuetikettieren.

Die Betroffenen hoffen nun, dass die Initiative Handarbeit, bei der viele Händler organisiert sind, juristisch etwas erreichen kann. „Früher stand nur Wolle auf den Knäueln, mit der Zeit hat man für die Verbraucher immer genauere Angaben gemacht. Und ausgerechnet das ist jetzt verboten. Das ist doch absurd“, regt sich Renate Grunert-Paul auf.

Guerilla-Stricken steht in Deutschland noch am Anfang

Ravelry:
Die Strickbegeisterten sind auch virtuell organisiert. Unter www.ravelry.com tauschen sich rund zwei Millionen „Knitters and Crocheters“ (Stricker und Häkler) aus. In der realen Welt gibt es zahllose Stricktreffs, wie den von Renate Grunert-Paul. Im Café Weller, neben ihrer Wollstube an der Schillerstraße in Backnang, findet er das nächste Mal am Samstag, 2. Juni, 14 Uhr, statt.

Urban-Knitting:
Magda Sayeg hat das Stricken vor sieben Jahren zu einem öffentlichen Thema erhoben, indem sie im amerikanischen Houston mit Freundinnen Türklinken, Parkuhren und Pfosten mit Selbstgestricktem verschönerte. „Knitta Please“ nannte sich die Gruppe. Inzwischen firmiert das Hobby auch unter „Guerilla Knitting“, „Urban-Knitting“und „Yarn Bombing“ (Garn-Bombardement). In Deutschland ist die Gestaltungsform noch jung. Zu den ersten städtischen Strickereien zählten im Sommer 2010 Textilobjekte von Stuttgart-21-Gegnern am Bauzaun.