Idyllische Aufnahmen unberührter Natur neben Unfällen und anderen Katastrophen, Stillleben als Blaupausen: die Galerie der Stadt Backnang zeigt ungewöhnliche Holzschnittdrucke des japanischen Künstlers Katsutoshi Yuasa.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Backnang - Die Vorlage für das fast fünf Meter breite und zweienhalb Meter hohe, grob verpixelte monochrome Wandbild ist ein vergleichsweise winziges Internetfoto gewesen. Es zeigt ein in Europa wohl weniger beachtetes Schiffsunglück in der japanischen See. Bei seiner jüngsten Ausstellung in Leipzig meinten nicht wenige Betrachter, in dem Werk des japanischen Künstlers Katsutoshi Yuasa die vor der Insel Giglio havarierte Costa Concordia erkannt zu haben.

 

Ein Puzzle aus 60 Din-A-4-Ausdrucken

Ein solcher Effekt kann nicht beabsichtigt gewesen sein, schließlich ist das Wandbild ein Jahr vor der hierzulande Aufsehen erregenden Schiffskatastrophe in Italien entstanden. Dass seine Werke dem Betrachter einen neuen Blick auf mutmaßlich sattsam Bekanntes eröffnen, sei aber durchaus gewollt, sagt Yuasa. Er selbst hat sein Wandbild zu ersten Mal in dessen Gesamtheit gesehen, nachdem es in der Ausstellung aufgebaut worden war. Sieben Monate hatte er daran gearbeitet, zunächst am Computer das Internetfoto vergrößert, es in rund 60 Din-A-4-Audsrucken zu einem großen Ganzen zusammengepuzzelt und dann daraus in mühsamer Handarbeit drei große Holzschnitte erstellt, um diese wiederum auf Papier zu drucken.

Der 37-Jährige hat sich darauf spezialisiert, Jahrhunderte alte Drucktechniken mit der heutigen digitalen Lebenswelt zu verbinden. Seine Vorlagen knipst er selbst mit einer Digitalkamera, findet sie in Museen, in Zeitungen oder eben im Internet.

Das Spektrum der Motive ist breit, und so hängen in der Ausstellung in der Galerie der Stadt Backnang, die an diesem Freitag eröffnet wird, idyllische Aufnahmen unberührter Natur neben Pressefotos, die Unfälle oder Naturkatastrophen dokumentieren. Eine Bilderserie beschäftigt sich beispielsweise mit dem verheerenden Erdbeben im Jahr 2012 in seiner Heimatstadt Tokio. In zwei kontrastierenden Farben sind jeweils Aufnahmen übereinander gedruckt worden, die Ansichten vor und nach der Katastrophe zeigen. „We lost something, but we don’t know what we lost – wir haben etwas verloren, aber wir wissen nicht was“ ist die Serie überschrieben.

Aber nicht nur Ereignisse, auch klassische Bildthemen der europäischen Kunstgeschichte werden von Yuasa aufgegriffen und verfremdet. Stillleben belgischer und niederländischer Künstler etwa erleben über den digitalen Umweg eine Metamorphose zu Blaupausen, die ganz anders wirken als die farbenprächtigen Originale.

„A very special place to show“

Simone Scholten, die Galerieleiterin, ist eher zufällig, aber schon vor längerer Zeit auf Yuasa aufmerksam geworden. Als Mitglied der Hamburger Griffelkunst-Vereinigung hatte sie vor rund zehn Jahren ein kleines Werk von Yuasa erworben und seinen Weg seither stetig verfolgt. Sowohl seine Technik als auch seine inhaltliche Verbindung östlicher und westlicher Traditionen habe sie beeindruckt, sagt sie.

Yuasas persönliches Lieblingsstück in der Backnanger Ausstellung trägt den Titel Selenography – die Kartierung des Mondes. Es ist eine in 24 Tortenstücke aufgeteilte Scheibe mit gut dreieinhalb Metern Durchmesser. Jedes der unterschiedlich grau schattierten Stücke steht für eine Stunde des Tages. Darüber schwebt ein Pendel, eine Darstellung des Mondes. Die Installation ist im lichtdurchfluteten ehemaligen Stadtturm aufgebaut. „A very special place to show“, wie der Künstler sagt.