Die 23-Jährige Jesidin Nadia Murad wurde kürzlich zur UN-Sonderbotschafterin ernannt. Ob sie in ihrer neuen Rolle wieder am Sonderprogramm Baden-Württembergs für IS-Opfer teilnehmen wird, ist offen. Die junge Frau steht unter großem Druck.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Wie gut tut es der Jesidin Nadia Murad, zur Symbolfigur im Kampf für Menschenrechte und gegen das IS-Grauen erhoben zu werden? Als UN-Sonderbotschafterin weltweit herumgereicht und professionell gemanagt von der US-Staranwältin Amal Clooney. Vorgeschlagen gar für den Friedensnobelpreis und damit auf dem Weg zu einer neuen Malala, die als Taliban-Feindin aus Pakistan vor zwei Jahren zur Ikone aufgestiegen ist.

 

Der Initiator des Jesidinnen-Projekts, der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan, sorgt sich. Er steht in ständigem Kontakt mit der 23-Jährigen, die zuvor bei Heilbronn gelebt hat, nach ihrer Ernennung in New York bei den UN aber noch eine Zeit lang in den USA bleiben werde. Und er hat die Irakerin einst untersucht, weil sie eine der ersten Frauen in dem baden-württembergischen Sonderprogramm war. Auf ihrer globalen Mission vernachlässigt sie die Behandlung in seinen Augen. „Sie ist sehr damit beschäftigt, eine Stimme dieser Leute zu sein und sie weltweit zu vertreten“, sagt der Professor an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen. „Das kann man therapeutisch als Stabilisationsfaktor sehen, auf der anderen Seite ist es eine junge Frau von 23 Jahren, die schlimme Dinge erlebt hat – da muss sie auf sich aufpassen.“ Wenn sie irgendwann mal nicht mehr diese Aufmerksamkeit habe, so fürchtet er, könnte sie „in ein tiefes Loch geraten“. Er rate ihr, sich weiter behandeln zu lassen. „Wenn sie allein ist, ist sie eine unscheinbare, schwache Frau – von außen sieht das anders aus.“

Nadia Murad (Mitte) und Anwältin Amal Clooney treffen den französischen Außenminister im UN-Hauptquartier.AFP Kretschmann will andere Länder einspannen

Dabei hat Kizilhan Ende vorigen Jahres Nadia Murad selbst vorgeschlagen, nachdem ihn die US-Botschafterin bei den UN gefragt hatte, ob er jemanden kenne, der vor den Vereinten Nationen über das Schicksal der Jesiden – den von den UN festgestellten Völkermord – reden könne. Nadia Murad hinterließ einen guten Eindruck, es folgten weitere Auftritte der beiden in Genf und New York. Viele Regierungsvertreter hat sie seither getroffen.

Das Sonderprogramm des Landes rückt damit international in den Fokus. Was Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Staatsminister Klaus-Peter Murawski auf den Weg gebracht hätten, „kann man nicht hoch genug bewerten“, lobt der Zentralrat der Jesiden. Dadurch sei mindestens 400 Familien eine Zukunft gegeben worden – „die wären sonst in der Krisenregion verloren gewesen“, sagt dessen Sprecher Holger Geisler. Konkret hat Baden-Württemberg 1000 IS-Opfern Schutz gewährt – zumeist alleinstehende Frauen oder Mütter mit Kindern. 100 weitere wurden von Schleswig-Holstein und Niedersachsen abgenommen. Kretschmann will auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz für ein größeres Engagement der anderen Länder werben. Baden-Württemberg selbst wird das Kontingent wohl nicht mehr ausweiten.