Die Bäckereiserie „Laible und Frisch“ gereichte dem Filmstandort Baden-Württemberg zur Ehre. Nun wird sie trotzdem eingestellt.

Stuttgart - Wie zusammengefegt steht er auf der Straße vor einem windschiefen Haus. An diesem Ort wohnen seine Träume. Frieder Scheiffele hat sie in Kartons gepackt und beschriftet. Kleider. Schilder. Requisiten. Wahrscheinlich muss er sie zum Schleuderpreis abgeben. Wegen der Schulden.

 

Die Kulisse bleibt. Bad Urach ist unverkäuflich. Über zwei Jahre hat der Filmproduzent Scheiffele hier mit seinem Team eine schwäbische Serie fabriziert, die alle Erwartungen übertraf. "Laible und Frisch", der Kampf eines örtlichen Handwerksbäckers gegen einen norddeutschen Backwarenfabrikanten verzeichnete beste Einschaltquoten im dritten Fernsehprogramm. Eine knusprig frische Mittelstandsstory aus dem Land der Schaffer.

"Guta Morga, Herr Scheiffele", grüßt eine beleibte Passantin. "Wann drehet Sie wieder in der Backstub?" Der Mann vom Film, ein blasser Typ mit Streberbrille, schaut verlegen. Drehen ist nicht, eher durchdrehen. Mit gesenktem Haupt schlendert Scheiffele über den Marktplatz, vorbei an Fachwerkveteranen. Zwölf Folgen hat er hier aufgenommen mit Walter Schultheiß, Dietz-Werner Steck, Simon Licht und Trudel Wulle. Damals gab es zwei von ihm. Ein Teil in der Wirklichkeit, ein Teil in der Fiktion. Jetzt gibt es nur noch die Wirklichkeit, und die ist traurig. "Ich könnte heulen", sagt Frieder Scheiffele, der Produzent, der eigentlich alles richtig gemacht hat und dabei irgendwie im falschen Film gelandet ist.

Andere Bundesländer tun mehr für ihre Filmwirtschaft

Rückblende. Scheiffele, Jahrgang 1979, verschlägt es vom Albtrauf nach Ludwigsburg. Er studiert an der Filmakademie Baden-Württemberg. Der Schwabe hat ein Faible für Serien. Schon in der Schule schaute er hinter die Kulissen des Marienhofs. In Ludwigsburg lässt er die Idee für eine Bäckereiserie fliegen. 2007 schließt er damit sein Studium als diplomierter Filmproduzent ab.

Es ist die Zeit, in der politisch heftig über den Filmstandort debattiert wird. Die meisten Absolventen der Filmakademie, die vom Land mit hohen Zuwendungen unterstützt wird, wandern nach dem Studium ab. Michael Jungfleisch ist geblieben. Er hat das Fach Produktion studiert, sich danach in Ludwigsburg selbstständig gemacht. Mit dem Dokumentarfilm "Die Blume der Hausfrau" landet er einen Riesenerfolg. Trotzdem muss er später Insolvenz anmelden. Jungfleisch beklagt als einer der Ersten die mangelnde Förderung in Baden-Württemberg. Andere Bundesländer würden weit mehr für ihre Filmwirtschaft tun.

Der Südwesten, der sich als Kulisse für große Filmproduktionen empfehlen will, gerät in die Schlagzeilen. "Es grämt die Landespolitiker, dass Baden-Württemberg mit der Filmakademie europaweit brilliert, aber das große Geschäft andernorts stattfindet", heißt es 2008 im Magazin "Focus". Die Politik kontert. Es sei gelungen, eine große Serienproduktion mit mindestens 200 Folgen nach Ludwigsburg zu holen. "Eine für alle" heißt die neue Soap. Staatsminister Wolfgang Reinhart (CDU) schwärmt von einer "ausgezeichneten Werbung für Baden-Württemberg". Die Produktion, ausgestattet mit einem Budget von 25 Millionen Euro, kräftig gespeist mit Landesgeldern, soll nicht nur 150 Menschen aus der Branche beschäftigen, sondern auch zum filmischen Urknall für die ganze Region werden. Die Telenovela erweist sich allerdings bald als Ärgernis. Medienfirmen beklagen, dass die Produktion dem Standort wenig nutzt, weil lokale Dienstleister leer ausgehen. "Die Bavaria bringt sogar ihre eigene Technik aus München mit", grantelt Eva Bauer, die in Ludwigsburg ein Tonstudio betreibt.

Die Grünen fordern eine bessere Medienpolitik

Es kommt noch schlimmer. Mit einem Marktanteil von 5,0 Prozent erfüllt die hochdeutsche Seifenoper aus dem Ländle bei Weitem nicht die Erwartungen der ARD. Nach der Hälfte der Folgen verkündet Programmdirektor Volker Herres das vorzeitige Aus. Die Grünen, allen voran der Abgeordnete Jürgen Walter, heute Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, fordern eine bessere Medienpolitik. Auf sein Drängen antwortet das Staatsministerium: "Die Auffassung, dass in Baden-Württemberg zu wenige Fernsehserien produziert werden, wird von der Landesregierung geteilt. Weitere Serien wären nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht wichtig für den Filmstandort, sondern auch als Präsentationsplattform für Filmmotive aus Baden-Württemberg." Eine neue Filmkonzeption wird aus der Taufe gehoben, der Fördertopf von der Landesregierung deutlich aufgestockt, um hiesige Produzenten dauerhaft an den Standort zu binden.

Frieder Scheiffele ist Zaungast dieser Aufführung. Er beschließt, genau das zu machen, was das Land will, nämlich eine Serie von und mit Filmschaffenden aus Baden-Württemberg. Nach dem Studium gründet er mit zwei Studienkollegen, dem Drehbuchautor Sebastian Feld und dem Schauspieler Bastian Braig, die Schwabenlandfilm GmbH. Gemeinsam stemmen sie das bundesweit erste Serienformat, das an einer Filmhochschule entwickelt und erfolgreich von einem Fernsehsender ins Hauptprogramm genommen wird. Bevor es so weit ist, müssen sie Klinken putzen und am Drehbuch feilen. Im Januar 2009 bewilligt die MFG Filmförderung Baden-Württemberg den Nachfuchsfilmern 500.000 Euro für die Produktion der TV-Serie. Die gleiche Summe trägt der Südwestrundfunk.

Das klingt nach viel Geld, ist aber bei sechs Folgen für die erste Staffel mit einer Länge von jeweils einer halben Stunde deutlich unterbudgetiert. Scheiffele und seine Partner rechnen nach und stellen fest, dass für ihr Vorhaben noch 300.000 Euro fehlen. Der 32-jährige Produzent nimmt ein Darlehen auf das Haus seiner Eltern auf, verhandelt mit Schauspielern, die teilweise ihre Gagen weit unten ansetzen. Er holt den Landkreis Reutlingen ins Boot und auch die Stadt Bad Urach, die Kulisse der Filmarbeiten wird. Gaststätten, Tourismusverbände und Betriebe aus der Umgebung steuern über Lizenzrechte weiteres Geld bei.

Von Folge zu Folge steigen die Einschaltquoten

Die Schwabenlandfilm GmbH mietet ein altes Haus am Marktplatz und baut es zum Studio aus. Übers Internet kauft das Team angejahrte Rührgeräte und Teigkneter, einen Tresen für die alte Bäckerei. Räume für die Maske, den Schnitt, die Produktion werden eingerichtet. "Laible und Frisch" mausert sich medienpolitisch zu einem Vorzeigeprojekt. Eine zweite Staffel wird bewilligt, von der mehr als eine Million Euro des Gesamtbudgets von 1,4 Millionen im Land verbleibt. 80 Prozent der Filmschaffenden sind aus Baden-Württemberg, viele davon ausgebildet an der Filmakademie.

SWR-Intendant Peter Boudgoust lobt das Projekt der drei Partner in den höchsten Tönen: "Die Produktion liegt mir sehr am Herzen, da sie für mich auf gelungene Weise traditionelles Programmverständnis mit der Notwendigkeit zur Innovation verbindet. Bei dieser Produktion wurde sowohl filmischer Nachwuchs gefördert als auch das beliebte Genre des mundartlichen Fernsehspiels neu belebt."

Für zwölf Folgen wird Bad Urach zu Schafferdingen. Von Folge zu Folge steigen die Einschaltquoten. Die zweite Staffel verfolgen im Schnitt 680.000 Gebührenzahler, was einem Marktanteil von 12,8 Prozent im SWR-Sendegebiet entspricht. Damit ist diese Quote doppelt so hoch wie der sonstige Durchschnittswert des Senders. Gerade die jüngere Zielgruppe kommt auf den Geschmack.

Der Sender macht dem jungen Produzenten Mut

So was spricht sich herum. Zeitungen berichten über die aufgebrezelte Schwabensoap. Der Sender macht dem jungen Produzenten Mut. "Ich habe nun die Folgen 10 bis 12 genossen und bin wirklich sehr zufrieden", lässt die zuständige Redakteurin das Team wissen. Und Fernsehdirektor Bernhard Nellessen schreibt im Vorwort der Pressemappe: "Auch die zweite Staffel des Mehrteilers erfüllt alle Kriterien unseres öffentlich-rechtlichen Programmauftrags, indem sie gesellschaftsrelevante Fragen unterhaltsam aufarbeitet."

Schöne Worte sind das, denen jedoch weniger schöne Taten folgen. Statt die Reihe auf dem Höhepunkt des Erfolgs weiter zu fördern, gibt der Sender im Juni 2011 das Aus bekannt. Die Konzeption sei für eine längere Laufzeit nicht geeignet, heißt es. Was wirklich dahintersteckt, lässt Raum für Spekulationen. "Eine weitere Fortsetzung von "Laible und Frisch" ist aus redaktioneller und programmatischer Sicht nicht zielführend. Um Erfolg und Zuschauerbindung durch fiktionale Serien dauerhaft zu festigen, bedarf es weiter gehender redaktioneller Konzepte und Finanzierungsstrategien, als sie bei dieser Produktion und Sendung gegriffen haben", erklärt der Intendant die Entscheidung seines Hauses.

Globale Politik im Spiegel des Lokalen

Schnitt. Die Kamera schwenkt auf die Gegenwart. In Bad Urach, der Stadt, in der angeblich die Brezel erfunden wurde, ist die Türe zur Filmbäckerei verschlossen. Man kann durchs Schaufenster in den Verkaufsraum sehen. Die Kulisse steht noch.

Frieder Scheiffele, der Filmemacher, weiß nicht, was er sagen soll. Das Sparbuch ist leer, seine Träume welken wie die Margeriten auf dem Marktplatz. Mit der dritten Reihe hätte seine Firma endlich Geld verdient, um damit auch neue Konzepte entwickeln zu können. In der nächsten Staffel hätte die Schulteswahl angestanden. Neue Ränkespiele. Schwäbische Dramedy mit gesellschaftlicher Relevanz ohne Provinzialität. Globale Politik im Spiegel des Lokalen.

Hätte, könnte, würde: Frieder Scheiffele kann mit seiner Mannschaft nicht weitermachen ohne den SWR, der lieber auf große, auswärtige Produktionsfirmen setzt, die im Auftrag des TV-Senders bereits neue Serien entwickeln, statt den Nachwuchs vor Ort beständig zu fördern. So sieht es jedenfalls Christian Dosch, Leiter der Film Commission Region Stuttgart und Kenner der hiesigen Filmszene. Er hält dem SWR vor, lokale Produzenten nicht so zu pflegen, wie es nötig wäre. Vor einem Jahr habe er dazu ein Ideenpapier vorgelegt. Bisher ohne inhaltliche Reaktion. "Das wird leider ausgesessen", sagt Dosch. Was mit Scheiffele in Bad Urach passierte, ist für ihn exemplarisch. "Produzenten gehen bei uns hochmotiviert an den Start und reiben sich am Ende so auf, dass sie das Land verlassen, wie geschätzt 90 Prozent der Filmakademie-Absolventen." Ein Trend, der Folgen haben könnte, zumal der Rechnungshof die vom Land mit Millionenbeträgen unterstützte Filmakademie jetzt selbst ins Visier genommen hat. Die Prüfer regen Kürzungen an, weil das Ziel der Förderung, einheimische Filmproduzenten vor Ort zu binden, nicht hinreichend nachgewiesen werde.

Scheiffele denkt über einen Ortswechsel nach

Medienpolitisch birgt das Sprengstoff. Vor diesem Hintergrund könnte das Aus der Bäckereiserie in nächster Zeit durchaus noch Wellen schlagen. Während sich die Grünen als Regierungspartei derzeit sortieren, geht der Reutlinger Landrat Thomas Reumann schon mal in die Offensive. Mit Bürgermeistern, Tourismusverbänden, Industrie und Handwerk schickte er einen Brandbrief an Peter Boudgoust. "An regionalen Serien mangelt es dem SWR in erheblichem Maße. In Bayern oder Norddeutschland gibt es wesentlich mehr Mundartformate. Im Namen zahlreicher Zuschauer und vor allem im Namen der vielen jungen Medienschaffenden, denen der SWR Verlässlichkeit bieten sollte, bitten wir Sie, sich für die Fortsetzung einzusetzen."

Einer dieser Medienschaffenden ist Matthias Dietrich, 32. Als Laible-Sohn spielte er eine Hauptrolle in der Produktion und wäre gerne auch in Zukunft nach Bad Urach gekommen. Stattdessen steht er nun bei Produktionen in Berlin oder München vor der Kamera. Für Dietrich war die Geschichte von "Laible und Frisch" "noch lange nicht auserzählt". Ähnlich sieht es Walter Schultheiß, 87, seit 1946 für den Sender tätig. "Man soll seine Wurzeln nicht verleugnen", sagt er. "Das gilt auch für den SWR."

Es ist spät geworden in Bad Urach, das den Sommer wie ein Kleid trägt. Frieder Scheiffele schließt das windschiefe Haus auf. Er denkt über einen Ortswechsel nach. Geld verdienen kann einer wie er nur dort, wo Filme und Serien beauftragt werden. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht", sagt der Produzent. An der Wand lehnt ein gelbes Schild. "Schafferdingen, Landkreis Rompfingen." Es wird ihm fehlen.