Planer und Projektentwickler in Stuttgart üben Kritik. Grund sind lange Bearbeitungszeiten und viele Auflagen.

Stuttgart - Wer in Stuttgart bauen will, muss sich nach wie vor mit viel Geduld wappnen. Wegen anhaltender Überlastung durch einen großen Arbeitsrückstau schafft das Baurechtsamt in vielen Fällen noch immer keine fristgerechte Genehmigung der Bauanträge. Die Verfahren dauern oft viele Monate. Aber Bauwillige müssen nicht nur teure Verzögerungen in Kauf nehmen, sondern fühlen sich auch zunehmend von der Stadt gegängelt. „Manche Sachbearbeiter führen sich auf wie Könige“, schimpft ein Betroffener.

 

So sei es gängige Praxis, dass Bauanträge mit dem Hinweis, sie seien nicht vollständig, zurückgewiesen würden. Der Sachbearbeiter setze einen Nachfrist von vier Wochen und verschaffe sich so etwas Luft. Denn erst wenn alle bemängelten Punkte erfüllt seien, fange die Bearbeitungsfrist nach der Landesbauordnung (LBO) an zu laufen. Wer Pech habe, lande aber erneut in der Warteschleife, sobald ein beteiligtes Amt weitere Nachweise anfordere. „Das grenzt mitunter an Schikane“, sagt der Chef eines Wohnbauunternehmens.

Ein Projektentwickler spricht von „unerträglichen und kontraproduktiven Eigenmächtigkeiten der Stuttgarter Bauverwaltung, die es so in keiner anderen Großstadt gibt.“ Ein Architekt beklagt, dass mitunter selbst die Schriftgröße in einem Plan oder dessen farbliche Gestaltung zu Verzögerungen führten. „Die Vorschrift sagt rot, aber der Mitarbeiter sagt, ich will gelb.“ Mittlerweile beherrsche er die „Stuttgarter Farbenlehre“ und färbe die Unterlagen je nach Mitarbeitergusto ein.

Der Unmut unter Architekten und Bauherren ist groß

Auffallend ist: kein Kritiker will seinen Namen in der Zeitung lesen, weil er befürchtet, dann beim nächsten Projekt dafür vom Baurechtsamt abgestraft zu werden. Doch der Unmut unter Architekten und Bauherren ist groß. Auch den Stuttgarter Wohnungsunternehmen brennt das Thema so auf den Nägeln, dass ihre Arbeitsgemeinschaft jetzt mit gezielten Verbesserungsvorschlägen auf die Stadt zugehen will. Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft, Thomas Wolf, betont, dass das Hauptproblem der Personalmangel und die wachsende Flut von Vorschriften seien.

Gleichwohl aber bestätigt er die erhobenen Vorwürfe. Dass diese nur unter vorgehaltener Hand geäußert werden, verwundert ihn nicht. „Wenn man sich beschwert, bekommt man das später zu spüren, das Elefantengedächtnis funktioniert, deshalb sagt keiner was“, so Wolf. Statt der bei Wohngebäuden vorgeschriebenen Bearbeitungsfrist von drei Monaten dauerten Baugenehmigungsverfahren oft sechs bis acht Monate. Schuld daran sei auch, dass sich manche Sachbearbeiter nicht für zuvor mit Kollegen getroffene Absprachen interessierten und Anträge lieber zurückwiesen, statt zum Telefonhörer zu greifen und Probleme direkt zu klären.

Auch in der Architektenschaft grummelt es gewaltig. „Die Klage, dass Verfahren lange dauern und sehr formalistisch gehandhabt werden, hören wir ständig von Kollegen“, sagt der Vorsitzende der Kammergruppe Stuttgart-Ost, Thomas Herrmann. Gespräche mit der Stadt hätten daran leider nicht viel geändert. Auch er betont, dass der Personalengpass, höhere formale Anforderungen und aufwendige Ausnahmeregelungen aufgrund alten Baurechts es „für beide Seiten schwierig macht“. Dass der Baubürgermeister sich öffentlich darüber aufregt, dass kaum noch ein Planer in der Lage sei, einen ordentlichen Bauantrag zu stellen, kontert er gelassen. „Das ist die Retourkutsche, mit der man versucht, Kritik abzuschmettern.“

„Wir kriegen oft erschreckend lückenhafte Anträge“

Kirsten Rickes, die Chefin des Baurechtsamtes, steigt ohne zu zögern zu ihrem Referatschef in die Kutsche. Schikane und Willkür? „Dass deshalb jemand Unterlagen nachfordert, das kann man ausschließen“, sagt sie. „Tatsache ist, dass wir oft erschreckend lückenhafte Anträge kriegen.“ Sie stellt sich vor ihre Mitarbeiter und betont, dass sie bei Beschwerden nur selten feststellen müsse, dass es hätte schneller gehen können. „Und wenn es solche Fälle gab, dann waren die Mitarbeiter neu oder haben eben sehr gründlich gearbeitet“, sagt sie. Dafür hat sie ein gewisses Verständnis: „Wenn eine Überlastung da ist, dann arbeitet man automatisch etwas formaler.“

Stichwort Überlastung: der Arbeitsrückstau führe weiterhin zu langen Verfahren, vor allem in der Innenstadt, wo seit Jahren viele Großprojekte bewältigt werden müssen. „Die Fristen werden kürzer, aber nicht von einem Tag auf den anderen“, sagt Rickes. So dauerten die Verfahren zurzeit im Durchschnitt 68 Arbeitstage. Das ist weniger als die 75,6 anno 2010, aber trotzdem weit entfernt vom politischen Ziel von 60 Tagen. Aber die dafür vom Gemeinderat bewilligten zwei zusätzlichen Stellen werden erst im April besetzt. „Das wird Erleichterung bringen, aber man braucht viel Zeit, um vom Berg runterzukommen“, sagt Kirsten Rickes.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wohnungsunternehmen sieht abseits von mehr Personal zwei Wege, um aus der Misere zu kommen. „Wir sollten uns München zum Vorbild nehmen. München hat einen Leitfaden, der genau regelt, wie ein Bauantrag auszusehen hat, an diesen haben sich alle zu halten, da kann keiner mehr was falsch machen oder rummeckern“, sagt AG-Sprecher Wolf. Zudem plädiert er für die Stelle eines Projektkoordinators als Vermittler zwischen Bauherren und Ämtern. Wolf: „Das Baurechtsamt vermittelt nicht, sondern bündelt nur die Stellungnahmen und entscheidet dann, und der Bauherr muss notfalls wieder von vorne anfangen.“

Ob die Vorschläge fruchten, bleibt abzuwarten. Architekt Herrmann fände einen Leitfaden „ganz sinnvoll“, einen Vermittler aber überflüssig. „Dieser Koordinator müsste der Sachbearbeiter im Baurechtsamt sein.“ Amtsleiterin Rickes sieht es genauso. „Wir sind ja die Schnittstelle.“ Und einen Leitfaden gebe es – allgemein als Anhang der LBO und lokal als vom Verein Immobilienwirtschaft Stuttgart erarbeitete Liste im Internet. „Viele Architekten sollten sich das einmal in Ruhe anschauen.“