Die Stuttgarter Innenstadt wird in den nächsten Jahren zur gigantischen Baustelle. Allem Aufbruch zum Trotz werden die Bürger belastet.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Stuttgart ist viel schöner als Berlin, zumindest während der Fußball-WM 2006 war das Konsens. Große Bauprojekte sollen die Innenstadt weiter aufhübschen. Zumindest bei der Planung solcher Vorhaben könnte sich Stuttgart von Berlin jedoch etwas abschauen.

 

Für die Bebauung des Potsdamer Platzes oder die Neugestaltung des Alexanderplatzes richteten die Investoren jeweils eine gemeinsame Rahmenkoordination ein. Schutt und Erdaushub wurden so effizient abtransportiert, Staus durch unkoordiniert an- und abfahrende Baufahrzeuge vermieden; die einzelnen Bauprojekte kamen sich dank gemeinsamer Logistik nicht in die Quere. Diese Rahmenkoordination, auf die sich die Bauträger selbst geeinigt hatten, verringerte die Beeinträchtigungen für Anwohner, Einzelhandel und Bürger im Herzen der Hauptstadt beträchtlich.

Keine zentrale Koordination der Großprojekte

In Stuttgart wurde eine solche Rahmenplanung trotz in der Summe vergleichbarer Bauvorhaben nie angedacht. Die Bauträger in der City koordinieren sich weder formell, noch sind sie von der Stadt dazu aufgefordert worden. Auch gibt es im Rathaus keine zentrale Koordination der bereits begonnenen oder für die nahe Zukunft geplanten Großprojekte in der Innenstadt.

Wozu das in der Praxis führen kann, ist derzeit in der Lautenschlagerstraße zu beobachten. Die Arbeiten an Postquartier und Hotel begannen dort mehr oder weniger zeitgleich - weshalb zum Beispiel gleichzeitig anliefernde Betonmischer die Straße verstopften. Zudem benötigen beide Projekte öffentlichen Straßenraum: Fußgänger quetschen sich durch einen engen Fußweg, Stellflächen für Baumaschinen und Container verengen die Fahrbahn de facto auf eine Spurbreite. Die Arbeiten am Bülow-Carré verschärfen die Folgen noch - auch für die Einzelhändler, deren Umsätze unter den Arbeiten leiden.

Der Überblick über geplante Bauvorhaben fehlt

Ein Ausweg aus dieser Misere, die wegen der Großprojekte künftig auch anderswo in der Innenstadt zu befürchten ist, wäre eine zentrale Koordination der Baustellen. Diese müsste festlegen, wer wann mit dem Bau anfängt und welche Logistikflächen dafür bereitgestellt werden. Wo eine solche Koordination nicht freiwillig zustande kommt, müsste die Stadt die Bauträger mit sanftem Druck dazu bringen. Ein Hebel wären Auflagen in der Baugenehmigung. Wofür es, wie Kirsten Rickes vom Baurechtsamt sagt, derzeit aber keine rechtliche Grundlage gebe. Bauanträge müssten nur baurechtliche Vorgaben erfüllen. Ihr Amt habe keinen Überblick über geplante Bauvorhaben in der Umgebung. Wer einmal eine Genehmigung hat, darf binnen drei Jahren mit dem Bau anfangen. Die Stadt ist dann verpflichtet, im Rahmen des rechtlich Möglichen Flächen zu stellen, wenn das Grundstück des Bauherrn etwa für den Aufbau von Kränen nicht ausreicht. Zuständig ist das Ordnungsamt.

Das Problem: auch dort hat man keinen Überblick über bereits genehmigte oder geplante Bauvorhaben. "Dann kommen die Bauträger gleich mit dem Anwalt und bestellen eine bestimmte Verkehrsregelung", klagt der Leiter der städtischen Verkehrsbehörde, Bernd Eichenauer. Wenn wie in der Lautenschlagerstraße parallel gebaut wird, hat Eichenauer ein Problem: Bauträger drohen wegen knapper Zeitplanung mit Schadenersatzforderungen, Anwohner und Gewerbetreibende klagen über Lärm, Dreck und Umsatzeinbußen, überdies soll der Straßenverkehr fließen.

"Bisher haben wir das noch immer hingekriegt"

Er müsse dann moderieren und "einen Interessenausgleich finden", sagt Eichenauer, "aber es wäre doch viel einfacher, den Bauherren in die Baugenehmigung reinzuschreiben, dass sie logistische Fragen untereinander zu klären haben."

Mit dieser Forderung ist Bernd Eichenauer im Rathaus derzeit jedoch allein. "Bisher haben wir das mit den Baustellen noch immer hingekriegt", sagt Stuttgarts Baubürgermeister Matthias Hahn. Es gebe einfach zu viele Unwägbarkeiten bei Großprojekten, wie sie derzeit in der Innenstadt geplant sind: "Das würde die Steuerungsmöglichkeit der öffentlichen Hand überfordern", findet Hahn.

Immerhin gelten für planfeststellungspflichtige Projekte wie Stuttgart21 andere Voraussetzungen: Hier muss die Verkehrsverträglichkeit vorab geregelt werden. Die Bahn will die Belastungen für Stuttgarts Straßen mit der zentralen S-21-Logistikfläche am Nordbahnhof, von der aus die Baustellentätigkeit gesteuert wird, reduzieren.