Die Beamten in Baden-Württemberg verlangen eine satte Gehaltserhöhung – und berufen sich auf das Alimentationsprinzip. Fingerzeige dazu gibt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Karlsruhe - Winfried Kretschmann ist Beamter, was ihn aber nicht hindert, das Beamtentum kritisch zu sehen. Und er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Beim Sommerfest des baden-württembergischen Beamtenbunds frustrierte der Ministerpräsident das versammelte Funktionärskorps mit der Feststellung, er sei gegen Artikel 33, Absatz 5 des Grundgesetzes. Bedauernd fügte er hinzu: „Aber er steht halt nun mal in der Verfassung.“ Auch erinnert Kretschmann gerne und ungefragt daran, dass er seinerzeit in der Föderalismuskommission vorgeschlagen habe, diese Verfassungsbestimmung zu kippen. Aber niemand habe ihm folgen wollen. Nur auf eine zarte Reformandeutung vermochte man sich zu verständigen.

 

Kein Wunder. Denn auf jenem Verfassungsartikel ruht das deutsche Beamtentum. Der zentrale Satz des Artikel 33 lautet: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“ Darauf pochen die Repräsentanten der Beamten, wenn sie sich gegen Einsparungen im System verwahren. Oder wenn sie darauf bestehen, dass die in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder vereinbarten Gehaltserhöhungen vollumfänglich und zeitgleich auf die Beamten übertragen werden. Auch Volker Stich, Landeschef des Beamtenbunds, verzichtet im Dauerkonflikt mit der grün-roten Landesregierung selten darauf, mit dem „Gang nach Karlsruhe“ zu drohen, sollten die Rechte und Besitzstände der Staatsdiener angetastet werden.

Die Einlassungen des Bundesverfassungsgerichts sind freilich nicht immer konsistent. In der Vergangenheit sprachen die Richter dem Gesetzgeber immer wieder einen „weiten Gestaltungsspielraum“ zu – bis hin zur Absenkung von Besoldung und Versorgung. Beides sei dem Gesetzgeber „grundsätzlich nicht verwehrt“.

Es gibt keinen gesicherten Anspruch auf Erhalt des Besitzstandes

Schon 1958 entschied das Gericht, es gebe keinen hergebrachten Grundsatz, der den Beamten „den einmal erworbenen Anspruch auf eine summenmäßig bestimmte Besoldung“ gewährleiste. In der Folge befand Karlsruhe erneut, dass es einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf Erhaltung des Besitzstandes in Bezug auf ein einmal erreichtes Einkommen nicht gebe. Der Beamte habe grundsätzlich auch keinen Anspruch darauf, dass ihm die Versorgungsregelungen, unter denen er in das Beamten- und Ruhestandsverhältnis getreten ist, unverändert erhalten bleiben.

Jedoch sei die Alimentierung auch keine beliebig variable Größe, die sich einfach nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten der öffentlichen Hand oder nach den politischen Dringlichkeitsbewertungen staatlicher Aufgabenerfüllung bemessen lasse. 2005 urteilte Karlsruhe: „Im Beamtenrecht ist das Bemühen, Ausgaben zu sparen, in aller Regel für sich genommen keine ausreichende Legitimation für eine Kürzung der Altersversorgung.“ Bei gleicher Gelegenheit sagen die Richter aber auch: „Die Sanierung der Staatsfinanzen ist eine tief greifende und legitime Aufgabe des Gesetzgebers gegenüber dem Staatsganzen.“

Eine „amtsangemessene Alimentation“ muss gewahrt bleiben

Die „amtsangemessene Alimentation“ der Beamten als Bestandteil der „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums muss gewahrt bleiben. Was aber bedeutet das? Jüngste Fingerzeige gaben die Karlsruher Richter zuletzt in einem Urteil vom Februar 2012, das sich mit der Professorenbesoldung in Hessen beschäftigte. Es ging um einen Professor für physikalische Chemie in der Besoldungsgruppe W 2 und dessen in eine Grundbesoldung und ein Leistungsbezahlung geschiedenes Gehalt.

Zu dem Urteil führt das Gericht aus: „Verfassungsrechtliche Basis der Beamtenbesoldung ist das Alimentationsprinzip.“ Dieses verpflichte den Dienstherrn, den Beamten einen „angemessenen Lebensunterhalt“ zu gewähren und dabei folgende Kriterien im Auge zu behalten: den Dienstrang, die mit dem Amt verbundene Verantwortung, die Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit sowie die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse, also des allgemeinen Lebensstandards.

Damit nicht genug. Der Dienstherr müsse darauf achten, dass die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte und das Ansehen des Amts gewahrt blieben. Zudem sei zu berücksichtigen, welche Ausbildung der Beamte vorweisen könne, und wie seine tatsächliche Beanspruchung aussehe. Schließlich müsse in die Gesamtschau einfließen, wie es in der Privatwirtschaft bei vergleichbaren Tätigkeiten aussehe („systemexterner Gehaltsvergleich“). Im Ergebnis ist der Dienstherr gehalten, den Beamten materiell so auszustatten, dass er sich „ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensaufgabe“ widmen kann, um „in rechtlich wie wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum zugewiesenen Aufgaben“ beizutragen.

Richter sind im Beamtenrecht verankert

Die hingebungsvolle Verfassungsinterpretation der Richter verraten deren Verankerung im Beamtenrecht. Freilich weist das Gericht erneut darauf hin, dass der Gesetzgeber über einen „weiten Entscheidungsspielraum“ verfüge. „Dies gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der Höhe der Besoldung.“ Im Kern beschränke sich die materielle Kontrolle auf die Frage, „ob die dem Beamten gewährten Bezüge evident unzureichend“ seien. „Dies ist dann der Fall, wenn der unantastbare Kerngehalt der Alimentation als Untergrenze nicht mehr gewahrt ist.“ Was das im Einzelfall bedeutet, wissen wahrscheinlich nur Verfassungsrichter. Im konkreten Fall jedenfalls wurde die Grundbesoldung des Professors als zu niedrig verworfen.