„Werden Sie Meister?“ Mit dieser Frage nerven Reporter schon seit Monaten BVB-Trainer Jürgen Klopp. Bald wissen wir mehr. Oder auch nicht.

Stuttgart - Die größte Angst aller Fußballer und Fans ist die vor der dritten Halbzeit – vor jener Schreckensphase nach dem Schlusspfiff, wenn sie das Schlimmste erwartet, was das Fernsehen zu bieten hat: die Kinderviews. Ursprünglich sagte man Interviews, aber das hat sich erledigt, als ein Reporter von Ralf Rangnick nach einer niederschmetternden Niederlage einmal wissen wollte: Wie ist die Stimmung in der Kabine? Der Trainer schaute den Neugierigen an und wusste sich nur noch mit der Antwort zu helfen: „Die Spieler liegen sich in den Armen, schunkeln und singen lustige Lieder.“ Inzwischen wehren sich die ersten Opfer der Kinderviews mannhaft, beispielsweise hat Otto Rehhagel offen gedroht, dass er jedem TV-Reporter, der ihm die Frage „Wollen Sie gewinnen?“ stellt, künftig die Antwort gibt: „Nein, ich will verlieren.“ Dabei ist es nur die zweitdümmste Frage.

 

Die dämlichste ist: Wollen Sie Deutscher Meister werden? Woche für Woche ertragen wir diese Frage aller Fragen, spätestens mit Beginn der Rückrunde wird sie an jedem Spieltag gestellt, bis zur Bewusstlosigkeit – fortwährend geistern rasende Reporter mit einem Mikrofon in der Hand durchs Bild und stellen an jeden Trainer, Manager oder Kicker, der sich dem Titelkampf auch nur entfernt nähert, in Ermangelung klügerer Fragen ständig diese eine: „Werden Sie Meister?“

Psychotricks der Reporter

Und wehe, es ziert sich einer. Alle Psychotricks packen die Reporter aus, um die widerspenstigen Titelanwärter aus der Reserve und in die Falle zu locken, angefleht werden die Trainer, ja notfalls fast beleidigt unter dem Motto: „Was, Sie wollen nicht Meister werden? Glauben Sie denn nicht an Ihre Mannschaft?“ Der Einfachheit halber spricht man inzwischen von der „M-Frage“, und sie wird bis an den Rand der geistigen Umnachtung gestellt, obwohl alle wissen, dass die Befragten sich winden und als Antwort immer die eine geben: „Wir denken von Spiel zu Spiel.“

Die Gladbacher und die Schalker haben sich rechtzeitig ausgeklinkt. Als ihnen die M-Fragen zu blöd wurden, verzichteten sie freiwillig darauf, sich im Meisterkampf weiter zu engagieren – und verloren absichtlich, um dem weiteren Wahnsinn zu entgegen.

Gladbachs Trainer Lucien Favre ist diesbezüglich ein gebranntes Kind. Schon vor drei Jahren, damals noch bei Hertha BSC, wollte ihm der ZDF-Reporter Bela Rethy auf Teufel komm raus ein bindendes Bekenntnis zum Gewinn des Titels abringen. Favre wehrte sich heldenhaft und mit besten Argumenten, aber das ist nicht das, was ein Reporter hören will, also hat der unbeugsame Rethy von vorne gebohrt und gesagt: „Ich versuche, Sie zu locken.“ Favre schaute ihn entgeistert an – so wie seit Wochen sein Dortmunder Kollege Jürgen Klopp die M-Frager kopfschüttelnd anschaut mit einem ratlosen Gesicht, das die Frage stellt: Wohin, um Himmels willen, wollen Sie mich locken?

Klopp aus der Reserve locken

Aber die M-Bohrer lassen nicht ums Verrecken locker – beseelt von der Hoffnung, dass selbst der zähe Klopp unter der Last der Dauerfrage irgendwann zusammenbricht, eine dicke Lippe riskiert und in ein Mikro grölt: Ja, wir ziehen den Bayern die Lederhosen aus und dem Hoeneß die Schlappohren lang!!

Das Ritual der M-Frage ist so haarsträubend bekloppt, dass es als finaler Wahnsinn und hysterischer Höhepunkt dieses spannungsgeladenen Titelkampfs gar nicht mehr wegzudenken ist – jeder TV-Befrager will seit Beginn der Rückrunde unbedingt der Erste sein, der brühwarm be-kanntgibt, dass die Meisterschaft entschieden ist. Jan Henkel von Sky war vor ein paar Wochen schon so gut wie am Ziel, nach der Niederlage in Leverkusen trieb er den Bayern-Sportdirektor Nerlinger derart in die Enge, dass der die Meisterschaft spontan abhakte. „Diese Aussage“, sagte Henkel begeistert, „steht erst einmal.“

Sie stand genau eine Woche. Dann siegten die Bayern wieder, und mehr denn je hecheln die rasenden Reporter nach dem Schlusspfiff seither mit heraushängender Zunge und hochgestellten Haaren über das Spielfeld und stoßen die M-Frage aus, in der Hoffnung auf scheppernde Kriegserklärungen – oder darauf, dass sich der Klopp das Maul mit der öffentlichen Bekanntmachung verbrennt, dass ganz Dortmund längst heimlich die Meisterfeier trainiert, jeden Abend im Schutz der Dunkelheit, mit Übungskonvois durch die Stadt und jeder Menge Konfetti.

„Bye-bye, Bayern!“

Aber so geschuckt ist der Klopp nicht. Denn der letzte Bayernrivale, der seine Zuversicht laut hinausposaunt hat, ist damit nicht glücklich geworden – jedenfalls weiß Klaus Toppmöller zu den Risiken der vorschnellen Geschwätzigkeit mehr als jeder andere. Als der als Shootingstar der Trainerzunft in den Neunzigern mit Eintracht Frankfurt einen sagenhaften Siegeszug hinlegte, ließ er beim Höhenflug seine Propeller kreisen, drehte Pirouetten, riss Possen und verkündete eines schönen Samstags großspurig: „Bye-bye, Bayern!“

Danach stürzte Toppmöller senkrecht ab, der Bayernkollege Ribbeck verglich ihn mit einem „Sechsjährigen im Strampelanzug“, und für die glucksenden Medien war der Spruchbeutel ein gefundenes Fressen – mit dem Holzhammer brachten sie ihm bei, dass selbst das doofste Huhn eines weiß: nicht gackern, erst legen.

Morgen ist nun ein eminent wichtiger Tag, der M-Tag. Wenn Dortmund die Bayern schlägt, ist das Amen gesprochen. Allerdings nur bis Samstag. Denn dann, wir ahnen es, verliert der BVB in Schalke, und mit aller Besessenheit wird uns die sinnfreie M-Frage anschließend weitere drei Spieltage lang quer durch alle Kanäle vor den Latz geknallt – bis wir uns fragen, ob das M nicht in Wahrheit für manisch und meschugge steht.