Er hat Filme über Politiker und Extremsportler gemacht, für „Schwarzfahrer“ bekam er einen Oscar. Pepe Danquarts neues Werk erzählt von einem Jungen, der aus dem Warschauer Ghetto floh. Unsere StZ-Autorin Ulrike Frenkel ist ihm in München begegnet.

Stuttgart - Er ist selten ohne eine Kopfbedeckung anzutreffen, und Interviews führt er ganz gern an der frischen Luft, weil er da rauchen kann. Die Lust an der selbstgedrehten Zigarette ist aber nicht das einzige, was Pepe Danquart aus den siebziger Jahren ins neue Jahrtausend gerettet hat. „Es gibt bei mir inhaltlich über die Jahre schon eine Linie“, sagt er im Hof eines Münchner Bahnhofsviertelhotels, in dem es so bunt zugeht wie in seiner langen Filmografie. Dort finden sich Kurz- und Dokumentarfilme neben Spielfilmen, Komödien neben Tragödien, Sport- neben Gesellschaftsstudien. Und nun ist sein neues Werk in den Kinos: „Lauf, Junge, lauf“, die Biografie des im Alter von neun Jahren aus dem Warschauer Ghetto geflohenen Yoram Fridman nach dem Roman von Uri Orlev.

 

Eine herzzerreißende Geschichte, erzählt in manchmal fast unerträglich schönen, wie aus Kinderperspektive betrachteten Bildern von menschenleerer Natur und den Möglichkeiten der menschlichen Natur. Denn den Weg des kleinen Srulik, der sich den polnischen Namen Jurek gibt, um nicht als Jude entlarvt zu werden, kreuzen Frauen und Männer, die sich seiner erbarmen, obwohl sie sich dadurch selbst in Gefahr bringen, und solche, die ihn verraten, obwohl sie ihm helfen könnten, wenn sie wollten. Leicht, das auf die heutige Zeit zu übertragen. Begegnen wir nicht alle ständig Flüchtlingen aus aller Welt, und prägt unser Verhalten nicht ihren weiteren Weg mit? Und gälte es, in entscheidenden Situationen an seine eigenen Grenzen gehen, anstatt den sicheren Mittelweg zu wählen?

1994 gab es einen Kurzfilm-Oskar

Solche Fragen sind Pepe Danquart nicht fremd. Geprägt, sagt der 59-Jährige, habe ihn im Nachhinein betrachtet die Arbeit an dem Film „Die lange Hoffnung“, den er mit seinem damaligen Kollektiv, der Medienwerkstatt Freiburg, Anfang der achtziger Jahre über den Anarchosyndikalisten Augustin Souchy drehte. „Für mich war er unglaublich wichtig, so einen Großvater habe ich mir immer gewünscht.“ Die jungen südwestdeutschen Rebellen begleiteten den fast neunzigjährigen Souchy und die Schweizerin Clara Thalmann auf eine letzte Reise nach Spanien, wo beide in den dreißiger Jahren gegen Franco gekämpft hatten. „Das war ein Glücksfall, jemanden zu treffen, der sich konsequent treu geblieben ist, und jenseits von Karriere- oder Wohlstandsträumen bis ins hohe Alter an seine Ideen glaubte“. Ein Lebensvorbild: denn auch wenn sich Danquarts Formsprache von „Die lange Hoffnung“ über „Schwarzfahrer“, für den er 1994 einen Kurzfilm-Oscar bekam bis zu seinem aktuellen Film verändert habe, und er sich nicht gerne wiederhole, sei da „durchaus ein roter Faden drin“.

Grenzgänger seien es, die ihn seit diesen Anfängen häufig beschäftigten, ob die Extremradfahrer in „Höllentour“, die Extremkletterer in „Am Limit“ oder in „Joschka und Herr Fischer“ ein alles andere als durchschnittlicher Politiker. „Um die Mitte zu begreifen, muss man an die Ränder gehen“, sagt der gebürtige Singener. „An der Grenze findet sich der Mensch deutlich schneller als in der Mitte, wo alle sich bewegen.“ Auch der kleine Srulik in seinem neuen Film sei so ein Grenzgänger, durch die Verhältnisse auf sich selbst zurückgeworfen und gezwungen, den Überlebenskampf unter fremden Dächern und im Freien zu bestehen, „die Landschaft war hier ein wichtiger Protagonist“. Äußerlich betrachtet sei „Lauf, Junge, lauf“ ein „Huckleberry-Finn’scher Abenteuerfilm“, andererseits gebe es eine innere Reise, „Srulik geht sich selbst verloren und muss sich wieder finden“. Die eineiigen Zwillingsbrüder Andrzej und Kamil Tkacz spielen, ohne dass man es je merken würde, abwechselnd diesen Jungen, der seine Familie und seine körperliche Unversehrtheit einbüßt, aber nie seine Würde. Fiel es Danquart leicht, mit den Heranwachsenden zu arbeiten?

Das Zwillingsdasein ist wie ein griechisches Drama

„Ich hatte 700 Kinder gecastet, und dass wir die Zwillinge entdeckt haben, war ein Riesenglück. Zwillinge sind immer unterschiedliche Persönlichkeiten, der eine ist introvertierter, sensibler, der andere extrovertierter, stärker.“ Konnte er sich da als eineiiger Zwilling – sein Bruder Didi Danquart ist auch Filmemacher – besonders gut einfühlen? „Das Zwillingsdasein ist wie ein griechisches Drama, das hört erst mit dem Tod auf“, sagt Danquart, „die Auseinandersetzungen bleiben.“ Auch die um die Grenzen. Als „wissender Zwilling“ habe er diese verschiedenen Charaktere in eine Figur überführen können. Ihm habe daran gelegen, mit den Jungen viel zu sprechen, „sie sollten historische Fakten über den Nationalsozialismus kennen und Yoram Fridmans Geschichte“. Da er ihn ans Set eingeladen hatte, begegneten sie dem beeindruckenden Mann, den sie als Kind verkörpern sollten, auch persönlich.

Vor dem weit über Achtzigjährigen mit dem Film bestehen zu können, war Danquart extrem wichtig. „Es gab viele internationale Bewerbungen um die Verfilmung seiner Biografie, und er hat sich für mich entschieden, weil ihm mein Film ,Nach Saison’ gefallen hatte. Das war eine Auszeichnung und eine Bürde gleichermaßen.“ Als erstes war er deshalb nach Israel gereist, um Fridman zu fragen, wie es denn für ihn sei, dass ein Deutscher seine Lebensgeschichte verfilme, „und er antwortete, für ihn sei das eine späte Genugtuung. Außerdem glaube er, dass wir nicht so einen Kitsch daraus machen würden wie die Amerikaner.“

Das Prinzip Hoffnung

Fridman konnte sich identifizieren mit der Interpretation, und auch in Polen, wo „Lauf, Junge, lauf“ im Januar im neuen Jüdischen Museum auf dem ehemaligen Warschauer Ghettogelände uraufgeführt worden war, fand der Film positive Resonanz. „Dass ein deutscher Regisseur eine polnisch-jüdische Geschichte in Originalsprache drehen kann und das in beiden Ländern gut aufgenommen wird, ist vielleicht doch ein gutes Zeichen für das europäische Zusammenwachsen.“ Vielleicht zeichnet auch dies den Filmemacher Pepe Danquart und seine Arbeit aus: eine gewisse Leidenschaft für das Prinzip Hoffnung.