Kultur: Adrienne Braun (adr)

In fünf Workshops wurde den Chormitgliedern das Konzept erklärt. Emin Günaydin hatte bisher wenig mit Kunst am Hut, aber durch seine „kritische Herangehensweise“ schaue er aus einem anderen Blickwinkel auf die Kunst. Außerdem habe er durch seine türkische Abstammung „eine Minderheitenperspektive – wie viele der ausgestellten Künstler auch.“

 

Der Student nimmt seine Sache sehr ernst. Er will die Erfahrungen mit den Spaziergängern nicht nur als Hausarbeit im Fach Soziologie verarbeiten, sondern das Kunstpublikum auch auf den rechten Weg führen. Bei den Indigo-Pflanzen, die in der Documenta-Halle in Töpfen wachsen, einer Installation von Aboubakar Fofana, lenkt er das Gespräch auf den Kolonialismus und die Schattenseiten der Jeansproduktion. Bei Miriam Cahns existenziellen Bildern sagt er „Das Gesicht passt nicht zum Rest des Gemäldes“ – aber gerade weil er ohne die üblichen Phrasen auskommt und eher nach den politischen Hintergründen und den Lebensumständen der Künstlerinnen und Künstler fragt, entwickelt sich ein interessanter Austausch – nicht über Kunst und Kunstgeschichte, sondern über Demokratie, Ausbeutung oder Flucht.

Aktuelle Themen aus künstlerischer Sicht

Von den geborstenen Flüchtlingsbooten, die der mexikanische Künstler und Komponist Guillermo Galindo in Musikinstrumente umfunktioniert hat, ist die Gruppe besonders angetan. Die meisten Teilnehmer sind Mitarbeiter der Diakonie Frankfurt und haben tagtäglich mit Flüchtlingen zu tun – und deshalb einen Betriebsausflug nach Kassel unternommen. Sie interessiere, wie auf der Documenta Fragen zu Demokratie, Gerechtigkeit, Flucht verhandelt werden, erklärt eine Frau, „und das nicht theologisch, nicht sozialpädagogisch, sondern künstlerisch aus der Erfahrung von Künstlern heraus.“ Für sie habe sich die Reise nach Kassel schon deshalb gelohnt.

Nach zwei Stunden sind alle ermattet, aber dem Geist dieser Documenta ein gutes Stück näher gekommen. Es ist bezeichnend, dass Emin Günaydin die Namen der Künstler wenn überhaupt, dann nur am Rande erwähnt. Denn Kunst ist hier ein Mittel, um ins Gespräch zu kommen, um Diskussionskultur zu üben und zu reflektieren – aber nicht wie üblich über Kunst, Markt und Mythos, sondern über aktuelle gesellschaftliche Fragen. Wobei es ganz nebenbei auch durchaus lehrreich ist, ausnahmsweise auf die Kategorien gut und schlecht, richtig und falsch zu verzichten. Selbst wenn es nur für zwei Stunden ist.

Bis 17. September,
geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr, die Spaziergänge kosten zwölf Euro zuzüglich Eintritt und können im Internet gebucht werden unter www.documenta.de