Nach dem Rückzug vom Aufsichtsratsvorsitz bangt Klaus Wowereit um sein Zukunft. Dieser Fall und die Turbulenzen bei Thyssen-Krupp haben eine Debatte über die Kontrolle von Großprojekten und Firmen ausgelöst.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Berlin - Für eine Flucht nach vorn kam der Schritt möglicherweise zu spät: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit steht auch nach seinem Rücktritt als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg unter Beschuss. Das Berliner Abgeordnetenhaus stimmt am heutigen Samstag über einen Misstrauensantrag gegen den SPD-Politiker ab. Die Opposition wirft ihm vor, als Chefkontrolleur des Pannenprojekts BER versagt zu haben. Anfang der Woche wurde die zuletzt für den Herbst geplante Eröffnung des Großflughafens in Schönefeld bereits zum vierten Mal verschoben.

 

Bundesweit hat der Fall eine hitzige Debatte über die Arbeit von Politikern in Aufsichtsräten ausgelöst. Selbst in der Bundesregierung regt sich Widerstand dagegen, dass anstelle Wowereits künftig der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck das Kontrollgremium der Flughafengesellschaft leiten soll: Das Bundesfinanzministerium sähe lieber einen unabhängigen Experten aus der Wirtschaft an der Spitze des Aufsichtsrats, enthüllte „Die Zeit“. Der Bund ist zu 26 Prozent an der Flughafengesellschaft beteiligt. Allerdings hat das federführende Verkehrsministerium bisher keine Vorbehalte gegen die Personalrochade im Aufsichtsrat geäußert, Ressortchef Peter Ramsauer wünschte Platzeck sogar Glück für seine neue Aufgabe. Die Entscheidung über den neuen Vorsitzenden wird auf einer Aufsichtsratssitzung am Mittwoch erwartet.

Eine Häufung von Skandalen bei politisch besetzten Gremien

Der Bund der Steuerzahler betrachtet den Wechsel von Wowereit zu Platzeck als nutzlos. „Die systematische Überfrachtung des Aufsichtsrats mit Berufspolitikern bleibt bestehen. Stattdessen muss die Politik den Aufsichtsrat umbauen und mit Fachexperten sowie kompetenten Fachbeamten besetzen.“

Ähnlich sieht es die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Die Aktionärsschützer beobachten seit Jahrzehnten die Arbeit von Aufsichtsräten. Die Häufung von Skandalen bei politisch besetzten Gremien sei besonders auffällig, meint der DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Er verweist unter anderem auf die Fehlplanungen bei Stuttgart 21 und die milliardenschweren Fehlspekulationen mehrerer Landesbanken.

Externe Berater oder Fachleute wären sinnvoller

Zwar sei es bei Unternehmen in öffentlicher Hand selbstverständlich, dass die Anteilseigner auch im Aufsichtsrat vertreten sein müssten, sagt Tüngler der Stuttgarter Zeitung. „Wer das Risiko trägt, muss auch die Kontrolle haben. Aber das muss sich nicht in der Person des Bürgermeisters oder Landesvaters niederschlagen.“ Aufsichtsratsvorsitzende müssten in der Lage sein, sich jederzeit um ein Großprojekt zu kümmern – „das ist einem Spitzenpolitiker schlichtweg nicht möglich“, so Tüngler. Sinnvoller wäre es, wenn sich die Länder durch externe Berater oder Fachleute aus den eigenen Behörden vertreten ließen. „Es reicht nicht, nur Macht zu haben – man benötigt auch das Können.“

Doch selbst ausgewiesene Branchenkenner im Aufsichtsrat bieten keinen Schutz vor unternehmerischen Fehlentscheidungen. Das zeigt der Fall Thyssen-Krupp. Für die milliardenschweren Verluste des Stahlkonzerns in Brasilien und den USA macht die DSW neben dem Management auch den Aufsichtsrat unter Gerhard Cromme verantwortlich. Als ehemaliger Vorstandschef und „alter Stahlmann“ könne Cromme „sich nicht rausziehen aus der Verantwortung“, sagt Tümmler. Deshalb will die DSW dem Aufsichtsrat auf der Hauptversammlung nächste Woche die Entlastung verweigern, genau wie der Dachverband Kritischer Aktionärinnen und Aktionäre und der US-Aktionärsberater ISS.

Die Aufsichtsräte der meisten Dax-Konzerne arbeiten erfolgreich

Am Freitag kündigte der Aufsichtsrats-Vize Bertin Eichler seinen Rückzug an: dem IG-Metall-Funktionär wird vorgeworfen, teure Reisen auf Firmenkosten unternommen zu haben (siehe Wirtschaft Seite 11). Und die Konsequenzen? Das Unternehmen plante bislang lediglich, dem Aufsichtsrat die Boni zu streichen. Crommes Vergütung soll gegenüber dem Vorjahr um 40 000 auf 210 000 Euro sinken.

DSW-Hauptgeschäftsführer Tüngler sieht allerdings keinen Anlass, die Arbeit von Aufsichtsräten grundsätzlich infrage zu stellen. Der Erfolg der meisten Dax-Konzerne zeige vielmehr: „Diese Unternehmen wurden frühzeitig so aufgestellt, dass sie selbst in Krisenzeiten gut abschneiden.“ Das sei auf Leistungen nicht nur der Vorstände, sondern auch der Aufsichtsräte zurückzuführen, die an strategischen Entscheidungen über die Unternehmensentwicklung mitwirkten. „Eine erfolgreiche Neuausrichtung bei einem Konzern wie SAP, der zeitweise große Probleme hatte, schafft man nur mit einem guten Aufsichtsrat“, meint Tüngler. Auch die frühzeitige Expansion des Chemieriesen BASF nach China sei eine vorausschauende Entscheidung unter Beteiligung des Aufsichtsrats gewesen.

Die Empfehlungen zur Auswahl der Kontrolleure sind vage

Als gute Grundlage für die Arbeit der Kontrolleure bewertet die DSW zudem den Verhaltenskodex der Regierungskommission für Deutsche Corporate Governance, also für gute Unternehmensführung. Eine erste Bewährungsprobe bestand das Regelwerk, als der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann 2011 seine Ambitionen auf einen Aufsichtsratsposten aufgab. Für einen direkten Wechsel in das Kontrollgremium hätte Ackermann nach dem Kodex die Zustimmung von mindestens 25 Prozent der Aktionäre benötigt.

Recht vage sind dagegen die Empfehlungen zur Auswahl der Kontrolleure. Laut Kodex sollen die Mitglieder eines Aufsichtsrats „insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse“ verfügen. Hier sind nach Ansicht von DSW-Hauptgeschäftsführer Tüngler keine schärferen Regeln, sondern die Aktionäre gefragt. Denn über die Berufung von Aufsichtsräten entscheidet die Mehrheit der Anteilseigner. Dieses Jahr bestehe bei vielen Unternehmen „die Chance, die Weichen richtig zu stellen“, appelliert Tüngler an die Eigenverantwortung der Anleger: In den 30 Dax-Konzernen sind rund 70 Aufsichtsratsmandate neu zu besetzen – Arbeitnehmervertreter nicht eingerechnet.