Kurze Hosen im Büro? Was in Europa eine Modesünde ist, gehört auf der Insel Bermuda zum guten Ton. Hier trägt Mann Bermuda-Shorts nicht nur in den knalligsten Farben, sondern stets auch mit Jackett, Krawatte und langen Strümpfen.

Hamilton/Bermuda - Eigentlich ist das Männerbein nur in Ausnahmefällen vorzeigetauglich. Bei der Tour de France zum Beispiel, glatt rasiert und eingeölt. Bei der Fußball-WM, wenn es Tore schießt. Ansonsten aber gehören Shorts in den Garten, an den Baggersee oder auf die Couch, wenn der Träger Studium oder Ausbildung beendet hat, also erwachsen ist. Echte Männer tragen die Hosenbeine lang, wenn sie Stil zeigen wollen, sonst werden selbst Ikonen schnell demontiert. Man denke nur an George Clooneys kleidungstechnische Entgleisungen im Film „The Descendants“!

 

Nur auf einer Insel gelten andere Gesetze. Im Steuerparadies Bermuda, das Banken und Versicherungen aus aller Welt anzieht, sind Shorts ganzjährig als Businessdress nicht nur erlaubt, sondern sogar außerordentlich gern gesehen. „Das gehört zum Geist Bermudas“, sagt ein junger Büroangestellter auf der Straße in der Hauptstadt Hamilton, als er zu einem Meeting eilt. Da dort auch Kollegen aus den USA dabei sein werden, freut er sich schon auf die ungläubigen Blicke, wenn er in kurzen Hosen auftaucht.

Mutige tragen die Hosen in knalligem Orange, Rot oder Grün

Keine Frage, wer Bermuda-Shorts trägt, ist hip! Das Original hat aber mit dem, was die gängigen Modeketten als Bermudas anbieten, nur wenig gemein. Die echten Bermuda-Shorts sind aus einem Wolle-Polyester-Mischgewebe, sie haben Gürtelschlaufen, sind relativ schmal geschnitten und enden rund fünf Zentimeter über dem Knie. Für Anfänger gibt es sie in Grau oder gedeckten Farben, Einheimische und Fortgeschrittene greifen zu Stahlblau, Tomatenrot, Orange oder Grün. „Bermuda-Shorts in neuen Farben vorrätig“, verspricht eine Werbung in Hamiltons Einkaufsstraße Reid Street. Dazu trägt der Mann von Welt Kniestrümpfe, die an die Kompressionsstrümpfe ehrgeiziger Jogger erinnern, geschlossene Schuhe, ein langärmeliges Hemd, einen dunklen Blazer und Krawatte. Damit ist Mann auch für einen Empfang beim Gouverneur – den Stellvertreter der Queen – bestens angezogen. Die Steigerung ist nur dunkler Abendanzug oder Smoking.

Entstanden sind die Shorts Anfang des 19. Jahrhunderts in London. Die Armee benötigte für ihre Soldaten in den Tropen eine luftige Bekleidung, so kam das Beinkleid in das Überseeterritorium Bermuda. Im Zweiten Weltkrieg herrschte Stoffknappheit, denn produziert wird auf der kleinen Atlantik-Insel nordöstlich von Florida kaum etwas. Zwei der größten Banken ließen je zwei Paar Shorts für jeden Angestellten anfertigen, damit sie angemessene Kleidung für die Arbeit hatten. Seitdem sind Bermudas bürotauglich.

Man fällt auf!

Jungen Bermudianern gefällt das kurze Hosenbein: „Ich kann je nach Laune die Farbe wählen“, sagt ein Versicherungsmanager. Sein Bruder ergänzt, dass eine gehörige Portion Lokalpatriotismus dazu kommt: „Das ist Bermuda, das ist meine Insel. In Toronto oder New York kannst du nicht so zur Arbeit gehen.“ Da es auf der Insel keine Universität gibt, haben die meisten in Kanada, England oder den USA studiert. Der große Siegeszug außerhalb der Insel lässt jedoch noch auf sich warten. Dafür fällt man noch auf. Ein katholischer Pfarrer der Insel, gebürtiger Kanadier, stieg einmal in Miami von einem Flugzeug ins nächste um. Der Sicherheitsbeamte musterte ihn und fragte: „Sind Sie von Bermuda?“ „Ja, ich lebe dort“, antwortete der Pfarrer. „Habe ich mir gedacht“, sagte der Beamte, „wer trägt sonst Shorts und Kniestrümpfe? Grüßen Sie mir die Insel!“