Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Aber auch seine anderen Fälle lesen sich wie ein Who’s who der Zeitgeschichte. Brinkmann war der Erste, der im Fall des Phantoms von Heilbronn auf die mögliche Verunreinigung von Verbrauchsmaterialien hinwies. Er ordnete die DNA am Bekennerschreiben zum Mord an Generalbundesanwalt Buback Verena Becker zu. Die Untersuchung der Waffe des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams nahm sein Institut zumindest räumlich sehr in Beschlag. 1993 bewegte die Republik die Frage, ob Grams sich in Bad Kleinen bei einem missglückten GSG-9-Einsatz selbst getötet hatte oder von einem Beamten erschossen worden war. Lastwagenweise wurde die Ausrüstung aller am Einsatz beteiligten GSG-9-Beamten nach Münster gekarrt. Der Druck der Öffentlichkeit war groß, in der Politik rollten Köpfe, aber Brinkmann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Wie kommt das Blut in Tropfenform auf die Waffe, lautete die Frage. Ein Neurophysiologe berechnete schließlich, dass der Arm bei einer Selbsttötung schon nach einer 50 000stel-Sekunde schlaff wird. Brinkmann setzte das in Relation zu der Fließgeschwindigkeit des Blutes – und schloss die Mordthese aus, weil er zeigen konnte, wie das Blut auf die Waffe geregnet war. Diesmal atmete der Staat – anders als in Wien – erleichtert auf.

 

Brinkmann erzählt das ohne Eitelkeit. Manchmal lacht er dabei durchaus amüsiert über die eigenen Worte, als höre er sich selbst zu und wundere sich über die Abgründe des Verbrechens und seine Wege, ihnen auf die Spur zu kommen. Und vielleicht auch ein wenig über sich selbst. Schließlich hatte er als Student, nachdem er von Jura auf Medizin gewechselt hatte, ein ziemliches Problem: Er hatte Angst vor Leichen. Zur Klärung entschied er sich für etwas, was man wohl Konfrontationstherapie nennen kann. Er jobbte in der Hamburger Gerichtsmedizin in der Leichenannahme, bestand die sich selbst gestellte Prüfung und hatte seine Berufung gefunden

Brinkmann hat immer auf den Fortschritt gesetzt

Aufhören hätte er schon einmal können. Aber nach seiner Pensionierung wollte die Universität die von ihm aufgebaute DNA-Arbeitsgruppe nicht weiterführen. Dabei hatte Brinkmann, der Fortschrittsgläubige, bundesweit Aussehen damit erregt, dass er bislang offene Mordfälle klären konnte. Getreu der Maxime, nie eine Spur „total zu verbraten“, sondern immer einen Rest für die Zeit mit neuen Untersuchungsverfahren aufzubewahren. Hätte das BKA nicht die Zigarettenkippe aufgebraucht, die man dort fand, wo der Mörder des Treuhandmanagers Detlev Karsten Rohwedder stand, „wüssten wir heute, wer dieser Mensch war“, sagt er.

Es gab kein Aufhören. Er machte mit seinen Mitarbeitern in seinem privaten Institut für forensische Genetik weiter. Jetzt wird er gerufen, wenn die Verteidigung die Erfahrung eines langen Rechtsmedizinerlebens braucht. Im Fall Kachelmann etwa. Dass ihn ein Gericht wie jüngst in Dortmund nun ermahne, auch objektiv zu sein, ist für ihn eine Novität. „Es ist doch unsere heilige Pflicht, objektiv zu sein. Sonst ist man doch sofort weg vom Fenster.“ Denn so viel ist klar: Den Zeitpunkt zum Aufhören wird er sich nicht von außen diktieren lassen. Wieder lacht er.