Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Diejenigen Funktionäre, an die derlei Warnungen gerichtet sind, finden sich freilich nicht im Publikum. Dort sitzen neben den örtlichen Kandidaten vornehmlich Genossen über 65, die den Stuttgarter nur aus den Medien kennen. Kritische Bemerkungen sind rar. Im gut gefüllten Saal des Hotels Blocksberg wagt sich allein Rüdiger Waller vor. Der frühere Betriebsratschef der Brauerei Hasseröder erklärt dem Vorsitzenden unverblümt: „Ich hatte Bauchschmerzen, als du gewählt wurdest.“ Dann kommt er auf Oskar Lafontaine zu sprechen und bohrt nach: „Wie steht ihr zueinander – ist er dein Berater?“ Es ist derzeit wohl Riexingers größtes Problem, dass ihn viele für eine Marionette des Saarländers halten. Doch er kneift nicht. „Ich war niemals in der SPD und habe den Oskar vielleicht zehnmal in meinem Leben getroffen – achtmal auf Parteitagen und zweimal unter vier Augen“, antwortet er. Daraus zu konstruieren, er sei ein Lafontaine-Zögling, empfindet er als eine „seltsame mediale Kunst“. Nach 40 Jahren in der Politik sei er ein eigenständiger Kopf. Gleichwohl hält Riexinger „den Oskar“ für einen guten Politiker und legt Wert darauf, dass Lafontaine der Führung weiter Ratschläge gebe. „Ob wir sie alle annehmen, ist dann unser Bier.“

 

Die älteren Herrschaften sind begeistert

Nach zwei Stunden ist die Reaktion der älteren Herrschaften einhellig: „Mir hat die Rede sehr gut gefallen – da war viel ökonomische Grundkenntnis drin“, sagt eine Genossin. „Ich war überrascht, dass ich alles verstanden habe“, ergänzt ein Nebensitzer. „Er ist kein Gregor Gysi“, urteilt eine 80-Jährige über die Rhetorik des Gewerkschafters, „aber er bringt es rüber, denn er weiß, was das arbeitende Volk denkt.“ Ihre Nachbarin nickt. „Was mir als Nicht-Mitglied fehlt“, wendet sie dennoch ein, „sind die konkreten Lösungsvorschläge.“ Daraufhin erwidert die 80-Jährige: „Das kommt – die müssen sie erst erarbeiten.“

Ein betagter Genosse tätschelt Riexinger beim Gehen den Arm und gesteht: „Jetzt habe ich wieder Optimismus.“ Der Stuttgarter dankt höflich für das Kompliment. Allerdings lassen sich die Vorurteile vor Ort besser abbauen als in den bundesweiten Medien. Diese haben dem Schwaben anfangs zugesetzt. Kaum jemand traute ihm die neue Rolle zu, oft sah er sich in Klischees beschrieben. Erst nach und nach fühlte er sich fair behandelt.