Daniela B. beschreibt ganz konkret, wofür sich Deutschland politisch einsetzt: Die Umsetzung der 2006 verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention. 2007 ist Deutschland der Konvention beigetreten. „Zweck dieses Übereinkommens ist es“, so heißt es in Artikel 1, Satz 1, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“

 

Von diesem Anspruch leitet sich der Begriff der Inklusion ab, der mehr umfasst als Integration. Denn während es bei der Integration darum geht, dass sich jemand oder eine Gruppe Andersartiger in eine bestehende Gemeinschaft einfügt und dafür akzeptiert wird, bedeutet Inklusion, dass die Gemeinschaft Vielfältigkeit und Andersartigkeit nicht nur akzeptiert, sondern sie ausdrücklich willkommen heißt. Ein Individuum ist nicht dann „normal“, wenn es so ist wie die anderen, sondern „normal“ ist, dass es Abweichungen von der Norm gibt. Im Hinblick auf individuell Beeinträchtigte ist das ein Paradigmenwechsel. Denn im Zentrum der Betrachtung stehen damit nicht länger Handicaps, die sie von den anderen unterscheiden, sondern steht der individuelle Mensch. Und zum Wesen des Menschseins gehört eben seine Vielfalt. Im politischen Diskurs hat dies zunächst sprachliche Folgen. Früher wurde, ohne viel zu überlegen, von „Behinderten“ gesprochen, was sie auf ihre Defizite reduzierte. Heute sprechen Politiker und Experten von „Menschen mit Behinderung“.

Für mehr Inklusion braucht es mehr Geld

Die Behindertenrechtskonvention und die daraus abgeleitete Forderung nach Inklusion hat in Deutschland – anfangs eher schleichend, inzwischen aber immer deutlicher gesellschaftlich wahrnehmbar – einen weit reichenden gesellschaftlichen und sozialstaatlichen Wandel eingeleitet, der für die Lebensqualität der Betroffenen ein Meilenstein ist und sich aktuell vor allem in der Schulpolitik ablesen lässt. Dass in Baden-Württemberg derzeit so viel darüber diskutiert wird, ob und wie Inklusion schulisch gelebt werden kann, hängt nach Ansicht von Andreas Hinz auch damit zusammen, dass das dreigliedrige Schulsystem samt der starken Trennung der Förderschulen bis zum Regierungswechsel politisch das Land geprägt hat. Hinz ist Mitglied im Expertenkreis der Unesco-Kommission und lehrt an der Universität Halle-Wittenberg Allgemeine Rehabilitations- und Integrationspädagogik. In einem Aufsatz in der „Zeitschrift für Inklusion“ stellt er klar, Inklusion dürfe nicht nur verstanden werden als Ausweitung der Sonderpädagogik, sondern benötige vielmehr einen Bewusstseinswandel aller.

Er hat recht, wenn er sagt, es gehe nicht darum, Einzelne „positiv zu diskriminieren“ und an der einheitlichen Zielsetzung festzuhalten. Inklusion heißt, dass Gesunde lernen müssen zu akzeptieren, dass es individuelle Lernwege gebe. Hinz sieht die Schulen damit von zwei Seiten her gefordert: Die sonderpädagogische Förderung müsse umgebaut und die Ausgrenzung abgebaut werden. Zudem müssten die Schulen Veränderungsprozesse durchlaufen, um Inklusion als Wert zu leben. „Dafür sind zusätzliche Mittel notwendig“, sagt Hinz, „aber langfristig ist ein integriertes System billiger.“ Hinz hält allerdings nichts davon, dass nun jede Schule mit einem Fahrstuhl und behindertengerechten Toiletten barrierefrei umgebaut werden müsse. Davor warnte jüngst auch der Deutsche Städtetag, der – nach dem Kita-Ausbauprogramm – schon neue Milliarden-Investitionen fürchtet. Der Pädagoge plädiert vielmehr dafür, dass sich Schulen zusammentun und überlegen, welche Lösungen funktionieren und finanzierbar sind.

Daniela B. beschreibt ganz konkret, wofür sich Deutschland politisch einsetzt: Die Umsetzung der 2006 verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention. 2007 ist Deutschland der Konvention beigetreten. „Zweck dieses Übereinkommens ist es“, so heißt es in Artikel 1, Satz 1, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“

Von diesem Anspruch leitet sich der Begriff der Inklusion ab, der mehr umfasst als Integration. Denn während es bei der Integration darum geht, dass sich jemand oder eine Gruppe Andersartiger in eine bestehende Gemeinschaft einfügt und dafür akzeptiert wird, bedeutet Inklusion, dass die Gemeinschaft Vielfältigkeit und Andersartigkeit nicht nur akzeptiert, sondern sie ausdrücklich willkommen heißt. Ein Individuum ist nicht dann „normal“, wenn es so ist wie die anderen, sondern „normal“ ist, dass es Abweichungen von der Norm gibt. Im Hinblick auf individuell Beeinträchtigte ist das ein Paradigmenwechsel. Denn im Zentrum der Betrachtung stehen damit nicht länger Handicaps, die sie von den anderen unterscheiden, sondern steht der individuelle Mensch. Und zum Wesen des Menschseins gehört eben seine Vielfalt. Im politischen Diskurs hat dies zunächst sprachliche Folgen. Früher wurde, ohne viel zu überlegen, von „Behinderten“ gesprochen, was sie auf ihre Defizite reduzierte. Heute sprechen Politiker und Experten von „Menschen mit Behinderung“.

Für mehr Inklusion braucht es mehr Geld

Die Behindertenrechtskonvention und die daraus abgeleitete Forderung nach Inklusion hat in Deutschland – anfangs eher schleichend, inzwischen aber immer deutlicher gesellschaftlich wahrnehmbar – einen weit reichenden gesellschaftlichen und sozialstaatlichen Wandel eingeleitet, der für die Lebensqualität der Betroffenen ein Meilenstein ist und sich aktuell vor allem in der Schulpolitik ablesen lässt. Dass in Baden-Württemberg derzeit so viel darüber diskutiert wird, ob und wie Inklusion schulisch gelebt werden kann, hängt nach Ansicht von Andreas Hinz auch damit zusammen, dass das dreigliedrige Schulsystem samt der starken Trennung der Förderschulen bis zum Regierungswechsel politisch das Land geprägt hat. Hinz ist Mitglied im Expertenkreis der Unesco-Kommission und lehrt an der Universität Halle-Wittenberg Allgemeine Rehabilitations- und Integrationspädagogik. In einem Aufsatz in der „Zeitschrift für Inklusion“ stellt er klar, Inklusion dürfe nicht nur verstanden werden als Ausweitung der Sonderpädagogik, sondern benötige vielmehr einen Bewusstseinswandel aller.

Er hat recht, wenn er sagt, es gehe nicht darum, Einzelne „positiv zu diskriminieren“ und an der einheitlichen Zielsetzung festzuhalten. Inklusion heißt, dass Gesunde lernen müssen zu akzeptieren, dass es individuelle Lernwege gebe. Hinz sieht die Schulen damit von zwei Seiten her gefordert: Die sonderpädagogische Förderung müsse umgebaut und die Ausgrenzung abgebaut werden. Zudem müssten die Schulen Veränderungsprozesse durchlaufen, um Inklusion als Wert zu leben. „Dafür sind zusätzliche Mittel notwendig“, sagt Hinz, „aber langfristig ist ein integriertes System billiger.“ Hinz hält allerdings nichts davon, dass nun jede Schule mit einem Fahrstuhl und behindertengerechten Toiletten barrierefrei umgebaut werden müsse. Davor warnte jüngst auch der Deutsche Städtetag, der – nach dem Kita-Ausbauprogramm – schon neue Milliarden-Investitionen fürchtet. Der Pädagoge plädiert vielmehr dafür, dass sich Schulen zusammentun und überlegen, welche Lösungen funktionieren und finanzierbar sind.

Der Arbeitsmarkt hinkt hinterher

Inklusion macht aber natürlich nicht beim gemeinsamen Lernen halt. Sie ist ein Anspruch der Betroffenen für das ganze Leben und eine Herausforderung für alle gesellschaftlichen Bereiche. Die in Bonn ansässige Montag-Stiftung Jugend und Gesellschaft etwa hat einen „Kommunalen Index für Inklusion“ erstellt, der den kommunalen Alltag im Blick hat und zum einen den Wohn- und Lebensbereich abklopft auf Hindernisse. Zum anderen geht es um die Organisationen am Ort: Einrichtungen, Verbände, Vereine, Kirchen und Unternehmen. Und es geht um die Zusammenarbeit und Vernetzung in der Kommune, um Verantwortungsgemeinschaften, die sich gemeinsame Ziele setzen, um Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, ganz selbstverständlich in ihren Reihen zu haben.

Oft werden behinderte Menschen nicht ausreichend beraten

Dass Inklusion noch keineswegs selbstverständlich ist, erfahren viele Betroffene vor allem auf dem Arbeitsmarkt. In Baden-Württemberg etwa sind nach Angaben der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in diesem April exakt 17 545 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet gewesen; das entspricht einem Anteil von 7,4 Prozent aller Stellensuchenden im Land. Betrachtet man nur die Langzeitarbeitslosen, dann liegt ihr Anteil im Land aber schon bei 10,2 Prozent. Seit 2011 gibt es eine „Initiative Inklusion“ als Teil des Nationalen Umsetzungsplanes der Behindertenrechtskonvention. In Baden-Württemberg wird diese Initiative der Arbeitsagentur zusammen mit dem Sozialministerium und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales mit zusätzlichen Fördermillionen umgesetzt.

Barbara Vieweg, die beim Vorstand der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) für das Thema zuständig ist, konstatiert zwar inzwischen ganz allgemein eine höhere Sensibilität für die Belange dieser Personengruppe, gleichwohl berichtet sie aber noch von zahlreichen Diskriminierungen, die nicht nur das Gefühl verstärken, ausgeschlossen zu sein, sondern auch ganz handfeste materielle Nachteile haben. So habe sich der Aufschwung in Deutschland für behinderte Menschen „bisher nicht positiv ausgewirkt“. Die Rehaberater in den Arbeitsagenturen müssten besser qualifiziert werden, fordert sie. „Denn zu oft werden behinderte Menschen nicht ausreichend beraten und auf eine zu eng begrenzte Zahl von Berufen verwiesen, die oft nicht zu einer erfolgreichen Vermittlung führen.“ Anders als bei Gesunden finde die berufliche Ausbildung noch immer außerbetrieblich statt. Auch die Berufsschulen seien „auf die Belange behinderter Menschen nicht eingestellt. Das betrifft sowohl die nötige Barrierefreiheit als auch einen zieldifferenzierten Unterricht.“ Und besonders für Frauen mit Handicap fordert Vieweg mehr Anstrengungen, weil Männer bevorzugt würden.

Jeder so, wie er kann

Es gibt allerdings auch zahlreiche positive Beispiele: sogenannte Cap-Läden etwa, zentrumsnahe Lebensmittelgeschäfte, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten, Hotels und gastronomische Betriebe, die ebenfalls ganz gezielt Personal mit Beeinträchtigungen einstellen. Und erst dieser Tage hat der Softwarehersteller SAP erklärt, dass er bis zum Jahr 2020 ein Prozent seiner 65 000 Stellen mit Autisten besetzen will. Die Betroffenen können zwar nur sehr eingeschränkt spontan kommunizieren, aber sie können besonders logisch denken, verfügen über ein gutes Gedächtnis, gelten als akribisch und verfügen über eine große Detailgenauigkeit – all das kann man beim Programmieren und Testen von Software brauchen. Damit sie sich in das Unternehmen einfügen können, will SAP Mitarbeiter gezielt ausbilden. Gleichwohl warnt der langjährige Stuttgarter Stadtdekan Prälat Michael Brock zu Recht davor, Inklusion als ideologisches Schlagwort zu missbrauchen und nur noch als wünschenswert zu akzeptieren, wenn Behinderte ihren Alltag wie jedermann und jedefrau leben. Brock ist seit 2011 Vorstand der katholischen Stiftung Liebenau mit Sitz im oberschwäbischen Meckenbeuren. Die St.-Gallus-Hilfe betreut mit etwa 1700 Mitarbeitern rund tausend Menschen mit schweren und schwersten körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen an 32 Standorten, in 22 Wohnheimen, 35 gemeindeintegrierten Wohnhäusern, neun Werkstätten, Beratungs- und Hilfsdiensten. In den Augen radikaler Kritiker ist eine solche Einrichtung mit Inklusion nicht vereinbar, weil sie alle Menschen in die „Normalwelt“ einschließen wollen.

„Menschen mit Behinderung sind ein Gewinn“

Dem hält Brock entgegen, das Ziel Inklusion stelle niemand infrage, aber man dürfe den Erfolg nicht nur daran messen, wie viel Prozent der Frauen und Männer mit Behinderung in eigenen vier Wänden lebten. „Wir fragen: Welche Wohn- und Begleitungsformen braucht der Einzelne, um so selbstbestimmt wie möglich zu leben?“ Dabei gehe es aber zumeist nicht um ein Entweder-oder, sondern „wir brauchen die gesamte Palette aus einer Hand, um Übergänge und Entwicklungsprozesse überhaupt erst zu ermöglichen“. Brock macht das etwa fest an Menschen mit geistiger Behinderung, die zudem psychisch krank sind. Diese Personen müssten immer wieder in eine Spezialklinik, die zur Einrichtung gehört, oder sie benötigten ambulante medizinische Versorgung, die sie ebenfalls vor Ort finden. Solche Hilfsketten ließen sich nur bei einer bestimmten Größe auch wirtschaftlich betreiben.

Brock räumt allerdings ein, dass sich auch hier das Denken geändert hat: „Es gibt viele Ältere, die wären heute nicht mehr in einer Komplexeinrichtung.“ Er plädiert dafür, jeden Schritt in die Normalität auszuprobieren, gibt jedoch zu bedenken: „Bei uns sind Leute auch schon wieder zurückgekommen.“ Auch denen müsse man gerecht werden. „Menschen mit Behinderung sind ein Gewinn. Aber sie sind leider noch immer nicht überall willkommen.“ Er erinnert an den Muckensturm in Stuttgart, wo vor ein paar Jahren Anwohner auf die Barrikaden gingen, um Behinderte in der Nachbarschaft zu verhindern. Und ihm habe erst neulich ein Bürgermeister erklärt, ein Behindertenhaus vertrage sich nicht mit einer Kurstadt. Inklusion bedeute auch Wahlrecht für die Betroffenen und dürfe nicht dazu führen, dass sie sich als Außenseiter fühlen. Etliche seiner Schützlinge etwa ministrierten beim Gottesdienst. „In einer normalen Stadt ist so einer doch allenfalls gelitten, bei mir ist er Elite.“

Zahlen und Fakten

In Deutschland lebten laut Statistischem Bundesamt Ende 2011 rund 7,3 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung, 2,6 Prozent mehr als 2009. Das sind 8,9 Prozent der Bevölkerung. Von den Schwerbehinderten sind 29 Prozent 75 Jahre und älter, 46 Prozent zwischen 55 und 75 Jahre; zwei Prozent sind Kinder und Jugendliche. 24 Prozent der Schwerbehinderten gelten als 100 Prozent schwerbehindert.

In 83 Prozent der Fälle sind Behinderungen durch Krankheit verursacht. Bei vier Prozent der Fälle sind sie angeboren, zwei Prozent sind behindert nach einem Unfall. Geistige und seelische Behinderungen machen elf Prozent der Fälle aus, bei neun Prozent sind es zerebrale Störungen. 18 Prozent haben Mehrfachbehinderungen.