Dabei verfällt er in flaue Hinterglasmalerei: "Bevor er durch das Tor aus dem Park fuhr, drehte er sich noch einmal um: Johanna verschwamm im Tau auf der Rückscheibe, sie lehnte an einer der weißen Eingangssäulen und sah hoch in den hell erleuchteten Winterhimmel." Schirach schafft so wenig Verständnis für Art und Krise einer Beziehung.

 

Ärgerlicher ist, dass er das "Vorleser"-Modell, die Privatisierung der Frage, wie mit den Tätern zu leben und über sie zu richten sei, unvermittelt und ergebnislos abbricht und umschwenkt auf die Methode John Grishams, also auf die Untersuchung blinder Flecken und Fehlfunktionsrisiken des Justizapparats. Nur zieht er, worum es ihm geht, umstandslos und trocken aus dem Hut. Die Erzählung wirkt dann wie eine bloße Fliegenfängerlockung hin zur Kurzlektion über einen Aspekt der jüngeren Rechtsgeschichte.

Der Hintergrund macht das Ganze erst interessant

Warum also ist "Der Fall Collini" ein Ereignis geworden? Da ist zum einen die Familiengeschichte des Autors. Ferdinand von Schirach, Jahrgang 1964, ist der Enkel des Karrierenazis Baldur von Schirach (1907-1974), Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien. Aber der in entscheidenden Momenten in kalenderspruchartigen Floskeln erstarrende Text ("Du bist, wer du bist") bietet eben keine persönliche Auseinandersetzung eines Enkels mit einem schuldig Gewordenen.

Die große weiße Hoffnung auf Rückeroberung des Verbrechens

Gute Vorraussetzungen, schlechte Umsetzung

Dass Schirach mit "Der Fall Collini" eine geschickte Variante des Motivs vorlege, kann man trotz der teils hymnischen Besprechungen nicht sagen. Das Buch ist im Großen schlecht konstruiert und im Kleinen oft nicht stilsicher. Dabei stehen Schirach ein Fachwissen und eine Sprache zur Verfügung, mit denen er einen guten Justizthriller entwickeln könnte.

Sachlich, nüchtern und präzise schildert er in "Der Fall Collini" immer wieder die Apparatur der Justiz und die Handlungsmöglichkeiten der Akteure, lenkt also unsere Aufmerksamkeit darauf, dass ein Prozess eben nicht nur vom Verstand der Beteiligten, sondern auch von den Anforderungen, Möglichkeiten und Erfassungsgrenzen des Weltaufarbeitungsapparates Recht bestimmt werden.

Diesen Passagen stellt Schirach seine Versuche gegenüber, Leinens Verhältnis zu Johanna und zum alten Meyer, die Kindheitserinnerungen und die aktuellen Befindlichkeiten zu schildern. Er will sich in Untertreibung üben, im beiläufigen atmosphärischen Detail, im knappen Stimmungsporträt.

Einer der vom Verbrechen erzählt, aber kein Krimiautor ist

Dabei verfällt er in flaue Hinterglasmalerei: "Bevor er durch das Tor aus dem Park fuhr, drehte er sich noch einmal um: Johanna verschwamm im Tau auf der Rückscheibe, sie lehnte an einer der weißen Eingangssäulen und sah hoch in den hell erleuchteten Winterhimmel." Schirach schafft so wenig Verständnis für Art und Krise einer Beziehung.

Ärgerlicher ist, dass er das "Vorleser"-Modell, die Privatisierung der Frage, wie mit den Tätern zu leben und über sie zu richten sei, unvermittelt und ergebnislos abbricht und umschwenkt auf die Methode John Grishams, also auf die Untersuchung blinder Flecken und Fehlfunktionsrisiken des Justizapparats. Nur zieht er, worum es ihm geht, umstandslos und trocken aus dem Hut. Die Erzählung wirkt dann wie eine bloße Fliegenfängerlockung hin zur Kurzlektion über einen Aspekt der jüngeren Rechtsgeschichte.

Der Hintergrund macht das Ganze erst interessant

Warum also ist "Der Fall Collini" ein Ereignis geworden? Da ist zum einen die Familiengeschichte des Autors. Ferdinand von Schirach, Jahrgang 1964, ist der Enkel des Karrierenazis Baldur von Schirach (1907-1974), Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien. Aber der in entscheidenden Momenten in kalenderspruchartigen Floskeln erstarrende Text ("Du bist, wer du bist") bietet eben keine persönliche Auseinandersetzung eines Enkels mit einem schuldig Gewordenen.

Die große weiße Hoffnung auf Rückeroberung des Verbrechens

Wichtiger dürfte also ein Prozess sein, der schon mit Schirachs Erzählungsbänden in Gang kam. In Schirach haben Krimiverächter einen, der vom Verbrechen erzählt, aber nicht als Krimiautor abgestempelt ist, dessen juristische Erfahrung man gegen die bloße Fiktion in Stellung bringen kann, dem man sensible Gestaltung attestiert, wo man sonst effektheischerische Plumpheit voraussetzt.

Schirachs "Der Fall Collini", der als halbgarer Anfängerkrimi in einer Taschenbuchreihe gut aufgehoben wäre, ist die große weiße Hoffnung auf Rückeroberung des Verbrechens durch die feine Literatur. Das ist schon fast amüsant - wenn man nicht gerade Krimiautor ist.

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini. Roman. Piper Verlag, München, 2011. 208 Seiten, 16,99 Euro.