Ihren sicher bezwingendsten Ausdruck fand die Entwurfshaltung dabei im Sakralbau: in Gottfried Böhms expressivem Zackengebirge der Wallfahrtskirche von Neviges etwa oder Walter Förderers Kirche Saint Nicolas in Hérémence, dem grandiosen Innenraumzelt der Sacré-Cœur-Kathedrale von Paul Herbé und Jean le Couteur in Algier oder – lokales Beispiel – Ernst Gisels Sonnenbergkirche in Stuttgart. Gerade sie macht deutlich, was Wolfgang Pehnt über die Emotionen schreibt, die im brutalistischen Kirchenbau „breiter und tiefer ausfielen als in den Nutzsparten“. In den Wohnsilos jener Zeit dagegen, meist wahren Schreckensburgen, will man keine Minute zubringen müssen. Wie ambivalent das Erbe des Brutalismus zu bewerten ist, auch das zeigt die Schau im DAM.

 

Heute werden die Saurier immer trauriger, bedroht von Verfall und/oder Abriss. Oder – Gipfel der Absurdität – von Verpackungskünstlern wie in Skopje, einem einstigen Zentrum des brutalistischen Bauens, die dabei sind, die alten Betonungetüme im Auftrag der Regierung mit schneeweißen Säulen und Architraven einzugipsen. Im populistischen Bestreben, eine traditionsbewusste mazedonische Identität zu fabrizieren, wird die Moderne aus dem Stadtbild eliminiert, verdrängt von einem verfetteten Neobarock. Zugleich formieren sich seit einigen Jahren Kampagnen, die sich per Twitter oder Facebook für den Erhalt der gefährdeten grauen Veteranen starkmachen. Das Frankfurter Architekturmuseum hat darum zusammen mit der Wüstenrot-Stiftung den Hashtag #SOSBrutalism eingeführt, um in einer Datenbank den weltweiten Bestand zu erfassen und Artenschutzmaßnahmen zu ergreifen. Gerade eine junge Generation begeistert sich offenbar wieder für die herben Oldtimer der Nachkriegsmoderne. Ist ja auch kein Wunder. Von den vulgären Fassaden des Neoliberalismus hat sie die Nase voll. Der Brutalismus hatte bei aller offenkundigen Brutalität Charakter und war, im Gegensatz zu den auf keinerlei Überzeugungen als allein auf kapitalistischen Profiterwartungen gründenden Hochbauten, die heute so in den Städten herumstehen, wenigstens noch Architektur.