Der Insolvenzverwalter kann momentan auf 430 000 Euro Bankguthaben zurückgreifen und versucht, das Anlagevermögen der Geschäftsführer zu berücksichtigen. Es ist ein fünfköpfiges Ermittlerteam gebildet worden, das die Finanzströme nachvollziehen soll.

Herrenberg - In den deutschlandweit ziemlich einmaligen Betrugsfall um das Herrenberger Pleiteunternehmen EN Storage kommt Bewegung. Laut dem Insolvenzverwalter Holger Leichtle ist eine fünfköpfige Forensiker-Gruppe gebildet worden, bestehend aus Mitarbeitern seiner Rechtsanwaltsgesellschaft Schultze & Braun und ehemaligen Beschäftigten von EN Storage. Diese wollen systematisch die Geldströme nachverfolgen, die nach Leichtles Erkenntnissen hauptsächlich über Ungarn gelaufen sind und anschließend nach Asien. Dabei sind rund 95 Millionen Euro von weit mehr als 2000 Gläubigern bisher offenbar spurlos verschwunden. „Vielleicht wurden große Teile des Geldes auch von den ehemaligen Geschäftsführern verbraten“, vermutete Leichtle am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz.

 

Groß angelegter Betrug

Viel jedenfalls ist von dem Geld zumindest in greifbarer Nähe nicht mehr übrig. Bei den Nachforschungen stieß das Ermittlerteam auf zwei Bankkonten mit insgesamt 430 000 Euro auf der Haben-Seite. Das Anlagevermögen fällt laut Leichtle noch bescheidener aus. Der Insolvenzverwalter nennt 20 000 Euro für die Büroausstattung und rund 50 000 Euro für Fahrzeuge. Die Hardware wie die Autos seien überwiegend geleast worden.

Bevor der groß angelegte Betrug im Februar aufflog, habe EN Storage 73 Mitarbeiter beschäftigt, sagte Leichtle, nachdem am Mittwoch eine Versammlung von Gläubigern stattfand, die Anleihen gezeichnet hatten. Ein Mitarbeiter habe Verdacht geschöpft, erklärt Leichtle, so dass die Staatsanwaltschaft informiert wurde, die ein Ermittlungsverfahren einleitete.

Mehr als 2000 Anleger

EN Storage hatte als Geschäftsmodell angegeben, international tätigen Firmen, Industrieunternehmen und staatlichen Nutzern als Dienstleister unternehmenseigene IT-Infrastruktur zur Datenspeicherung bereitzustellen. Das Geld für den Aufbau der notwendigen Server-Infrastruktur sammelte EN Storage bei mehr als 2000 Anlegern ein. Diese zeichneten Unternehmensanleihen oder investierten sogar direkt in Server, die aber in dieser Form nicht oder nur teilweise existierten. Offenbar merkte jedoch kein Gläubiger, dass das Ganze ein großer Schwindel war.

Das Unternehmen war im Jahr 2009 von Edvin Novalic als Einzelfirma EN Storage Consulting gegründet, der Gesellschaftervertrag zwei Jahre später abgeschlossen worden. Der GmbH gehörten Novalic als Geschäftsführer für den technischen Bereich sowie Lutz Beier als Geschäftsführer für Finanzen an.

Beide Geschäftsführer sind in Haft

Beide stehen unter Betrugsverdacht, beide sitzen hinter Gittern. „Novalic hat inzwischen gestanden, das System am Laufen gehalten zu haben“, berichtete Leichtle. Die Staatsanwaltschaft konnte am Donnerstag keine Auskunft geben. Beier, der einige Wochen nach Novalic verhaftet wurde, behaupte hingegen, von nichts gewusst zu haben, so der Insolvenzverwalter.

Auch der Wirtschaftsprüfer schöpfte offensichtlich keinen Verdacht. Ihn möchte Leichtle ins Visier nehmen: „Ihm ist zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen.“ Zwischen 1000 und 700 000 Euro hatten die Geschädigten investiert, etwa 70 Prozent der Gläubiger mit Anleihen schlossen auch Kauf- und Überlassungsverträge ab.

Bleibt die Insolvenzmasse vergleichsweise gering?

Sieben Prozent Zinsen gab es für die Firmenanleihen, Mieteinnahmen kassierten die Anleger bei Speichersystemen. EN Storage kam bis zuletzt seinen Zahlungsverpflichtungen nach. „Deshalb flog das Ganze auch von Gläubigerseite nicht auf“, erklärte Ingo Schorlemmer, der Pressesprecher von Schultze & Braun. Ein 44 Jahre alter Anleger aus Nordrhein-Westfalen wähnte sich ebenfalls in Sicherheit, weil er stets Einnahmen hatte. Mit einem 37 Jahre alten Bekannten hatte er Anleihen erworben, danach Kauf- und Überlassungsverträge abgeschlossen. Beide investierten nach eigenem Bekunden insgesamt 22 000 Euro.

„Ich kann nicht nachvollziehen, dass in Deutschland so viel Geld einfach verschwinden kann“, sagt der 44-Jährige. Wie die vielen anderen Geprellten hofft er, „dass wir wenigstens einen Teil unseres Geldes zurückbekommen“. Leichtle geht davon aus, mindestens 450 000 Euro in die Insolvenzmasse einbringen zu können. Eine hohe zweistellige Millionensumme, vermutet er, werde es aber wohl kaum. Das Verfahren könne fünf Jahre dauern.