Der oberschwäbische Landkreis wird bald der erste im Land sein, der völlig schuldenfrei ist. Vor Ort ist niemand überrascht.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Biberach - Ein Exempel schönster schwäbischer Bescheidenheit ist der Bericht zum Biberacher Kreishaushalt gewesen, den die Verwaltung zum Ausklang des vergangenen Jahres vorgelegt hat. Die Sensation kommt erst im dritten Absatz. Dort ist notiert: „Der Haushalt kann zum zwölften Mal in Folge ohne Schulden finanziert werden. Die vorhandenen 600 000 Euro Restschulden sollen bis Ende 2017 getilgt sein, so dass der Landkreis schuldenfrei ist.“ Es fehlt die Präzisierung, dass Biberach landesweit der erste Kreis sein wird, der von keinerlei Verbindlichkeiten mehr belastet wird. „Das wird der erste und einzige Kreis in Baden-Württemberg sein, der das geschafft hat“, lobt Bernd Klee, der Finanzdezernent des Landkreistags in Stuttgart.

 

Goldene Zeiten also in dem ländlich geprägten Landstrich zwischen der bayerischen Grenzlinie im Illertal und „des Albtraufs Höhn“, wo es laut dem 1983 komponierten Kreislied „wunderschön“ ist. So ganz recht ist dem Landrat Heiko Schmid das Sensationsthema allerdings nicht, er will kein Mustersparer-Image, weil er den Bumerangeffekt wittert, die Spötter und die Anspruchsteller. Vorsorglich betont Schmid, sein Landkreis habe sich keineswegs gesundgeschrumpft oder kommunale Kreisaufgaben zu Gunsten einer funkelnden Bilanz vernachlässigt. Das Straßennetz sei „top in Schuss“, der Zustand der Radwege exzellent, die Verzahnungen zwischen Industriebetrieben und Schulen seien eng wie nie zuvor.

Immer noch Debatten über Kleinbeträge

So viel vorsichtiges Understatement passt ja bestens in diesen Landkreis mit seinen immer noch verbreiteten ländlichen Traditionen, wo man zum Beispiel einen Porsche ruhig besitzen darf, ihn aber tagsüber, solange die Nachbarn einen freien Blick haben, besser nicht aus der Garage holen sollte. Erst kürzlich hat der Kreistag, in dem die CDU mit 42 Prozent der Sitze mit Abstand die stärkste Kraft vor den Freien Wählern (22,5 Prozent) ist, der Verwaltung ein Jobticket abgeschlagen. Mitarbeiter des Landratsamts sollten mit verbilligten Bus- und Bahntickets motiviert werden, das Auto stehen zu lassen. Es ging am Ende um rund 10 000 Euro – zu viel für die Mehrheit der Kreisräte, die zum Ende des vorigen Jahres ein Haushaltsvolumen von 233 Millionen Euro verabschiedeten.

Sparsamkeit sei eine wichtige Tugend im Kreis, bestätigt der parteilose Landrat – und schon auch ein Rezept für den aktuellen Erfolg. Und anders als es die Jobticket-Debatte vermuten lasse, herrsche im politischen Alltag überwiegend Einigkeit. „95 Prozent der Beschlüsse sind einstimmig“, sagt Schmid.

Haushaltswende durch den Verkauf der Kreiskliniken

Weitere Ratschläge an Kollegen im Land sind ihm nicht zu entlocken. Dabei könnte einer lauten, defizitäre Kreiskliniken zu privatisieren und damit Millionenabflüsse aus der Kreiskasse zu stoppen. 2012 war das in Biberach der Fall, da beschloss der Kreistag, dass die Firma Sana die Mehrheit an der schwer defizitären kommunalen Klinikgesellschaft übernehmen durfte. Knapp zehn Millionen Euro betrug zu diesem Zeitpunkt der Zuschussbedarf für den Betrieb der obendrein sanierungsbedürftigen vier Kreiskliniken in Biberach, Laupheim, Ochsenhausen und Riedlingen im Jahr. Es kam zu Schließungen, der Kreis erlebte eine Zerreißprobe. „Im Biberacher Landkreis, da blüht die Industrie, der Bauernstand, das Handwerk, vereint in Harmonie“, heißt ein Vers im Kreismarsch, den der legendäre einstige CDU-Landrat Wilfried Steuer noch als musikalische Großumarmung in Auftrag gegeben hatte. 2012 und lange danach wollte das dann keiner mehr singen, und bis heute sind die Wunden nicht komplett verheilt.

Dass Kreiskliniken eine dauerhaft aufgespannte Schuldenfalle sein können, zeigt sich im Rems-Murr-Kreis, dem höchstverschuldeten im Land. Eine Finanzspritze von 22 Millionen Euro ist dort in diesem Jahr eingeplant. Vor allem deshalb betragen die Schulden im Kernhaushalt zum Ende 2017 voraussichtlich 76 Millionen Euro.

Dass im Kreis Biberach nicht der ganz große Jubel zu hören ist, hat nicht nur mit den nachklingenden Trennungsschmerzen in Bezug auf die Kliniken zu tun, sondern auch damit, dass der Erfolg vor allem die Namen eine ganzen Reihe florierender Unternehmen aus der Pharma-, der Auto- und der Maschinenbauindustrie trägt: Boehringer-Ingelheim, Rentschler, Liebherr, Kässbohrer oder Handtmann heißen die bekanntesten. Sie schufen in den vergangenen Jahren Tausende zusätzliche Jobs und ließen vor allem auf die 32 000-Einwohner-Stadt Biberach – bei weitem die größte Einzahlerin in die Kreiskasse – Gewerbesteuereinnahmen von 50 bis 100 Millionen Euro jährlich rieseln. Wirtschaftsinstitute, die die Pro-Kopf-Einnahme errechnen, krönen Biberach regelmäßig zum bundesdeutschen Vizemeister – hinter Wolfsburg.

Die baldige Nullverschuldung erhält einen noch höheren Wert angesichts der Tatsache, dass der Landkreis als Mitglied der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) im vorigen Jahr zum ersten Mal auf eine Dividendenzahlung der Energie Baden-Württemberg (EnBW) verzichten musste. In den Spitzenjahren 2010 und 2011 gingen noch jeweils 6,7 Millionen Euro aus dem Atomgeschäft auf dem Kreiskonto ein, danach ging es bergab. Der Planansatz für das laufende Jahr beträgt wieder null; dass überhaupt noch einmal Gewinne aus den EnBW-Geschäften nach Oberschwaben fließen, wird in Biberach stark bezweifelt. Vielmehr wachsen die Befürchtungen, der Kreis werde womöglich bald Geld nach Karlsruhe überweisen müssen.

Für den Moment hat der Kreistag klare Vorstellungen, wie die neuen Freiheiten beim Wirtschaften künftig genutzt werden. Die Königsinvestition wird der Ausbau des Breitbandnetzes von 2018 an. Bis 2020 werden dafür 25 Millionen Euro ausgegeben. Der Kreis rechnet mit einem hohen Zuschuss des Landes, wartet aber in schon gewohnter Weise keine Förderzusage ab, sondern fängt mit den Bauarbeiten auf jeden Fall mal an. Der Landkreis wird also digitaler. Kann sein, dass eines Tages sein PR-Slogan angepasst werden muss. Der heißt: „Zwischen Reagenzglas und Weidezaun“. Das soll vor allem Facharbeiter auf dem bundesweiten Arbeitsmarkt betören.

Längst werden aber die Weidezäune weniger und die Reagenzgläser mehr. Zumindest den Landrat plagt keine Angst vor dem schleichenden Abschied von der Bäuerlichkeit. Laut Statistik, feixt Schmid, lebten in seinem Kreis immer noch fast genauso viele Einwohner wie Schweine. Rindviecher nicht mitgezählt.

Das Bauerntum ist immer noch stark