Empathie und Selbstvermarktung sind Tugenden der Zukunft. Das hat Folgen für die Kitas. Dort sollen die Kinder auch ein technisches Grundverständnis erwerben. Das alles verlangt den Erzieherinnen viel ab. Auf einem Stuttgarter Kongress diskutieren Experten neue Ansätze.

Stuttgart - Noch ist es eine Vision: Eltern suchen sich die Kita aus, von der sie glauben, dass sie ihr Kind am meisten nach vorn bringen wird – also es fit machen wird für die Lern- und Arbeitswelt. Tatsächlich sind Eltern heute meist froh, überhaupt eine Platzzusage zu erhalten. Aber künftig werden vor allem private Einrichtungen versuchen, mit maßgeschneiderten Angeboten um die Kinder der von ihnen priorisierten Klientel zu buhlen. Der Wettbewerb zwischen den Einrichtungen um die immer rarer werdenden Kinder wird zunehmen. Kitas mit Sprösslingen aus allen gesellschaftlichen Schichten wird es in mittelferner Zukunft nicht mehr geben.

 

Mit solchen Szenarien stimmten Zukunftsforscher, Soziologen und Pädagogen die Teilnehmer an dem zweitägigen Bildungskongress „Invest in Future“ im Stuttgarter Haus der Wirtschaft auf sich ändernde Rahmenbedingungen bei der frühkindlichen Bildung ein. Veranstalter waren Konzept-e, Kind e.V. und die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart.

So steht für Kirsten Brühl vom Zukunftsinstitut fest, dass die zunehmenden Unsicherheiten in der Arbeitswelt auch dazu führen werden, dass Eltern andere Erwartungen an die Kita haben. Schließlich müssen die Kleinen gerüstet sein für eine Welt, in der vor allem kreative und veränderungsbereite Menschen gefragt sind. Menschen eben, die auch fähig sind, die zunehmende Unsicherheit und Umstrukturierungen ganzer Branchen auszuhalten. „Gefragt ist vor allem ein gutes Selbstmanagement“, erklärte Kirsten Brühl auf dem Kongress. Dazu gehöre neben einer guten Selbstdarstellung und Netzwerkerei auch Empathie. Also: Kinder sollten beziehungsfähig und gute Krisenbewältiger sein sowie ein hohes Selbstwertgefühl entwickeln – dann wären sie für alles Weitere gerüstet.

Warum nicht ein Schreiner oder Gärtner für die Kita?

Welche Folgen das für die Arbeit in den Kitas hat? Die Pädagogen als Zukunftsberater bräuchten da wohl viel Unterstützung von außen, vermutet die Zukunftsforscherin. Mit einer individuelleren Förderung innerhalb der Kitas befänden sich diese aber auch schon auf dem richtigen Weg.

Sylvia Kurz von Konzept-e bestätigt: „Der Bildungsanspruch der Eltern ist höher geworden.“ Er spiegle jedoch nicht die Erfordernisse der Berufswelt. Bei Krippenkindern stehe „satt, sauber, sicher“ im Vordergrund. Bei älteren Kindergartenkindern fragten die Eltern: „Was macht ihr da eigentlich zur Schulvorbereitung – oder spielt ihr etwa nur?“ Doch in Zeiten des Fachkräftemangels „haben die Leute im Job gerade eine gewisse Vogelfreiheit in dem Beruf“, sagt Sylvia Kurz. Das bedeutet, die Erzieher haben bei der Einrichtung die Wahl – nicht die Eltern.

Um Abhilfe zu schaffen und zugleich mehr Kompetenzen in die Kita-Teams zu bringen, plädierte Waltraud Weegmann, die Geschäftsführerin von Konzept-e, dafür, 20 Prozent des Kitapersonals mit Quereinsteigern zu besetzen: etwa Schreinern, Gärtnern oder Theaterpädagogen. Dies sieht die Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg mit der praxisorientieren Ausbildung auf gutem Weg: „Multiprofessionelle Teams sind der richtige Ansatz.“ Zumal so auch der Anteil an Männern und Akademikern in den Einrichtungen steige. „Das bringt Qualität und Vielfalt.“

Der Soziologe sieht die Gefahr, dass sich Eltern abgrenzen

Das erlebt auch Sylvia Kurz so. Dass Erzieherinnen nebenbei auch als Lebens- und Erziehungsberaterinnen fungieren, wie Kirsten Brühl es skizzierte, kann sich Kurz eher nicht vorstellen: „Dafür gibt es andere Professionen.“ Doch auch die Ansprüche der Eltern werden zunehmend unterschiedlicher. Weshalb das so ist, beschrieb der Soziologe Carsten Wippermann vom Delta-Institut für Sozial- und Ökologieforschung. So entwickelten sich die Lebenswelten in den unterschiedlichen Milieus immer weiter auseinander – und mithin auch die Rollenerwartungen der und an die Väter und Mütter.

Das Problem: Erzieherinnen stammten vor allem aus der bürgerlichen Mitte, hätten aber zunehmend auch mit Kindern aus ganz anderen Milieus zu tun – Milieus, die ihnen fremd seien. Establishment, Hedonisten, Performer aus der Kreativecke oder extreme Individualisten zum Beispiel. Diese Mischung könnte Wippermann zufolge dazu führen, dass sich Eltern voneinander abgrenzen, indem sie zum Beispiel ihre Kinder nicht mit den anderen spielen lassen. Dass Familien zunehmend auf die ästhetische Anmutung der Kita achteten und darauf, dass die Betreuung in Kleingruppen und individuell erfolge, könnte diesen Abgrenzungseffekt verstärken. Und städtische Kitas könnten ins Hintertreffen geraten, befürchtet Wippermann. Private Einrichtungen gewännen vor allem wegen ihrer Werteerziehung an Attraktivität. Wie hießen die noch gleich? Selbstvermarktung und Beziehungsfähigkeit – oder?

Frühkindliche Bildung in technischen Dingen

„Chemie zählt zu den unbeliebtesten Schulfächern – nur Physik ist noch unbeliebter“, sagte die Bielefelder Chemieprofessorin Gisela Lück beim Bildungskongress in Stuttgart. „Das ist ein Unding in einer Industrienation.“ Inzwischen habe sich zwar die Erkenntnis durchgesetzt, dass die aktive Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen und technischen Phänomenen schon im frühen Kindesalter nicht nur das Risiko einer späteren Arbeitslosigkeit verringere, sondern auch wesentlich das Selbstkonzept stärke.

Doch noch immer werde das forschende Lernen in vielen Kitas ausgebremst durch Erzieherinnen, denen Mint-Themen fremd seien (also Themen der Mathematik, Ingenieur-, Natur- und Technikwissenschaften), oder durch fehlende Ausstattung, berichtete Clemens Weegmann von der Element-i Bildungsstiftung. Dort rät man Kitas, statt einer elften Erzieherin zum Beispiel einen Schreiner oder Ingenieur einzustellen, der Lust habe, im Tandem mit Erziehern mit Kindern zu arbeiten, sich nachqualifizieren zu lassen und sich mit einem Erziehergehalt zufrieden gebe. In der Bildungsregion Hohenlohekreis wurde ein funktionierendes Netzwerk mit 18 produzierenden Unternehmen entwickelt, die ihre Mechatroniker- oder Industriemechaniker-Azubis als Lernpartner in die Mint-Werkstätten von Kitas, Grund- und weiterführenden Schulen schicken.

Auch die Eltern tüfteln gerne

Wie dort gearbeitet wird? Entscheidend sei es, den Kindern Erlebnisräume zu öffnen und sie dann eigenständig tüfteln zu lassen – ohne selbst gleich alles besser zu wissen, sagte Edeltraut Klar von der Öhringer Fachschule für Sozialpädagogik. So habe eine Kita den Kindern zur Aufgabe gestellt, einen schweren Wackerstein fortzubewegen – irgendwie. Als Materialien fanden die Kinder Seile, Rollen, Spaten, Bretter. Die Kinder probierten aus: von Hand ging nichts, per Seil auch nicht, selbst mittels Spaten als Hebel tat sich nichts. Aber die Kinder gaben nicht auf. Mit den Rollen schafften sie es. Die Azubis habe man geschult: „Ihr müsst den Kindern nichts erklären – lasst es euch von den Kindern erklären.“ Dies, so Lück, helfe den Kindern ganz nebenbei, aber maßgeblich beim Spracherwerb. Und es mache Kinder selbstbewusst, alle Kinder.

Sie habe auch Jugendliche aus sozialen Brennpunkten Experimente machen lassen, sagte Gisela Lück. Mit unerwartetem Erfolg. Als man auf Anregung des Oberbürgermeisters auch den Eltern ein Tüftelangebot gemacht habe, gab es innerhalb einer Stunde 170 Anmeldungen.